Ein Verriss darf alles, nur nicht fad sein. Heißt es. Ein bisschen Orientierung schadet dabei dennoch nicht. Man will ja, dass der Schlag mit der Keule auch richtig sitzt. Deswegen an dieser Stelle zehn Einsichten in Sachen Verrisse, die uns bei der Durchsicht der bisherigen Ausgaben ereilt haben.
1. Zeig, dass du dich nicht zu wichtig nimmst. Das stärkt deine Position.
Joni Mitchell »Shine« — Ich habe Joni Mitchel noch nie verstanden. Frau Mitchell, zum Glück sind Sie nicht auf mich oder mein Urteil angewiesen. 3/10 Stefan Niederwieser
2. Referenzen demonstrieren Auskennerei. Spar also nicht damit.
Mondscheiner »La belle captive« — Mondscheiner präsentieren sich als ganz blasse, ganz hübsche und bestimmt ganz nette Nachbarsjungen, die gerade Kafka entdecken und denen selbst beim Anblick einer schielenden Stubenfliege das Herz übergeht. Nicht unähnlich den deutschen Vor-dem-Spiegel-Denkern Blumfeld therapieren auch Mondscheiner ihre Neurosen gerne mit bedeutsamer Schwülstigkeit oder – die Herren von Garish und Flashbax lassen grüßen! – mit mittelmäßigem, lyrischem Eskapismus. 4/10 Martin Zolles
3. Sei fies und gib dann viele Punkte. Das ist besonders fies.
Au Revoir Simone »Still Night, Still Light« — (…) Leider fehlt es ihrer Musik an dringlicher Tragweite und so wird sie vermutlich bald im Sumpf der musikalischen Belanglosigkeiten untergehen. 6/10 Ursula Winterauer
4. Stell rhetorische Fragen und beantworte sie.
Lou Reed & Metallica »Lulu« — Lou Reed, was machst du bloß für Sachen? Mit Metallica rummachen. Ich verstehe die Menschen generell grad überhaupt nicht mehr. 1/10 Michael Kirchdorfer
David Lipp & die Liebe »Es ist so unendlich still hier« — Geht das? Schlimmer als Wir sind Helden und Juli inklusive Fremdschämen? Ja! 1/10 Stefan Niederwieser
Gisbert zu Knyphausen »Hurra! Hurra! So nicht.« — Hurra! Hurra! So nicht. Der Albumtitel spricht für sich. Ein intellektuell klarsichtiger, einfühlsamer und origineller Songwriter? Fast. 3/10 Barbara Schellner
James Last »They Call Me Hansi« — (…) Worauf soll man sich noch verlassen können? Na auf die Wertung natürlich. Die geht mir diesmal, ausnahmsweise, sehr leicht von der Hand, weil, wer hätte jemals gehört, dass eine Verpackung ohne Inhalt in The Gap auch nur einen einzigen Punkt abbekommt? Eben. 0/10 Sebastian Hofer
5. Gib Künstler*innen und der Musikindustrie ruhig Verbesserungsvorschläge. Pfeif dabei auf Diplomatie und die Sandwich-Methode.
2Raumwohnung »Melancholisch schön« — Es ist noch nie gut gegangen, wenn die Deutschen in Brasilien herumwerkelten. Inga und Tommi haben sogar die Singles, die vorher ganz passabel gewesen waren, mit ihrem Bossa-nova-Belag verhumpt. (…) Au weh. Steig auf die Humpe, Tommi, und geh nie wieder runter! 0/10 Ann Cotten
Lost Prophets »Liberations Transmission« — Liebe Sony BMG, bitte behaltet euch eure CDs, wenn ihr uns den ordnungsgemäßen Gebrauch nicht zutraut. Und wenn ihr mir so einen belanglosen Dreck wie die neue Lost Prophets schickt, erst recht! 1/10 Niko Alm
6. Ziehe Vergleiche.
Xavier Naidoo »Danke fürs Zuhören« — Die definitive Sammlung uncooler Musik. Nicht einmal Ironie-Champions kommen Xaviers Gefühlsleib bei. Er ist der Autoimmun-Ghandi deutschsprachiger Musik. 2/10 Stefan Niederwieser
The Breakers »Here for a Laugh« — Die Platte weckt durchwegs eher Assoziationen an Bryan Adams als an ernstzunehmende Rockmusik. 2/10 Michael Luger
7. Mach’s kurz und schmerzlos.
Nina Proll »12 Songs, nicht die schlechtesten« — Cocktailmusik für Fertigmixtrinker. 2/10 Michael Bela Kurz
Munch Munch »Double Vision« — Lärmiger Glamrock mit nervtötenden Orgeln. 4/10 Werner Reiter
Wampire »Curiosity« — Bei Wampire ist immer alles ein bisschen lustig gemeint. So etwas ist dann doch ermüdend. 5/10 Philipp L’heritier
The Who The What The Yeah »Nervöse Welt« — Deutschsprachiger Langweiler-Indierock mit einer Prise aufgesetztem Revolutionsgeist lehrt uns das Fürchten vor der Zukunft. 2/10 Teresa Reiter
8. Zeige, dass du den Gegenstand der Kritik schon länger im Visier hast.
Heinz »Pasadena« — Das Ausmaß der Unannehmlichkeiten, deren Ursprung in der Abneigung einer Sache gegenüber liegt, ist direkt proportional zum Umfang der Artikulation dieser Abneigung. Deshalb in aller Kürze: 3/10 Manuel Fronhofer
Heinz »It’s a Crazy World« — Mittlerweile ist die Band als Trio unterwegs und musiziert immer noch für eine Zielgruppe, die sich erst kürzlich über die erster Periode oder den Stimmbruch freute. 4/10 Manfred Gram
Heinz »Die bunten Fahnen gehn über die Welt« — Musikalisch wurde so manche Limitierung zurückgelassen und Songwriting und Instrumentierung wurden detailreicher, mitunter sogar raffinierter. Nichts geändert hat sich an den Texten, die weiterhin ziemlich wertfrei als jenseits bezeichnet werden können. 5/10 Martin Mühl
9. Bring Freund*innen und Familie ins Spiel, das macht dich menschlich.
Robbie Williams »Reality Killed the Video Star« — Ein singender George Clooney, für Mütter und Töchter gleichermaßen. (…) Danke, aber auch meiner Mutter wird das nicht gefallen. 3/10 Barbara Schellner
Effi »Astronaut« — Musik, die meine Freundin zu Kaffee- und Kuchennachmittagen mit ihren älteren Schwestern spielen würde. Kantenfreier Pop mit Hang zur Belanglosigkeit. 4/10 Michael Kirchdorfer
Patrice »One« — Ö3 wird sich freuen. Oma auch. Und Alt-Vizekanzler Herbert Haupt sowieso. Patrice macht Reggae für alle und deswegen auch für niemand. 2/10 Matthias Hombauer
10. Lehn dich ruhig auch mal aus dem Fenster …
Lady Gaga »The Fame« — (…) Überproduziert, uninspiriert. Leider ohne Witz und Ironie. Da bleibt von »The Fame« am Ende nicht viel über. Schade eigentlich. 4/10 Barbara Schellner
Was macht The Gap, seine Szene und die Popkultur allgemein seit 1997 aus? Für unsere aktuelle Coverstory haben wir je zehn Highlights aus zwanzig Kategorien zusammengestellt. Einen Überblick über alle bisher erschienenen Beiträge findet ihr hier: »200 Highlights aus 200 Ausgaben«. Die Details zu den Feierlichkeiten anlässlich unseres Jubiläums gibt’s an dieser Stelle: »The Gap wird 200 – und feiert«.