Charlie Brooker hatte wieder die Schnauze voll. Also entwickelte der britische Medienmacher abermals ein neues TV-Serien-Konzept, das kompromisslos und brutal zum Umdenken anstößt. »Black Mirror« ist eine wilde Satire-Serie, die künftige Medienwelten ad Absurdum führt.
Für Charlie Brooker waren Störsignale und TV-Entertainment noch nie ein Gegensatzpaar. Deshalb konnte er zum Beispiel problemlos Untote im Blutrausch mit den Bewohnern einer Big-Brother-Behausung zusammendenken. 2008 veröffentlichte er mit der Mini-Serie »Dead Set« seine brachialste Satire, in der ein Zombie-Virus in der Gegenwart die Apokalypse ausbrechen und die mediale Extremsituation Reality-TV rammen ließ, um in sozialer Zerstörung zu enden. Brookers Glaube an die Medien und ihre Technologien bedeutet Erschütterungen. Als Englands großer Medienzerstäuber und Kulturkritiker etablierte er sich zuletzt mit Satire-Shows wie »Screenwipe« (2006), »Newswipe« (2009) oder »How TV Ruined Your Life« (2011). Seine aktuellste TV-Serie »Black Mirror« (2011) ist ein neuerlicher Höhepunkt seiner zynischen Karriere.
Der Premierminister und das Schwein
Die erste Folge »The National Anthem« zielt auf die Macht von Social Media ab. Eine Angehörige des britischen Königshauses wird als Geisel genommen. Unter Tränen muss sie eine Erpresserbotschaft per Video an den Premierminister richten. Die Nachricht erreicht diesen via Youtube, wo der Clip verbreitet wurde. Um die Prinzessin zu retten, muss der Premier während einer live übertragenen TV-Inszenierung vor laufenden Kameras Sex haben, und zwar mit einem Schwein. Es geht um ihr Leben und seinen Medientod. Die passende Antwort des Beraterstabes auf die Ratlosigkeit des Premiers lautet: »This is virgin territory, Prime Minister. There is no playbook.«
Wir werden Zeuge der Berichterstattung in grotesken Krisenzeiten, wenn Skandale einen größeren Marktwert haben als die Schadensbegrenzung. Auch die Newsrooms der staatlichen Medien rotieren nun unter Konkurrenzdruck. So lange, bis die Öffentlichkeit bekommt, wonach sie dank Youtube, Twitter und Facebook schon lechzt – eine staatsmännische Tragödie als internationalen Megaevent. Während die Darsteller die Absurdität der Story mit Ernsthaftigkeit und Dramatik überspitzen, nimmt uns Charlie Brooker an der Nase. Alle werden Teil des fatalistischen Spiels um Öffentlichkeit und Verantwortung: die korrumpierbare Politik, die wetteifernde Berichterstattung und das geifernde Massenpublikum; inklusive uns als Reflektierende.
Neues aus der Vorzukunft
Die zweite Folge (»15 Million Merits«) handelt von einer Zukunft, in der die Bevölkerung zur dauernden Unterhaltung über Bildschirme und interaktive Gadgets verdammt ist. Den einzigen Ausweg aus der Dystopie bietet eine Talentfernsehshow. Der dritte und letzte Teil (»The Entire History Of You«) spielt in einer Welt, in der die eigenen Erinnerungen im Kopf – ähnlich der Facebook-Timeline – problemlos zurückverfolgt und abgespielt werden können. Dass der skizzierte Technologiesprung zwischenmenschliches Chaos fördert, hat Charlie Brooker geschickt vorprogrammiert. Abermals stemmt sich Brooker gegen die Entfremdung in einer Mediengegenwart, die ihn zum gefeierten Zyniker machte. Auf die Redundanz seines prominenten Zeigefingers antwortet er mit clever-düsteren Visionen. Auch wenn so manche Szene bei »Black Mirror« mit der Brechstange ausagiert wird und auch er nicht vor Bockschüssen gefeit bleibt, so liegt seine Überzeugungskraft in den Details seines mehrdimensionalen Konzepts. Noch dringt sein kritischer Humor zu uns durch – noch sind wir keine Zombies.
»Black Mirror« erscheint in Großbritannien am 24. Februar auf DVD (Channel 4 DVD). »Dead Set« ist bereits ebendort erschienen und soll in der ersten Jahreshälfte 2012 auch auf Deutsch veröffentlicht werden (Anolis Entertainment).