»Freiraum macht Clubkultur aus« – Martina Brunner im Gespräch über die Vienna Club Commission

Die Vienna Club Commission (VCC) existiert seit 2020. Während der Pandemie entstand sie als Vermittlungsstelle für Akteur*innen der Wiener Clubkultur. Bis 2022 lief sie als Pilotprojekt, dann legte die Stadt eine fixe Finanzierung fest. In den kommenden vier Jahren stehen 1,2 Millionen Euro zur Verfügung. Die inhaltliche Leitung der VCC hat Martina Brunner inne. Sie war schon Teil des Pilotprojekts und hatte zuvor die Initiative Nachtbürgermeister Wien gegründet. Wie man Know-how aus der Szene holt, dass wir wieder lernen müssen zu feiern und womit Wien international hervorstechen könnte, erklärte sie uns bei einer Melange im Wirr.

© Christoph Liebentritt / Buero Butter — Martina Brunner ist Co-Geschäftsführerin der VCC und für deren inhaltliche Leitung zuständig.

Die Stadt Wien finanziert die VCC bis 2026 mit 1,2 Millionen Euro. Das Budget kommt aus Bildung, Kultur und Wirtschaft. Wie lassen sich deren Interessen mit den Bedürfnissen der Szene vereinbaren?

Martina Brunner: Eine Geschäftsgruppe wie die der Wirtschaft schließt das Bedürfnis der Club-Akteur*innen nicht aus. Wenn die Sperrstunde für die kommerziellen Clubs fällt, fällt sie auch für die nicht gewinnorientierten. Als Club Commission wollen wir die Kultur nicht gegen die Wirtschaft ausspielen. Wir suchen vielmehr nach einer Bandbreite, die allen Akteur*innen im Nachtleben zugutekommt.

Das ist die diplomatische Aussage. Wen vertritt die VCC aber, wenn sich wirtschaftliche Interessen nicht mit den Bedürfnissen der Szene decken?

Die VCC ist keine Interessenvertretung, sondern eine Dialogplattform. Sie arbeitet deshalb immer im Interesse aller Beteiligten, aber nie gegen jemanden. Wenn wirtschaftsgetriebenere Clubs Forderungen haben, schauen wir uns an, für wen das Vorteile bringt – nur für die Fordernden oder für eine breitere Gruppe? Wir können z. B. nicht einfach sagen, Clubs sollen 24 Stunden geöffnet haben, um mehr Profit zu machen. Man muss gleichzeitig beachten, welche Auswirkungen das mit sich bringen würde, zum Beispiel für Anrainer*innen oder Angestellte.

Du sprichst von der Forderung wirtschaftsgetriebener Clubs. Was ist mit anderen?

Natürlich existieren nicht kommerzielle Veranstaltungsformate, aber: Die Clubkultur ist nie komplett nicht kommerziell. Selbst wenn man illegale Raves organisiert, kauft man die Getränke im Supermarkt – die Wirtschaftlichkeit begleitet die Clubkultur.

Wie profitiert Clubkultur durch euch?

Zum Beispiel beim Thema Förderungen. Die Förderung für »klimafitte Kulturbetriebe« war etwa zu Beginn nicht explizit für Clubs ausgeschrieben. Wir konnten vermitteln, dass Clubs Kultur sind. Im Förderkatalog steht nun, dass auch Clubs um eine Förderung ansuchen können.

Der Begriff Clubkultur entwickelt sich, wird schärfer.

Man muss sich nur anschauen, was sich in den letzten beiden Jahren getan hat. Inzwischen gibt es einen Code of Conduct für eine nachhaltigere Szene. Awareness-Teams sind nicht mehr aus Clubs wegzudenken. Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung hat sich seit der Pandemie viel stärker entwickelt als davor.

Dadurch löst sich die Clubkultur aus dem sogenannten Underground – sie wird institutionalisiert.

Als VCC bewegen wir uns in einem Spannungsverhältnis, klar. Wir achten aber darauf, dass die Clubkultur nicht zu sehr institutionalisiert wird. Als Beispiel: Vor fünf Jahren haben Clubkultur-Akteur*innen noch gesagt, dass sie kaum Aufmerksamkeit und Wertschätzung bekommen, während die Hochkultur durchfinanziert würde. Inzwischen gibt es eine institutionalisierte Club Commission, die für Sichtbarkeit und Repräsentanz einsteht, aber: Weder die Clubkultur an sich, noch die Veranstaltungsformate und ihre Akteur*innen sollen dadurch institutionalisiert werden.

Das heißt?

Dass der Freiraum bestehen bleibt, der Clubkultur in ihrer Essenz ausmacht.

Innerhalb der VCC gibt es die VCC-Sessions mit drei Fokusgruppen, in denen man aktuell zu Nachhaltigkeit, zum öffentlichen Raum und zu Awareness arbeitet.

Bei den VCC-Sessions stellen wir drei Projekte im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich vor, zu denen wir über einen Zeitraum von drei Monaten arbeiten. Für jeweils einen Bereich kann man sich als Lead-Manager*in zur Wahl stellen. Wenn dich Clubkultur im öffentlichen Raum interessiert und du ein Know-how dazu hast, könntest du dich einbringen und bewerben. Wahlberechtigt sind alle, die an der VCC-Session teilnehmen.

Die Position der Lead-Manager*in ist entlohnt. Wer in den Fokusgruppen arbeitet, bekommt kein Geld. Wie soll man gegen das Kulturprekariat kämpfen, wenn man mit Liebe und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft bezahlt wird?

Ich versteh den Gedanken, trotzdem gibt es den Wunsch, sich bei diesen Themen einzubringen und das Nachtleben mitzugestalten. Die VCC verfügt über ein begrenztes Budget von 300.000 Euro im Jahr. Damit kann man nicht alle bezahlen, die sich involvieren möchten. Wir mussten uns deshalb ein System überlegen, mit dem wir das Know-how aus der Szene einholen. Die bezahlten Lead-Manager*innen verpflichten sich dazu, während sich alle Interessierten weiterhin auf freiwilliger Basis einbringen können.

Die Fokusgruppen präsentieren nach drei Monaten ihr Ergebnis …

Es kann auch kein Ergebnis geben.

Aber wenn es zu einem Ergebnis kommt?

Konkretes Beispiel aus der Fokusgruppe Safer Party – Safer Nightlife: Die Lead-Managerin hat einen Fragebogen designt, der demnächst gelauncht werden soll. Unsere Aufgabe als VCC ist die Umsetzung. Dafür sprechen wir mit der Verwaltung, um Synergien abzuklären, Co-Finanzierung zu erfragen und Partnerschaften mit anderen Servicestellen einzugehen. In der Strategieentwicklung definieren wir mögliche Umsetzungen – basierend auf der Umfrage. Ob Workshops für Securitys oder zusätzliche Förderungen für Awareness-Teams.

Das klingt bereits nach konkreter Umsetzung. Lass uns aber einen Schritt früher ansetzen: Ist eine Umsetzung der Ergebnisse aus den Gruppen bindend?

Es gibt keine Verbindlichkeit, weder für uns noch für die Stadt Wien. Die Selbstverantwortung des Kernteams sichert aber, dass wir nicht nur lustig herumtun und fünf Jahre verstreichen lassen, ohne am Ende mit Ergebnissen dazustehen. Das wäre fatal für eine subventionierte Institution.

Das heißt: Die Stadt Wien müsste z. B. keine Awareness-Teams fördern, selbst wenn das Ergebnis der Studie befände, dass das der Clubkultur förderlich wäre.

Jein. Es gibt Meilensteine, die wir im Konzept definiert haben – sechs Workshops und vier Podiumsdiskussionen zum Beispiel, die Neukonzeptionierung der Homepage oder monatliche Newsletter. Außerdem legen wir die Themen der Fokusgruppen fest. Was dabei rauskommt, ist aber nicht bindend. Strategische Flexibilität fasst es gut zusammen.

Das klingt sehr wirtschaftlich.

Gar nicht! Man braucht eine Strategie, die man verfolgt – darüber steht der Anspruch, die Situation für alle Clubs und Veranstaltungsakteur*innen besser zu machen. Was dafür passieren muss, passiert im Alltag, den man nur begrenzt planen kann. Als Beispiel: Wir kommen aus der Pandemie und müssen als Gemeinschaft den respektvollen Umgang beim Feiern wieder neu lernen. Die VCC rückt daher das Thema Awareness in den Fokus. So reagieren wir auf das, was passiert, und können uns entwickeln.

Oft hört man: Es gibt zu wenig Räume, in denen man veranstalten kann.

Wien hätte Räume, die der Stadt einen speziellen clubkulturellen Charakter geben könnten. Schau dir die Semmelweisklinik oder den Zukunftshof an. Das gibt es nur in Wien! Clubkultur könnte man bei all diesen Räumen als Möglichkeit mitdenken, anstatt sie für anderes zu nutzen. Ein weiteres Beispiel, das den Bund angeht: die Flaktürme. Stell dir da einen Club drin vor! Deshalb muss es darum gehen, kulturelle Räume zu schaffen und für diesen Zweck zu erhalten. Dafür setze ich mich in der VCC ein.

Wer sich einbringen will oder einfach am Wiener Clubgeschehen interessiert ist, kann zur nächsten VCC-Session kommen. Die aktuellen Termine findet ihr auf der Website der Vienna Club Commission unter www.viennaclubcommission.at. Der im Interview angesprochene Fragebogen zur Sicherheit im Wiener Nachleben ist mittlerweile online. Die Teilnahme an der Umfrage ist bis 12. April 2023 möglich. Am 6. März findet von 18:30 Uhr bis 21:30 Uhr im Flucc ein VCC-Podiumsgespräch zum Thema »Feiern? Safe. Aber wie?« statt.

Offenlegung: The-Gap-Mitherausgeber Thomas Heher ist in seiner Funktion als Co-Geschäftsführer der Vienna Club Commission für deren kaufmännische Leitung verantwortlich. Die VCC und The Gap teilen sich Büroräumlichkeiten.

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