Jenseits des Limiters – Gewalt und ihr Album »Paradies«

Zwischen Schmerz und Hoffnung, Angst und Rausch loten Gewalt die Grenzen von Musik aus. Das Ziel: der pure Ausdruck des Inneren.

© Magnus Winter

Gewalt, das sind (immer schon) Helen Henfling und Patrick Wagner an den Gitarren und (seit einiger Zeit) Jasmin Rilke am Bass. Der Beat kommt aus der Box. Lange gab es nur Konzerte und Seven-Inch-Vinyls. Im Vorder­grund stehen die Direktheit und die Dringlichkeit, der Ausdruck dessen, was im Inneren schlummert und vor uns und anderen versteckt werden will. Die Konzerte waren und bleiben – durchaus abhängig vom Sound und der Anlage – fast unerreicht kraftvoll und intensiv. Für alle Beteiligten.

Nun waren lange keine Konzerte möglich. Wohl auch deswegen gibt es bald eben doch ein Album. Und ein Buch von Patrick Wagner. Das Album füllt gleich eine Doppel-LP und deren Zweiteilung ist offensichtlich. Auf der zweiten LP sind großteils die bereits bekannten Nummern versammelt. »Szenen einer Ehe« oder »Wir sind sicher« sind mehr als persönliche Klassiker.

Und dann gibt es noch die erste LP. Zehn zumeist ungehörte Nummern, mit denen Gewalt das gelingt, von dem Patrick Wagner so gerne spricht und was auch sein Buch ausmacht: Diese zehn Nummern können mit Musik nur mehr unzureichend beschrieben werden. Ziel ist der pure Ausdruck des Inneren. Schmerz, Energie, Angst, Rausch, Wollen, das kurze Glück, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Die Sätze und Gedanken – die nötigen Übersetzungen von Gefühlen – werden nur mehr ansatzweise zu Songs geformt, sondern erfahren die direktest mögliche Trans­formation. Da kommt dann schon mal der »Jahr­hundert­fick« raus.

Konsequenz im Ausdruck

Musikalisch erproben Gewalt auf »Paradies« mehr denn je diverse Spielarten von Industrial. Das sind keine Songs mehr. Gerade Patrick Wagner gelang es aber in der Vergangenheit immer wieder die Zuhörer*innen mit Songs eher abzuholen, weil es eben vielleicht nicht nur um sein Inneres dabei geht, sondern um Allgemeineres. Klarer­weise ist diese Art von künstle­rischem Ausdruck nur ein möglicher Weg, er wird hier aber so konsequent wie selten zu Ende gegangen. Selbst­regulierung wird bewusst – und so erfolg­reich wie bisher wohl überhaupt selten – vermieden. Da ist es dann fast schlüssig, dass das dies besingende Stück »Limiter« auf dem Album fehlt.

Gewalt »Paradies«

Das Album »Paradies« von Gewalt ist heute, also am 5. November 2021, beim Label Clouds Hill erschienen.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...