Katharsis kommt in vielen Formen. Die Nerven gastierten gestern Abend mit ihrem neuen selbstbetitelten Album in der Grellen Forelle.
Das von Die Nerven heraufbeschworene »Ende der Welt, wie wir sie kennen« erlebt man derzeit gefühlt jeden zweiten Tag. Das Trio aus Stuttgart ist am Mittwoch nach Wien gekommen, um diesen Umstand mit einer Mischung aus kathartischer Elegie und ebenso kathartischen aggressiven Ausbrüchen zu feiern. Der Einmarsch zu Beethovens Neunter, der »Ode an die Freude« (»Freude, schöner Götterfunken«), verdeutlicht den Kontrast zwischen dem, was ist, und dem, was einmal war.
Die Zeile »Und ich dachte irgendwie in Europa stirbt man nie« trifft in »Europa«, dem Opener des Konzerts sowie des fast zur Gänze gespielten neuen Albums, den Nagel auf den Kopf. Danach wird durch die neuen Singles gebrettert, zwischen den Songs nur eine kurze Ansage von Gitarrist und Co-Frontmann Max Rieger: »Hallo, wir sind Die Nerven aus Japan.« Und man darf sich sicher sein, dass viele Deutsche gestern gerne auch aus Japan gewesen wären.
Aufgeheizter Moshpit
Es folgt der alte Klassiker »Barfuß durch die Scherben« und das nicht ganz so alte »Niemals« – Stimmungsmacher, die ihre Wirkung wohl nie verfehlen. Der Moshpit ist jedenfalls derart aufgeheizt, dass Rieger eine Lektion in Konzertetikette geben muss. Einerseits zum Schutz des Publikums, andererseits aber auch zum Schutz der eigenen Vorderzähne, falls wieder jemand in seinen Mikrofonständer fallen sollte.
Danach wird, wie man es von der Band gewohnt ist, ausgiebig gejammt. Die Blicke der drei Musiker sind dabei ganz auf einander konzentriert, während ein Security direkt mittig zwischen Rieger und Bassist Julian Knoth auf der Kante der Bühne sitzt und eisig ins Publikum schaut. Nach wenigen Liedern erteilt Rieger dann wieder die Erlaubnis zum Tanzen. Es folgt »Der letzte Tanzende« mit der obligatorischen Stille (bei diesem Publikum freilich eine schwierige Übung) in der Mitte des Songs.
Abseits solcher Fixstarter wissen Die Nerven aber auch zu überraschen. So ballert die Band etwa ganz nebenbei mit Schlagzeuger Kevin Kuhn am Mikrofon durch Motörheads »Ace of Spades« (in E, nicht in D!), was von der Meute im Moshpit äußerst goutiert wird. Als Zugabe winkt »Frei«, der Knaller vom letzten Album »Fake«. Wer denkt, dass es danach vorbei wäre, täuscht sich jedoch. Rieger, Kuhn und Knoth betreten nochmals die Bühne, als zweite Zugabe gibt es – zum Runterkommen – »180°«, den Closer des aktuellen Albums.
Im dichten Gedränge beim Merch-Stand wird man später die Menschen sagen hören: »Ich glaube, das war das beste Konzert, auf dem ich je war.«