Alle Jahre wieder blickt unsere Redaktion auf die popkulturellen Highlights der letzten zwölf Monate zurück. Mit streng subjektivem Blick. Was Luise Aymar aus 2024 besonders in Erinnerung bleiben wird, könnt ihr hier nachlesen.
Mein Jahr war chaotisch, aufregend und vor allem durchsetzt von den unterschiedlichsten Gemütszuständen. Das spiegeln auch meine Top 10 Songs des Jahres wider. Sehr viel Lebensbock und glücklich sein war dabei, aber hier und da auch Stress und Bangen. Vor allem um einen Auslandssemesterplatz in Rom, neben dem ich mich seit Monaten stets bemühe wie ein echter Local zu wirken, trotz 15cm Körpergröße mehr und deutschem Akzent beim Italienisch sprechen. Was mir dabei hilft, könnt ihr in meinen Top 5 nachlesen.
Top 10 Songs
10. Dua Lipa »Houdini«
(Album: »Radical Optimism«, VÖ: 3. Mai 2024)
Was eigentlich als Flop des Jahres galt, zumindest wenn man einen Blick auf Dua Lipas sonst so glänzendes Megapopstar-Dasein wirft, entwickelte sich für mich in meiner Uni-Prüfungsphase zu einem meiner Hauptmotivatoren. Im Kopf tanzte ich dann zum vorantreibenden Rhythmus Schritt für Schritt umher, drehte Pirouetten, stampfte in den Boden, um gleich darauf einen Luftsprung zu machen. Vielleicht nicht optimal, wenn ich mich stattdessen eigentlich aufs Schreiben eines Essays konzentrieren sollte. Als Motivation bei ekligem Winterregenwetter dient der Track dafür aber allemal. Ganz wie man Dua Lipa schon aus ihrem Album »Future Nostalgia« kennt, findet sie auch mit »Houdini« zurück zu ihrer 80er-Jahre-Tanzstudio-Weltraum-Spaceship-Atmosphäre (ja, eine andere Beschreibung kommt mir für ihre Musik tatsächlich nicht in den Kopf). Diesmal allerdings mit weniger Glitzer als gewohnt und dafür mit coolerer Miene und feuerroten Haaren.
9. Rubii »Art Of Getting By«
(EP: «Change & Remain», VÖ: 31. Juli 2024)
»The Art of Getting By« ist atmosphärisch, entschleunigt und klingt irgendwie … orange. Zumindest nach jenem Orange, das sich an einem schönen Abendhimmel im Sommer durchgehend mit Pink vermengt. Zugegeben, das klingt schon sehr kitschig. Aber hört man sich den Song an, versteht man was gemeint ist. Die Farbe vermischt sich mit ruhigem Gesang, tiefen Bässen und verspielten Saxofonklängen. Dazu singt Rubii in ihren Lyrics über Dinge, wie sie kommen und gehen, Komfort in der Distanz zu diesen zu finden und die manchmal dafür nötige Trust-the-process-Mentalität. Also genau davon, was einem in den Kopf kommen sollte, wenn man in das warme Orange eines schönen Abendhimmels blickt.
8. Jafunk ft. Stefan Mahendra und Triple H Horns »Don’t Stop the Music«
(Single, VÖ: 19. Juli 2024)
Eine Jahresendliste wie diese wäre nach meinem Musikgeschmack nicht vollständig ohne ein wenig Nu Disco. Mich zu entscheiden, welcher von den vielen Songreleases des Genres mich dieses Jahr am meisten zum Tanzen gebracht hat, fällt mir nicht gerade leicht. Die Baseline in »Don’t Stop the Music« ist da aber doch ein sehr ausschlaggebendes Argument …
7. Oscar Anton »Monde Nouveau«
(Single, VÖ: 20. September 2024)
Mit einem traurigsüßen Beigeschmack singt Oscar Anton in »Monde Nouveau« über neue Welten, die sich am Himmel aufmachen. Ob man nun Französisch spricht oder nicht, irgendwie hört man das seiner Musik an. So kommen mir beispielsweise Bilder von sonnig-bewölkten Tagen am Meer und dessen grau-blaue Farbe in den Kopf. Trotzdem klingt er schön, emotional und hoffnungsvoll. Am Ende vermischen sich 80er-Jahre-Synthesizer mit einem verträumtem Gitarrensolo. Passend zu den Neuanfängen, die der Sänger in seinen Lyrics kommen sieht.
Wenn es »Monde Nouveau« nicht in den Soundtrack zur Fortsetzung von »Call Me By Your Name« schafft, melde ich mich persönlich bei Luca Guadagnino.
6. Tash »Therapist«
(Single, VÖ: 8. März 2024)
Mit »Therapist« findet Sängerin und Gitarristin Tash wieder zurück in den R&B der Nullerjahre, nur ohne kleine Handtaschen und Juicy-Couture. Dafür aber mit warmem Delay Effekt auf der Gitarre und viel Groove, der schon beim Überwältigen des ein oder anderen »Ich kriege die komplette Krise!«-Moments dieses Jahres geholfen hat.
5. Billie Eilish »Chihiro«
(Album: »Hit Me Hard And Soft«, VÖ: 17. Mai 2024)
Immer wieder überrascht es mich wie gut Mainstream Pop noch klingen kann. Und ja, auch wenn ich hier zugegebenermaßen lieber wie jemand wirken würde, der nur die aller nischigsten Nischenkünstler*innen listet, höre ich ihn doch einfach viel zu gerne. Billie Eilishs letztes Album und insbesondere ihr Song »Chihiro« gehörten dieses Jahr dazu. Der Song experimentiert mit Synthesizern, tiefen Bässen und vor allem einem: Dynamik. Diese braucht zwar ihre Zeit, um sich aufbauen zu können, gipfelt dann aber gegen Ende in einer wunderschönen Bridge. Für mich ist »Chihiro« deshalb ein Song, bei dem man leicht vergisst, in der wievielten Minute man sich gerade befindet. Ein Schrei nach Liebe und Verständnis, obwohl Billie Eilish nur ins Mikrofon flüstert. Ein Song, der ruhig ist und doch für so viel Gänsehaut sorgt.
4. Aupinard: »Parisienne High Level«
(Single, VÖ: 1. März 2024)
Während mein Kopf morgens noch im Traum einer Tiefschlafphase gefangen ist, wippt mein Körper schon zum Rhythmus eines High Levels an Liebes- und Glücksgefühlen mit.
Mit seinem Song sorgt Aupinard für die eine oder andere Sorge weniger, ohne einen aber als vermeintlicher Happy-Gute-Laune-Song zum Glücklichsein zu zwingen. Was ist jetzt aber so ein »Parisienne High Level« genau? Während der Sänger damit verträumt die Liebe zu einer Frau besingt, bedeutet es für mich eher das Gefühl von antreibender Gelassenheit und starkem Kaffee, das bei mir jetzt zu einem morgendlichen Muss geworden ist.
3. Charli XCX »365«
(Album: »Brat«, VÖ: 7. Juni 2024)
Ja sorryyyy, aber sein wir mal ganz ehrlich, man kommt um 2024 nicht herum, ohne auch über den »Brat Summer« zu sprechen. Und deshalb sollte ich hier auch nicht leugnen, dass dieser Song noch immer zu meinen meistgehörten des Jahres zählt. Während – um den Brat Spirits zu huldigen – auf Tiktok wortwörtlich grell-apfelgrüne Schreine errichtet wurden, betete auch ich zu »365« meinen Rosenkranz Perle für Perle herunter. Und wofür gingen alle auf die Knie? Naja, dafür was Charli XCX und ihre neuen Songs für uns alle repräsentierten: Mut zum chaotisch sein, feiern gehen trotz Nervenzusammenbruch und vor allem den Zusammenhalt unter Rotzgören.
2. Siska »Birdie«
(EP: «Siskapop», VÖ: 30. Oktober 2024)
Seitdem ich im Frühjahr eine Review zu ihrer damaligen EP geschrieben habe, ist Siska meine Antwort auf mein Verlangen nach Happy-Boom-Boom-Songs, gemischt mit wolkenweicher Melancholie. Das fasst auch ihren Song »Birdie« für mich präzise zusammen. Beim Anhören schwebt man nachts direkt über der Wolkendecke. Siskas typisch schrille Hyperpop-Beats überschlagen sich und bringen die Gedanken zum Fliegen. »Birdie« ist damit ein Song, um allen Sorgen entgegenzuballern und zu erkennen, wie klein sie von oben doch aussehen können.
1. Kendrick Lamar »Man in the Garden«
(Album: »GNX«, VÖ: 22. November 2024)
In seinen Zeilen zu »Man in the Garden« ist Kendrick Lamar direkt und ehrlich wie immer.
Durch Regen im Hintergrund und einen sich immer wiederholenden Beat, vereinzelten Harmonien und emotionale Zeilen sorgt er für eine zwar repetitive, aber vor allem spannende Songdynamik. Mithilfe des Bildes von Adam im Garten Eden, schreibt Lamar metaphorisch über sein Ego, seine Ambitionen und seine Gier nach der verbotenen Frucht, für ihn der Status des »Greatest of all time«. Im Song spricht er allerdings auch über die Schuldgefühle und Reue, die er aufgrund seiner Unfähigkeit, das zu genießen, was er bereits erreicht hat, empfindet. »Man in the Garden« ist daher melancholisch und gleichzeitig hoffnungsvoll. Dunkel mit einem hellen Ende. Leise und zugleich laut, während er auf ein Ende hinarbeitet, dass einen wie ein Rausch packt. Dadurch motiviert der Song dazu, sich diese Fragen selbst zu stellen: Welche verbotene Frucht würde man selbst im Garten suchen wollen? Welche Dinge übersieht man auf der Suche danach, die man möglicherweise schon längst hat? Und vor allem: Welches Recht hat man nach noch mehr zu fragen, obwohl man schon so viel besitzt?
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