Eines der schönsten und geheimnisvollsten Spiele des Jahres ist im Early Access und lädt zum Flanieren und aufmerksamen Erkunden
Kapitel Null hat mit einigem Stottern begonnen. Zu Beginn der Early Access-Phase des Indie-Online-Rollenspiels »Book of Travels« gab es vor allem Verbindungsschwierigkeiten und verschwindende Charaktere, aber schon die ersten erhaschten Blicke gaben etwas von dem Zauber preis, der dieses gewagte Projekt ausmacht. Und die Bug-Fixes der ersten Tage haben seither ein Spiel immer zugänglicher werden lassen, das mehr als ein paar erste Blicke wert ist.
Might and Delight heißt das Studio hinter dem Spiel. Und dass hier Menschen mit großer Begeisterung an einer ganz eigenen Vision arbeiten, ist durch die anfänglichen Probleme wohl besonders spürbar geworden. Freundlich, bescheiden und voller Begeisterung wird via Discord mit den Spielenden kommuniziert. Und die feiern jedes behobene Problem mit einem Meer von Emojis.
»Book of Travels« ist tatsächlich ein Spiel übers Reisen und Entdecken und eine Hommage an klassisches Rollenspiel. Block und Papier sollen neben der Tastatur liegen, raten die Einführungstexte. Und schon bei der Charaktererstellung darf durch selbst erstellte Beschreibungen ergänzt werden. Hier werden keine Wege vorgegeben und keine Quest Marker gesetzt. Hinweise, wohin es sich zu reisen lohnt, tauchen in Dialogen und Item-Beschreibungen auf. Und was nicht vor dem Bildschirm zu Papier gebracht wird, ist eventuell schnell vergessen.
Durch die ersten Spielstunden trägt allerdings allein schon die einzigartige und betörende Schönheit der Spielwelt. Wie vom Pinsel erschaffen und zum Leben erweckt eröffnen sich vor den Reisenden fruchtbare Landschaften, Dörfer und Küstenlinien, die zu entdecken erst einmal Belohnung genug ist. Ins Spielsystem wird fast nebenbei hineingestolpert, wenn die Taschen zum ersten Mal voll mit Vasen, kaputtem Spielzeug und verknoteten Seilen sind; wenn der Besitzer eines Teehauses von einem von Narzissen umwachsenen Tempel erzählt oder wenn eine flüchtige Begegnung mit anderen Spielenden ausreichend mechanisches Wissen an einen Ort zusammenbringt, um eine sonderbare Truhe zu öffnen.
In seinem sozialen Miteinander erinnert »Book of Travels« bislang vor allem an »Journey«. Es ist möglich, sich zu verabreden und gemeinsam um die Teehäuser zu ziehen, aber vorerst laufen eher gelegentlich andere Reisende durch die Szenerie, kommunizieren mittels sehr reduzierter, vorgegebener Emojis, helfen eventuell durch Vereinung der Kräfte dabei, eine überwucherte Pflanze von Ranken zu befreien und eilen dann weiter.
Hinter all den frühen Eindrücken verbergen sich ein recht komplexes Rollenspielsystem, nervenaufreibende und fast immer vermeidbare Schwertduelle, mit Zurückhaltung erzählte Geschichten und viele ruhige Passagen on the road. Ein stimmiges, ästhetisch beeindruckendes und vorrangig entspanntes Gesamterlebnis, das durch das gegenseitige, noch unsichere Beäugen, das die Early Access-Phase ausmacht, auf charmante Weise dazugewinnt. Bug-Toleranz und entspannte Neugier sollten mit im Gepäck sein. Dann ist »Book of Travels« schon jetzt ein einzigartiges Erlebnis.
»Book of Travels: Chapter Zero« ist als Early Access für PC und Mac erschienen.