Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im August 2019

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen
© Martin Morris

Die Höchste Eisenbahn – »Ich glaub dir alles«

Die Höchste Eisenbahn
© Marco Sensche

Die Gruppe Die Höchste Eisenbahn, im songschreiberischen Kern bestehend, wie bekannt, aus Francesco Wilking und Moritz Krämer, ist so ein bisschen die Cashcow für die beiden. Mit recht hohen Chartplatzierungen und sechsstelligen Viewzahlen – und da steckt ja bekanntlich die Kohle drinnen, jaja – ist das Projekt ja durchaus erfolgreich: Mit eingängigem, aber für die Mehrheitsgesellschaft immer noch »edgy« Singer-Songwriter-Pop, der sich gerade noch von der vielbesprochenen »deutschen Industrie-Musik« unterscheidet, ist die Zielgruppe recht einfach zu erreichen. Den doch deutlich weniger geschliffenen Soloalben Krämers – von denen ja erst kürzlich eines erschienen – oder auch den alten Tele-Sachen ist dieser Erfolg naturgemäß nicht beschieden. Auch auf »Ich glaub dir alles« ändert sich auch auf Album Nummer 3 recht wenig am Sound: Gefällige und melodieverliebte Popmusik, meist vorgetragen im Ping-Pong-Gesang, dabei durchaus melancholisch und sommerlich.

»Ich glaub dir alles« von Die Höchste Eisenbahn erscheint am 16.8.2019 via Tapete. Österreich-Termine: 26.10. Flex Wien, 28.11. Rockhouse Salzburg, 29.11. Autumn Leaves Festival Graz.

Tomas Tulpe – »Der Mann im Pfandautomat«

Tomas Tulpe
© Tomas Tulpe / Bakraufarfita

Der Grandmaster Trash aus Berlin, der Hauptstadt des schlechten Geschmacks, ist ja schon ein alter Bekannter: Spätestens mit dem Vorgänger »In der Kantine gab es Bohnen« hat sich Tomas Tulpe seinen Platz in der weirden Elektropop-Szene Deutschlands gesichert – neben HGich.T oder frühen Die Türen. Der selbsternannte Iggy Pop vom Ostkreuz hat auch dieses Mal sämtliche Regler auf Elf gedreht und präsentiert dazu passend überdrehenden und dadaistischen Hau-Drauf-Elektro für den klassischen Hausgebrauch. Wobei: Nebenbei hören ist bei »Der Mann im Pfandautomat« unmöglich – zu eingängig, zu einnehmend und zu einzigartig ist der durchaus komödiantische Versuch, elaborierten Blödsinn auf CD oder Download zu quetschen. Eklektisches Nerven im besten Sinne ist das: Titel wie »Botox im Bauch«, »Gebäck im Gepäck« oder auch »Komm doch bitte nicht mit deiner dicken Butterstulle an mich ran« oder die Beobachtung, Jarvis Cocker sehe aus wie ein Student zeigen von überbordenden Ideen. Und ja, dieser ständiger DAF-Beat, der einfach nicht locker lässt, macht »Der Mann im Pfandautomat« endgültig zum Rummelplatz in Albumgestalt.

»Der Mann im Pfandautomat« von Tomas Tulpe erscheint am 16.8.2019 via Bakraufarfita Records. Keine Österreich-Termine.

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen – »Fuck Dance, Let’s Art!«

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen
© Martin Morris

Die vielleicht beste, aber sicherlich stilvollste deutsche Gruppe schlägt zurück: Nachdem Vorgänger »It’s OK to Love DLDGG« aus dem Jahr 2017, der trotz Charts-Einstieg – Platz 60, hallo?! – ein bisschen hinter den Weltalben »Alle Ampeln auf Gelb« und vor allem »Rüttel mal am Käfig, die Affen sollen was machen« zurückblieb, gibt es auf dem fünftem Album wieder Hits satt: Die Hamburger mit dem unverwechselbaren Klangbild zwischen den einzigen Genres, die jemals wirklich cool waren – selbstverständlich sind das Northern Soul und Garage Rock –, überholen dabei nun auch endgültig ihre legendäre Vorgängergruppe, die an dieser Stelle gar nicht mehr genannt werden muss. Sie liefern einfach geil ab: »Fuck Art, Let’s Dance« ist unendlich knallig, bunt, am Ende des metaphorischen Regenbogens gibt’s auch noch Goldtöpfe mit reichlich Tanzbarkeit für sophisticated Discoabende. Dabei bleibt wie gewöhnlich auch kein Platz für die andernorts vielbesungene Befindlichkeit – denn: »Fuck Dance, Let’s Art« ist trotz der kleinen Flunkerei im Titel ein Album für durchtanzte Nächte ganz ohne Sorgen – und für die Jahresbestenlisten.

»Fuck Dance, Let’s Art!« von Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen erscheint am 23.8.2019 via Tapete. Keine Österreich-Termine (bis jetzt).

Alexander Marcus – »Pharao«

Alexander Marcus
© Alexander Marcus / Kontor

Auch der König der Könige ist zurück: Fünf lange Jahre seit dem letzten regulären Album – damals auf »Kristall« fanden sich etwa die zu Evergreens  gewordenen »Hundi« und »Elektriker« – und zwei Jahren seit dem letzten Video »Schwachkopf Manfred« sind Geschichte und die authentisch-dämlichste aller Kunstfiguren schreibt auch gleich wieder ebensolche. Elf Stücke lang wird wieder herrlich geblödelt und dem ihm eigenen »Electrolore«-Sound gefröhnt. Simple, aber originelle Melodien und vor allem: keine Scheu vor der ironischen Überhöhung von Culture Appropriation und dem Weißsein – die erste Single »Rastafari« mit himmlischen Steeldrums singt davon ein Lied. Und auch wenn sich der Joke vom musikalischen Messias in Gestalt des BWL-Justus seit dem Anfang von vor zwölf Jahren etwas ausgelutscht hat, macht er natürlich immer noch Spaß. Selbiges lässt sich eben auch über «Pharao« sagen: Es sind zwar nicht die allergrößten Überhits vertreten – vergleiche hier vor allem »Disco La Cola« –, aber Spaß machen die Stücke auf jeden Fall.

»Pharao« von Alexander Marcus erscheint am 30.8.2019 via Kontor. Keine Ö-Termine derzeit.

Keele – »Kalte Wände«

Keele
© Keele / Rookie Records

Post-Hardcore und Hamburg gehören zusammen wie, naja, wie Hardcore und Boston, sozusagen. Bereits mit ihrem Debüt, dem im Titel gelogenen »Gut und dir«, hat der Vierer sein nordisches Revier markiert und es sich in der engen Nische zwischen Muff Potter, Escapado und Turbostaat wohlig eingerichtet. Mit dem zweiten Album »Kalte Wände« wagen Keele gewissermaßen ein Experiment und konzipieren eine Langspielplatte, die quasi als Rückblick auf 2018 fungiert. Keele reden hierbei von »Backpfeifen«, die sie im Laufe des Jahres kassiert haben. Dass dabei nicht alles schön war, ist ebenso aufgelegt wie ebenjene Backpfeifen: Zu giftigem, melodischem Punkrock, der nie zu glattpoliert wirkt, aber sich immer wieder auch einmal gewisse Auszeiten gönnt, geht es um die Hässlichkeiten des Lebens: Verlustängste, Spielsucht, Krisen mit dem eigenen Ich. Die Welt ist schlecht. Aber es war auch immer die Aufgabe von guter Popmusik, dass es einem – wenn schon nicht besser geht, dann wenigstens – klar wird, dass man zumindest nicht alleine ist.

»Kalte Wände« von Keele erscheint am 23.8.2019 via Rookie Records. Keine Ö-Termine.

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