Playtime – Zeitreisen in Romanform mit Barbi Marković

In »Die verschissene Zeit« experimentiert Barbi Marković mit literarischen Zugängen und formt aus einem Rollenspiel einen Roman, der ins Belgrad der 1990er-Jahre führt. Ein aberwitziger Timetravel-Trip in nicht unbedingt herrliche Zeiten.

© Jana Sabo

Wenn man Ideen nicht ordentlich bis zum Ende durchdenkt und trotzdem artikuliert, kommt üblicherweise ein Schas raus. Zumindest aber hinterlässt es keinen Eins-a-Eindruck.

Ein Praxisbeispiel: Barbi Marković hat ein neues Buch geschrieben. Es heißt »Die verschissene Zeit« und spielt im Belgrad der 1990er-Jahre, der Heimatstadt der Autorin, die mittlerweile seit über 15 Jahren in Wien lebt. Keine besonders gut durchdachte Idee ist es jetzt, Marković an öffentliche Wiener Orte zu Foto- und Interviewtermin lotsen zu wollen, die an Belgrad erinnern. Die gibt es, schließlich kursiert seit Jahrhunderten in der Stadt das geflügelte Wort, dass der Balkan am Rennweg beginnt. Aber so richtig aufgehen will diese Gedankensaat jetzt nicht. Da fehlt irgendwie eine Ebene.

Zum Glück verfügt Barbi Marković aber über eine gute Portion Diplomatie, das so nicht direkt anzusprechen: »Wir müssen doch nicht Belgrad simulieren. Gehen wir doch einfach zum Kulturverein ada. Ich wohne ganz in der Nähe und man hat dort eine gleich trashige Atmosphäre – wie in Belgrader Lokalen.«

Das trifft sich gut. Auch weil Marković. noch fertig packen muss, wie sie erzählt. Es geht am nächsten Tag nach Lüneburg. Als Heinrich-Heine-Stipendiatin wird sie knapp einen Monat im Elternhaus des Dichters leben und schreiben. »Heine zog sich nach Lüneburg zum Schreiben zurück, weil – wie er sagt – die Stadt so langweilig ist, dass einen hier nichts ablenkt.«

Heine und die Folgen

Zurück nach Wien: Die Altbauwohnung, die den Kulturverein ada beherbergt ist im Heine’schen Sinn eine Art Anti-Lüneburg auf gut 90 Quadratmetern. Seit 2016 hat sich hier, mitten in Ottakring, ein Ort für Kunst und Kultur etabliert, an dem regelmäßig Ausstellungen, Performances und Lesungen abgehalten werden. Trotz letztlicher Zwangspause sind diese Spuren präsent. Ein riesiger, halbierter Globus hier, eine Collage dort. »In dieser Wohnung lebte bis zu ihrem Tod eine über 100-jährige Frau. Vieles von den Möbeln hier ist noch von ihr, man hat nichts renoviert«, erzählt Marković.

Barbi Marković mutet ihren Roman­figuren in »Die verschissene Zeit« einiges zu. (Foto: Jana Sabo)

Gut zu wissen. Das erklärt nämlich die Fototapeten, die sich in die Wand gefressen haben. Den Einbauschrank aus den 1950er-Jahren in der Küche / Bar, bei dem die einst dicke, weiße Lasur abblättert. Und irgendwie auch den präsenten Geruch nach alter Dame, den selbst mehrjährige Kunst­betriebsamkeit noch nicht zu übertünchen imstande war. Eine Zeitreise, optisch und olfaktorisch.

Das trifft sich gut, schon wieder, denn in Barbi Markovićs neuem Roman »Die verschissene Zeit« reisen drei Belgrader Jugendliche durch die Zeit. Genauer: durch die 1990er-Jahre. Dabei versuchen sie einiges geradezubiegen, was die Geschichte, respektive Politik, Wirtschaft und Menschen so verkackt haben.

Zeitreise

Wobei, ganz so einfach wie das jetzt klingt ist, es auch wieder nicht. Die drei Zeitreisenden, das Geschwister­paar Marko und Vanja, das sich nicht sonderlich gut verträgt, und die gemeinsame Freundin Kasandra, stigmatisierte Außenseiterin aus der Roma-Siedlung, müssen sich erst zusammenraufen. Mitwisser und Verbündete gibt es kaum, und wenn, kochen sie ihr eigenes Süppchen. Zudem werden die Wirren der Pubertät auch nicht einfacher, wenn man plötzlich in der Zukunft, im eigenen älteren Körper, mit dem Bewusstseins- und Wissensstand der Gegenwart erwacht. Oder in der eigenen Vergangenheit und dann unangenehme, biografische Schlüsselszenen noch einmal durchlebt, um dann auch noch die Zukunft zu ändern.

»Ich wollte von einem befreundeten Physiker wissen, ob es peinlich ist, wie ich das Thema Zeitreise anlege. Er hat nur gesagt, dass sich Autor*innen immer sehr ins Zeug legen, um ein Zeitreise­konzept zu kreieren, das hält. Aber trotzdem ist immer alles falsch. Deswegen kann man eigentlich machen, was man will«, fasst Marković die erhaltene Expertise zusammen und ergänzt verschmitzt: »Ein Ansatz, der mir sehr gut gefallen hat.«

Der Zeitreise­aspekt ist aber ohnehin nur eine Art Trägerrakete für den sehr vielschichtigen, haken­schlagenden Plot, der sich immer wieder als gewiefte Hommage ans Aufwachsen und Leben im Belgrader Vorstadtkosmos der 1990er-Jahre und schwarzhumorige Milieustudie entpuppt. Geschickt werden darin Reminiszenzen an die Popkultur jener Tage eingewebt, die aber frei von Erinnerungskitsch und verklärtem Blick sind. Ein anti­nostalgischer Erinnerungs­roman, bis zur Karikatur überdreht und dennoch von eigenartig vertrauten Figuren bevölkert, die liebevoll bösartig durch Raum und Zeit gehetzt werden.

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