Er zockt »Fortnite«, redet wie ein deutscher Youtuber und hat seine Freundin vom Startbildschirm verbannt. Gleichzeitig bezeichnen ihn manche seit seiner Debütsingle »Stargazing« als »neues Wunderkind« der österreichischen Musikszene. Was Oskar Haag wirklich ausmacht. Eine Annäherung.
Unter dem Riesenrad plärrt der Donauwalzer aus kleinen Lautsprechern. Während zwei Touristinnen durch den Eingang des Wurstelpraters tänzeln, dreht sich ein Postkartenständer im Wind. »Ich hab gedacht, du gehst fix auf mich zu, weil du eh weißt, wie ich ausschau«, sagt Oskar Haag und streckt mir die rechte Hand entgegen. Oskar – Jeansanzug, grün-gelber Strickpulli und Herrenschuhe – könnte aus der Frühjahrskollektion einer angesagten Modemarke gepurzelt sein. Dabei ist der Mann mit den Schneckerln Musiker und Schauspieler. Manche bezeichnen den 17-jährigen Klagenfurter sogar als eine der größten »Pop-Hoffnungen« der österreichischen Musikszene. Oskar weiß das. Er rückt seinen »Omas gegen Rechts«-Pin zurecht, der an der Brusttasche seiner Jacke steckt.
Wir schlendern am geschlossenen Autodrom vorbei, rechts neben uns schlängeln sich gelbe Schienen in den Praterhimmel. Oskar hat den Treffpunkt selbst vorgeschlagen, wohnt nur ein paar Minuten entfernt. Im Sommer zupfen hier Jugendliche an Zuckerwatte, schmusen in der Geisterbahn oder verbraten ihr Taschengeld beim Tröten-Techno-Tagada. Heute, an einem sonnigen Nachmittag im Jänner, verirren sich nur verlorene Seelen in den zweitältesten Vergnügungspark der Welt. Die Achterbahnen rasten. Niemand schleudert sich in drehenden Suppentellern zur Ekstase. Statt buntem Gewirr herrscht Stille. Der Wiener Prater hält Winterschlaf.
Wer mit Kleingeld kommt, hat trotzdem Glück. Einige einsame Automaten blinken, manche grunzen leise vor sich hin. »Magst du schießen?«, frage ich Oskar, als wir an einer Fußballmaschine vorbeikommen. Er dreht sich um, seine Augen werden bei ihrem Anblick groß. »Ja klar, die hat ein Barca-Trikot an.« Mein Glück: Ich weiß, dass Oskar nicht nur Burger mag und die Beatles liebt, sondern auch glühender Fan des FC Barcelona ist. All das hat er schon öfter in Interviews erwähnt. Außerdem steht für ihn ein ehemaliger Barca-Kicker über allen: Lionel Messi. Der Argentinier schnürt seine Schuhe zwar längst für einen anderen Verein. »Aber Messi hat mich Barcelona lieben gelernt«, sagt Oskar.
Ich krame nach Kleingeld. »Hier«, sage ich und stecke eine Zwei-Euro-Münze in den Schlitz des Kickerautomaten. Der Kasten grummelt. Oskar drückt auf den Startknopf. Eigentlich sollte ein Fußball ausklappen, aber es passiert – nichts. »Na, des gibt’s ned! Messi hat mich abgezogen«, schreit Oskar und hämmert ungeduldig auf den Startknopf. Ich krame nach einer weiteren Münze, der zweite Euro fällt. Wieder bewegt sich der Ball keinen Zentimeter. »Scheiße! Die Maschine nimmt uns aus!« Oskar tritt gegen den Automaten. In seinen Augen erkenne ich kurz ehrliche Enttäuschung. Er hätte wirklich gern geschossen.
Krebs-Trauma aus Lönneberga
Mit der Geisterbahn, einer der wenigen geöffneten Attraktionen, will Oskar nicht fahren. Das eine Mal mit sechs Jahren habe gereicht. Dass er sich inzwischen einen Horrorfilm nach dem anderen reinzieht, kann daran nichts ändern. »Wirklich Angst hab ich nur vor Krebsen«, sagt Oskar und schaut mich an, als warte er auf die Frage nach dem Warum. »Früher hab ich ›Michel aus Lönneberga‹ im Fernsehen geschaut, das ist der von Astrid Lindgren. In einer Folge stellt er einen Eimer voller Flusskrebse vor das Bett seines Vaters. Der steigt rein und alle Krebse beißen ihn. Das hat mich traumatisiert!«
Oskar lacht hell auf, als wir unter dem Kettenkarussell stehenbleiben. Vor uns steht eine lebensgroße Plastikfigur, sie trägt ein lilafarbenes Kleid. »Genau wie du im Burgtheater, oder?«, sage ich mehr als Aussage denn Frage. Schließlich habe ich die Fotos gesehen: Oskar spielt aktuell in einem Shakespeare-Stück an der Wiener Burg. Auf der Bühne trägt er ein Kleid, bei dem auch Timothée Chalamet zugreifen würde. Dass er mit seinen Locken so ähnlich aussieht wie der gehypte US-Schauspieler, mag Oskar schon gehört haben. Den Gesichtsausdruck hat er sich jedenfalls bei ihm abgeschaut. Jedes Mal, wenn Oskar in eine Kameralinse blickt, öffnet er leicht den Mund – irgendwie verlegen, ein bisschen rätselhaft, so wie Timothée.
Mit Glück zum »Wunderkind«
In den Hundeblickmomenten ist Oskar nicht der 17-jährige Fußballfan, der ausgelassen gluckst, wenn ihm ein Fußballautomat das Kleingeld klaut. Schnappt der Auslöser, verwandelt er sich in jenes »Wunderkind«, zu dem er seit seinem Debüthit »Stargazing« gerne erhoben wird. 2021 spielte Oskar sein erstes Konzert vor ein paar Freund*innen, sein zweites vor 500 Fremden in der Karlskirche. Danach erhielt er Standing Ovations. Expert*innen von Falter bis FM4 waren sich einig: Das wird ein Großer. Mittlerweile hat er mit Stefan »Apple« Kudlicki ein professionelles Management. Oskars Vater, Oliver Welter, einst Gründer der Band Naked Lunch, berät ihn aus dem Hintergrund.
Dass er ohne seinen Papa und dessen Connections – Naked-Lunch-Kollege Herwig Zamernik kuratierte den gefeierten Debütauftritt; Fritz Ostermayer, ein Kumpel, spielte »Stargazing« erstmals im Radio – nicht dort wäre, wo er ist, weiß Oskar. »Es gibt sicher viele 17-Jährige, die mindestens so gut sind wie ich, aber kein Glück haben. Ich hab es. Wieso sollte ich darauf verzichten?« Er sagt das, als würde ein deutscher Youtuber österreichische Mundart vorlesen. Man kann ihm deswegen nicht böse sein.
Oskar ist in Klagenfurt aufgewachsen, der Landeshauptstadt von Kärnten. Dort patzte er bis vor ein paar Monaten noch in einem Kunstgymnasium mit Lehm herum. Inzwischen hat er die siebte Klasse abgebrochen und ist mit seiner Freundin in den zweiten Wiener Gemeindebezirk gezogen. Nach Klagenfurt fährt er noch fürs Loretto-Bad und zum Schulball seiner alten Klasse. »Ich will meine Kollegen unbedingt bei der Polonaise sehen«, sagt Oskar. »Und ich freu mich drauf, meinen alten Lehrern zu begegnen – vor allem denen, die mich nicht so mögen haben!«
Der Prater im Winter ist ein »gottloser Ort«, wie Oskar sagt. Es fehlen die Lichter und Leute, das gepresste Geplapper von »Links geht’s rein, rechts geht’s raus«-Ansagern und der Geruch von fettigem Langos. Vor allem aber fehlt die Lust, sich für einen halben Stundenlohn in den Wiener Nachthimmel katapultieren zu lassen. Als wir an ein paar Gnomen und Waldelfen vorbeikommen, stottert eine Stimme aus der Stille: »Play Me! Play Me!« Oskar dreht sich um. »Schau, seine Augen blinken!« Er zeigt auf einen Automaten. Der kastenförmige Mann trägt ein rot-weiß-rotes Leiberl. Unten klemmt ein Fußball.
Zwei weitere Euro verschwinden im Maschinenmagen. Hinter uns plärrt plötzlich Eurodance aus den Boxen. »Hyper, Hyper!«, der Fußballer erwacht. Oskar streift seine Jeansjacke ab und legt sie auf den Boden. »985 ist der Highscore!« Er fokussiert den Ball, nimmt vier Schritte Anlauf und zieht voll durch. Kabumm! »738«, schreit Oskar auf. Wäre der Ball nicht am Automaten befestigt, er wäre bis ins Praterstadion gesegelt. »Das war nicht so schlecht«, sagt Oskar und grinst mich an. Er weiß, dass ich überrascht bin. Von einem Strich wie ihm würde man zwar filigrane Technik, aber keinen Alaba-Gedächtnishammer erwarten.
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