Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Dezember 2019

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Montage
© montage / La Pochette Suprise

Leitkegel – »Wir sind für dich da«

© Leitkegel / La La Records

War schon ganz gut damals im 12er Jahr, »Raketenwissenschaft«, das Debüt-Album der Gruppe Leitkegel aus Essen, Düsseldorf und Ravensburg. Die vielversprechende Mixtur aus Indie, Emo, Hardcore und auch ein klein wenig Pop erinnerte nicht nur damals etwa an Adolar oder wie eine abgedrehte Modernisierung von Northern Punk, sondern wusste durchaus zu überzeugen. Und auch wenn Leitkegel nur mehr sporadisch in Erscheinung traten, eine Pause gab es nie, aber halt auch erst sieben Jahre später Album Nummer 2. »Wir sind für dich da« packt kräftig in die Schublade für Referenzen und haut auch gleich einmal popkulturelle Zitate raus, alleine die Titel sprechen für sich: »Ich hab’ 99 Probleme und das Mädchen hat mich« etwa oder, vermutlich das Kernstück der Platte »Tocotronic darf niemals siegen«. Als Anspielung an ihren kleinen Hit »Kapitulation? Ja, Bitte!« betitelt, werden etwa auch Love A im Song verfremdet zitiert. »Wir sind für dich da« ist also ein Album für all jene, die gerne Querverweise beobachten und dies als Merkmal ihrer Distinktion sehen, aber auch für all jene, die einfach nur gern klasse zeitgemäße Gitarrenmusik hören wollen. Denn das können sie haben! 

»Wir sind für dich da« von Leitkegel erscheint am 13.12.2019 via lala Schallplatten/My Favourite Chords. Keine Österreich-Termine.

Inseln – »Nichts«

Inseln – Nichts
© Inseln / Disentertainment

»Nichts« von Inseln ist wohl nichts für den einsamen Incel. Spaß beiseite: Was die Münsteraner Gruppe Inseln auf ihrem Debüt – an dem sie acht Jahre seit der Bandgründung gearbeitet haben – an wavigem Shoegaze zelebriert, ist aller Ehren wert und verdient eine genaue Betrachtung: Getragen von brüchigem Gesang, bewegen sich die Gitarren und Synths auf brüchigem Eis, stets mit der Gefahr des Versinkens mäandern die zwölf Stücke mit fast schon kriminalistischem Spannungsbögen durch das Wesen des Menschens und seiner unterkühlten Melancholie. Cold Wave – im wahrsten Sinne des Wortes der alten Schule – für die Dezembertage, die zu warm für Schnee sind, aber zu kalt für das kleine bisschen Besser. Dass manchmal die Textierung etwas zur Übertreibung und Irrationalität neigt, ist zwar als Kritik verständlich, dem Hörerlebnis und der Stimmungsbeeinflussung tut dies aber keinen Abbruch. Kurz gesagt: »Nichts« ist nicht nichts, es kann sogar für den richtigen Moment alles sein.

»Nichts«von Inseln erscheint – es gibt unterschiedliche Quellen – am 29.11.2019 oder am 6.12.2019 via Disentertainment. Keine Österreich-Termine.

Die Cigaretten – »Vibe Ride«

Die Cigaretten
© Die Cigaretten / La Pochette Surprise

Nachtrag aus dem November: Das Hamburger Noise-Duo Die Cigaretten hat mit seinem La Pochette Surprise Records – wo im Dezember übrigens das fast ausschließlich englischsprachige zweite Album der sehr guten Gruppe Snøffeltøffs erscheint – ganz schön Staub in der deutschen Indie-Szene aufgewirbelt: In recht einfacher Machart – den Regler auf Elf und dann ab die Post! – slacken sich die Zwei in atemberaubenden Tempo mit schrammeligen Gitarren und durchaus treibendem Schlagzeug durch die zwölf Stücke ihres Debütalbums. Dabei lassen sie nur wenig Platz für Pausen oder Raum zum Nachdenken, da darf man sich auch inhaltlich auf Einiges gefasst machen wie etwa die allgemeine Unzufriedenheit mit den Dingen, mit der Überflussgesellschaft (»Zuviel«) oder schlicht auf »Typen mit Girls«. Dass das alles ein bisschen hipsterig und ein klein wenig zu gewollt postironisch ist, darüber kann man zwar nicht immer hinwegsehen, dass Die Cigaretten das richtige Gespür für Melodien und Themen haben, kann man aber keinesfalls abstreiten. Immerhin.

»Vibe Ride« von Die Cigaretten erschien bereits am 15.11.2019 via La Pochette Surprise Records. Keine Österreich-Termine bekannt.

montage  – »pool ohne rand«

Montage
© montage / La Pochette Suprise

Zweiter Nachtrag aus dem November – Dezember ist ja immer eher tote Hose –, zweiter Nachtrag aus dem Hause La Pochette Surprise. Wieder einer, der absolut hörenswert ist. Die Hamburger Künstlerin montage liefert nämlich auf ihrem äußerst kurzweiligen Debüt-Album »pool ohne rand« (in Kombination mit dem Bandnamen auch schön zu googeln) zehn Synthie-Rock-Hits für die Gesellschaft nach der unsrigen. Am Cover des stilecht nur auf Kassette physisch erscheinenden Albums prangt der Arsch, den uns die gesichtslose Künstlerin entgegenstreckt: Nicht zum Abschalten gedacht, sondern zum ständigen Mitdenken gibt es uns montage einen Auftrag zur Selbstermächtigung zum Reden in Zeiten des Dauerschweigens zu den peinlich-beschissenen Zuständen dieser Welt da draußen. Ein Aufruf zum Aufstand, ein Abgesang auf das »Abendland«. Das ist ganz großes Kino: Texte als Slogans – jede Zeile als Catchphrase für deinen Turnbeutel –, reduzierte Beats Intonierung der Revolution. Wow.

»pool ohne rand« von montage erschien bereits am 22.11.2019 via La Pochette Surprise Records. Keine Österreich-Termine bekannt.

Max Goldt – »Draußen die herrliche Sonne (Musik 1980-2000)«

Max Goldt
© Tapete Records / Max Goldt

Max Goldt ist den meisten Menschen als Schriftsteller bekannt. Dass er im vergangen Jahrtausend, das nun auch schon wieder mindestens zwanzig Jahre her ist, durchaus auch als Musiker reüssieren konnte, ist bisweilen schon fast vergessen. Ein Umstand, den die rechtzeitig zur Geschenkezeit erscheinende Werkschau ändern möchte. Beginnend bei den erfolgreichen Jahren mit der Avantgarde-NDW-Gruppe Foyer des Arts – eventuell ist noch der Hit »Wissenswertes über Erlangen« in Erinnerung, er ist als Ur-Demo-Version enthalten –, über die Jahre mit der Gruppe Nuuk bis hin zu zahlreichen Solo-Tracks. Die sechs CDs mit insgesamt 131 Stücken werden untermalt von sporadischen Erklärungen zu manchen Stücken und natürlich zahlreichem Bildmaterial. Goldt verzichtet bewusst auf eine chronologische Anordnung, dennoch spürt man den zeitgeschichtlichen Wert der Zusammenstellung in jedem Lied. Kann man schon herschenken, kann man aber auch selbst behalten. Sollte man sogar.

»Draußen die herrliche Sonne (Musik 1980-2000)« von Max Goldt erscheint am 13.12.2019 via Tapete Records. Keine Live-Termine.

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