Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Juli 2021

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Bernhard Schindler 2021
© Bernhard Schindler 2021

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen – »Gschichterln aus dem Park Café«

© Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen / Tapete Records
© Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen / Tapete Records

Im Großen und Ganzen bleiben im Leben genau zwei Wohltaten: Eine sehr gute Gruppe legt einen sehr hohen musikalischen Output an den Tag und – ein Stammlokal. Ersteres betrifft – Sie werden es erraten haben – Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, die bereits Album Nummer Sechs seit der Neugründung 2012 in die Plattenregale legt, erst 2019 erschien mit »Fuck Dance, Let’s Art« der Vorgänger auf dem Stammlabel Tapete. Letztere Wohltat nimmt der motivierte Hamburger Fünfer gleich mit auf: Das Park Café in Altona, aus dem die »Gschichterln« (nur echt mit Wiener Diminutiv) erzählt werden, ist sozusagen das erweiterte Clubhaus, nachdem das Studio von Erfolgsproduzent Zwanie Johnson abgerissen wurde. Jener bekommt auch gleich einen Song auf das Album geschrieben. Angekommen beim Hauptthema, bei den Songs, in einem Wort: Fröhlich. Mit Absicht: Gegen den Trend, gegen die Lage, befinden sich nur erfreuliche Themen auf dem Album – von »Houston, wir haben kein Problem« über »Es ist nett, nett zu sein« bis hin zu «Kilo Shop Mod Tip Top«. Der Top-Single-Kracher »Ferien für immer« aus dem Vorjahr findet aber auch seinen Weg auf diesen Langspieler, der so klingt, wie alle Alben bisher. Soul-Pop für Genussmenschen.

»Gschichterl aus dem Park Café« von Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen erscheint am 9. Juli 2021 via Tapete Records. Keine Österreich-Termine.

Missstand – »Bon Apathie«

© Bernhard Schindler 2021
© Bernhard Schindler 2021

Mit der Faust in die Fresse und damit passend wie die Faust aufs Auge: Die Grazer Punkheroen Missstand sind spätestens seit ihrem Über-Album »I Can’t Relax in Hinterland« aus dem 17er-Jahr in die A-Liga des politischen Deutschpunks aufgestiegen, der bandnamensgebenden Umstand für die Gesamtsituation hat sich aber seitdem noch mal verschlechtert, was der äußerst reflektierte Vierer, bei dem sich seit dem Vorgänger die halbe Band geändert hat, auf das nächste Kracher-Album mitnimmt: So werden auf »Bon Apathie« natürlich neben dem Anklagen des Krebs’ unser Zeit wie rechte Arschlöcher und Whataboutismus-Verharmlosern auch die eigenen Privilegien kräftig hinterfragt, keine Selbstverständlichkeit für eine Weiße All-Male-Band und vor allem – leider – auch nicht in der angeblich so inklusiven Punk-Szene, die bei genauerer Betrachtung tatsächlich sehr häufig voller Beschissenheits-Ismen steckt. Besonders eindringlich passiert das beim Hit »No Country for Old White Men«, der gemeinsam mit Sarah »(Frau, auch in ner Band)« von Akne Kid Joe aufgenommen wurde, die den Gartenzwerg-Nazis in deiner Nachbarschaft ordentlich vor die Haustür kackt (Anm.: rhetorische Figur, Bezug zu politischen »Entscheidungsträgern« rein zufällig). Auch mit Ren Aldridge von Petrol Girls (ebenfalls aus Graz) gibt’s ein Feature. Album: Bockstark!

»Bon Apathie« von Missstand erscheint am 9. Juli 2021 via Agressive Punk Produktionen. Keine Österreich-Termine aktuell.

Alex Mayr – »Park«

© Sarah Ungan
© Sarah Ungan

Viel wichtiger als die Unterscheidung von Songs in gut oder weniger gut ist die Einordnung in Verwertungskategorien: Mainstream oder Underground? Auch wenn letzterer sich durch Überflutung selbst fast schon abgelöst hat, ist das Drängen in Kategorien entscheidend für die Wahrnehmung von Musik. Im Falle der Mannheimer Sängerin Alex Mayr ist das so eine Sache mit dem Einordnen: Wer etwas Besonderes macht, braucht quasi keine Schubladen, sondern muss neue Schränke bauen. Das Besondere? Mayr gibt ihrer Musik etwas Cineastisches, ergänzt dein Leben um ein Stück Dramatik, damit du weißt, was du fühlen musst. Eigenbezeichnung: Soundtrack-Pop. Das war bereits bei ihrem Debüt »Wann fangen wir an?« so, mit dem neuen Album »Park« geht das in eine noch konsequentere Richtung. Bestes Beispiel: Ihr Hit-Song »Zeit«, der nach unendlich langer Autofahrt in der Wüste klingt, nach der Ephiphanie kurz vor dem Showdown, nach Mexican Standoff der Herzen. Dreampop für besondere Momente. Möglich macht diese unter anderem auch Produzent Konstantin Gropper, dem in den Nullerjahren mit seinem Projekt Get Well Soon ähnliche Qualitäten nachgesagt wurden. Es bleibt spannend.

»Park« von Alex Mayr erscheint am 9. Juli 2021 via Alex Mayr Rekorder. Keine Österreich-Termine.

Swiss – »Linksradikaler Schlager« (EP)

© Swiss
© Swiss

Der Hamburger Swiss ist ein musikalischer Tausendsassa und tatsächlich auch schon Superstar, falls es so etwas noch gibt: Begonnen im Hip-Hop überzeugte er ab 2014 als Bandleader der Punk-Gruppe Swiss & Die Anderen, »Randalieren für die Liebe« (2018) und »Orphan« (2021) steigen bis auf Platz 2 in den deutschen Charts – das ist zumindest beachtenswert. Mehr als beachtenswert ist sein neuestes Projekt, denn Swiss macht jetzt Schlager: Zumindest von der Instrumentierung her. Es ist nämlich laut Eigenbezeichnung seiner nun erscheinenden fünf Song starken EP »Linksradikaler Schlager«. Das Konzept ist denkbar einfach: Leicht verdauliche und vereinfachte linke Inhalte wie Basisdemokratie, Solidarität und der Kampf gegen Homophobie werden auf typische Billo-Schlager-Baller-Beats oder romantische Kaufhaus-Synths gelegt, quasi musikalischer Widerspruch als Form des Widerstands. Wer ein Herz für ironischen Schlager hat – und das sollten bitte alle haben, Grundausstattung! – wird an den Stücken definitiv Gefallen finden. Swiss wird zwar keinen konservativen Schlagerfan bekehren, aber geile Mucke ist ja auch schon mal was!

Die EP »Linksradikaler Schlager« von Swiss erscheint am 2. Juli 2021 via Columbia / Missglückte Welt. Tour-Termine: 29.10.21 P.P.C. Graz, 30.10. Flex Wien.

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

Egotronic – »Stresz«

(VÖ: 23. Juli 2021)

Auch an den Electroclash-Dauerbrennern Egotronic gehen die aktuellen Beknacktheiten nicht spurlos vorbei: Auf ihrem x-ten Album in zwanzig Jahren, das wie gewohnt bei Audiolith erscheint, wird das Zeitgeschehen erneut sehr eindrücklich dokumentiert. Am interaktivsten gelingt dies bei der sehr schön betitelten Sp(r)itze gegen Impfgegner namens »Nadel verpflichtend«, die mit einen post-ironischen Browsergame veröffentlicht wurde. Das Ziel des Games? Die Zwangsimpfung der Gesellschaft! 

Rummelsnuff & Asbach – »Äquatortaufe«

(VÖ: 30. Juli 2021)

Äquatortaufe, die: Ein erniedrigendes Ritual, bei dem Seeleute, die zum ersten Mal den Äquator überfahren, beschmutzt und dann gereinigt werden. Mit einem ungleich höheren Gefühl der Selbstreinigung geht auch das Hören des neuesten Albums von Kapt’n Rummelsnuff & Maat Asbach einher, das naturgemäß erneut den Bogen von Electroclash und Schiffahrtsliedern spannt. Aufregend ist das vor allem, wenn das Wasser verlassen wird: Etwa in »Interkosmos« oder »Zeppelin«.

Bandcamp.

Ton Steine Scherben – »50 Jahre«

(VÖ: 23. Juli 2021)

2020 feiert die wegweisende Gruppe Ton Steine Scherben ihr fünfzigstes Jubiläum, im selben Jahr wäre auch Rio Reiser 70 Jahre alt geworden. Heuer wiederholt sich der Jahrestag des Debütalbums »Warum geht es mir so dreckig?« zum fünfzigsten Mal. Grund genug, ein neues Best-of zu veröffentlichen, welches das Schaffen von 1970 bis 1984 auf LP und Doppel-CD brennt: Ausgewählt von der Band selbst, finden sich neben all den beliebten Klassikern auch vier bislang unveröffentlichte Aufnahmen aus dem Band-Archiv.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...