Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Gisbert zu Knyphausen & Kai Schumacher – »Lass irre Hunde heulen«
Die daran hinaufgeklatsche Wortkombination »Classic meets Pop« hat bisher schon so manche Plakatwände zum Opfer derber Schmierereien gemacht – sie soll der früher einmal so genannten Ernsten Musik ein junges Publikum eröffnen und den Alten Rechtfertigung dafür sein, den Nachwuchs in den Firmungsanzug zu stecken und in die Oper zu karren. Manchmal gelingt er aber doch ganz gut, dieser Spagat: Der Duisburger Pianist Kai Schumacher, seines Zeichens großer Freund der Werke von Franz Schubert – es gibt insgesamt gar 600 Lieder vom alten Franz – intoniert gemeinsam mit Gisbert zu Knyphausen, dem ja selbst auch das Kunstlied nicht fremd ist, wirkt er doch häufig recht artifiziell, im positiven Sinne!, zehn Schubert-Lieder, die einen guten Querschnitt über alle Schaffensphasen bilden. Natürlich modern instrumentiert, mit Gitarre, Schlagzeug, Bass, natürlich mit den obligatorischen Streichern und eben dem unverwechselbaren Gesang von zu Knyphausen, funktionieren die teilweise altertümlich anmutenden Texte auch noch 2021. Verblüffend!
»Lass irre Hunde heulen« von Gisbert zu Knyphausen & Kai Schumacher erscheint am 10. September 2021 via Neue Meister (Edel). Noch keine Österreich-Termine.
Trümmer – »Früher war gestern«
Zugegeben: Trümmer wurden vermisst. Ganze fünf Jahre nach ihrem letzten, zweiten Album »Interzone« steht nun endlich das dritte Alben in den Regalen. Nach der Anfangs-Euphorie (lustig weil: erinnert sich noch jemand an die Euphorie um das gleichnamige Hamburger Label? Eine schöne Zeit) mit dem Debütalbum wirkte »Interzone« zuweilen befremdlich, hält sich nach all der Zeit aber doch beständig in jeder gut sortierten Indie-Rock-Playlist. Der Titel des neuen Langspielers »Früher war gestern« ist natürlich ein bisschen Quatsch, vor allem musikalisch haben Trümmer wieder zu den etwas wilderen Anfangstagen gefunden und sind in ihrem Gebaren doch deutlich »dreckiger«, ohne eine Chauvi-Rockband zu sein, was die wie immer sehr woken und ihre Privilegien selbst hinterfragenden Trümmer ja durch den Mief des Begriffes von Haus aus ablehnen. Stattdessen gibt es sehr geschmeidigen, klassischen Indie, der immer wieder sehr garagig klingt, antirassistische Botschaften und wieder Hits, Hits, Hits. Darf man so sagen: Die Pause hat Trümmer sehr gut getan – sie kommen mit ihrem bisher deutlich stärksten Album zurück. Groß!
»Früher war gestern« von Trümmer erscheint am 17. September via PIAS. Noch keine Österreich-Termine.
Grand Hotel Schilling – »Mir wär lieber wir bleiben hier«
Das gute alte Graz ist ein Geschenk, das nie aufhört zu schenken. Es schenkt uns schöne Erinnerungen an Hoffnung und Drama, es schenkt uns »Graz you soon« und »Have a Graz day« (danke!), es schenkt uns schlicht Lebensfreude. Und: Es schenkt uns wieder einmal einen neuen Stern am österreichischen Musikhimmel, der tatsächlich vor allem die dunkelsten Nächte zu erleuchten vermag. Dem steirischen Vierer Grand Hotel Schilling – ehemals als »Warnquadrat oder nur »Schilling« »bekannt« – gelingt mit dem Album-Debüt gleich einmal ein Volltreffer. Auf insgesamt 41 Minuten wird die sozusagen die gesamte Klaviatur moderner Gitarren-Popmusik bespielt, wenn du Post-Indie dazu sagst, ist es sicher nicht falsch. Wenn du Vergleiche brauchst: das kannst du dir im Endeffekt sparen, zu unterschiedlich sind die zwölf Stücke, aber nicht, dass du glaubst, beliebig, nein, variabel, sagen wir dazu. Das klingt manchmal nach ironischeren Two Door Cinema Club, manchmal ganz schön trippy mit verschleppten Drums, machmal einfach nach straightem Rock, aber immer: sehr lässig (sagt man das noch?).
»Mir wär lieber wir bleiben hier« von Grand Hotel erschien bereits am 27. August 2021 via Wohnzimmer Records. Live: 8.9.2021 Chelsea Wien.
Luis Ake – »Liebe«
Die Rezeption von Musik wie jener von Luis Ake wird immer mit dem Wörtchen »ambivalent« umschrieben, die einen sagen so, die anderen sagen so: Klar, halbironischer New-Wave-Schlager ist nie ganz befreit von Kitsch und Klischee, das tat dem künstlerischen Erfolg seines Debütalbums »Bitte lass mich frei« aus dem Jahr 2019 aber keinen Abbruch. Wenn jetzt das zweite Album auch noch den klischeebehaftesten aller Titel hat, wird das jetzt auch nichts mit der großen spießigen Zielgruppe, aber – und das ist ja eigentlich eh viel das wichtigste – denen, die ein Herz für das haben, geht ebenjenes so richtig auf. Denn, was der selbsternannte Dandy und Wandler zwischen Frankreich und Berlin und zwischen Raum und Zeit aufführt, ist purer Pop im klebrigsten Wortsinne. Zwischen Synth Pop, Wave, Italo Disco und Neue Deutsche Welle, aber eben auch exaltiertem Post-Schlager bewegen sich die Stücke, meist ein Stück pro Genrevorbild, mit überlebensgroßen Refrains malt sich Luis Ake mit Falsett und Schmalz sein Portrait ins Gedächtnis. Zuckersüß!
»Liebe« von Luis Ake erscheint am 17. September 2021 via Mansions & Millions. Keine Österreich-Termine bekannt.
fluppe – »blüte«
Es kommt nur selten vor, aber ab und an darf man auch gerne einmal recht haben: An Ort und Stelle stand vor wenigen Monaten anlässlich der EP »Billstedt« von fluppe nämlich folgendes: »… hat das Zeug zum Startschuss einer Karriere, die noch für viele offene Ohren sorgen kann.« Und wenn jetzt das Debütalbum in die Läden kommt, darf man das durchaus als bestätigt sehen, weil drauf haben’s die vier aus Hamburg definitiv: Die ohnehin sehr ekstatische Mischung aus Post-Punk und höchstmelodischem Indierock, die noch dazu von Gregor Henning (u.a. Die Sterne, Bela B. und Vierkanttretlager, remember?) ausproduziert wurde, führt die Entwicklung der starken Debüt-EP weiter und wird mit einem ganzen Schub an Dringlichkeit ergänzt. Mit popkulturellen Anspielungen, dem richtigen Maß an Nostalgie (etwa mit »scotland yard«) und dem Mut zur und der Wut auf Befindlichkeit, kann man sich die Texte auch gut auf Jutebeutel oder was auch immer die Kids von heute tragen, siebdrucken. Stark!
»blüte« von fluppe erscheint am 17. September 2021 via Chateau Lala. Keine Österreich-Termine bekannt.
AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:
Philipp Poisel – »Neon«
(VÖ: 17. September 2021)
Mal was für die Charts: Nach vier langen Jahren seit dem Vorgänger »Mein Amerika« meldet sich der schüchterne Mann, der es irgendwie immer noch schafft, ehemalige Indie-Fans und Castingshow-Teilnehmende zu vereinen, zurück: Nach den großen Reisealben – immer noch gut: »Bis nach Toulouse« aus 2010(!) – kehrt er mit »Neon« ins Innere zurück, aus dem es auszubrechen gilt. Neben einigen Klavierballaden, die zwar gut sind, aber auch immer ein wenig nach dem Abspann eines Schweighöfer-Films klingen, gibt’s auch ein paar Ausflüge in den Pop, etwa mit der Lead-Single »Alles an dir glänzt«.
Weil – »Groll«
(VÖ: 17. September 2021)
Schauspieler und Musik, kann klappen, muss aber nicht. In dem Fall schaut’s ganz gut aus. Der Berliner Anton Weil, den man aus dem Programm von diversen deutschen öffentlich-rechtlichen und amerikanischen Streaming-Anbietern sowie diversen Bühnen kennen könnte, hat sich während der Pause letzterer dazu entschlossen, ein paar Lieder aufzunehmen, die jetzt in Albumform erscheinen: Die Mischung aus Trap, Indie und deutschem Pop, verletzlicher Männlichkeit und Ablehnung des Status Quo erzeugt ein zeitgemäßes Stück Musik.