Taktvoll drehen – »Valse, Valse, Valse« im Dschungel Wien

»Alles Walzer!« rief Johann Strauß seinerzeit als Ansage am Wiener Opernball. Der Walzer eroberte Wien und die Tanzflächen der Welt. Auch im Dschungel drehen sich die Tänzer*innen im Drei-Viertel-Takt und erproben was den »Valse« heute ausmacht.

© Simon Hitzinger

Hier dreht sich alles. Vor den Augen verschwimmt der Raum. Die Lichter tanzen um den Kopf, machen den Verstand schwummrig, schweben links sowie rechts vorbei und wenn die Musik stoppt, bleibt das rhythmische Rauschen in den Ohren. Das ist Tanzen. Das ist Walzer. Körper an Körper mit mehr Berührungspunkten als den Eltern früher lieb gewesen war. Denn zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Walzer wegen seiner körperlichen Nähe und Intimität verpönt und teilweise verboten. Jungen rebellischen Menschen war der Walzer allerdings ein willkommenes Geschenk, um auf dem Parkett ein bisschen aufzumischen. Heute ist dieser Paartanz von üppigen Bällen nicht mehr wegzudenken und darf auch zu Silvester wie das Glas Champagner nicht fehlen. Sinnbild für Revolution ist Walzer heute sicher nicht mehr.

Walzer reloaded

Pünktlich zum Beginn des Johann Strauß Festjahrs 2025 kommt nun die DACH-übergreifende Produktion »Valse, Valse, Valse« der Schweizer Choreografin Johanna Heusser in den Dschungel Wien und zerlegt den Walzer zuerst einmal in seine Bestandteile. Wo kommt er her, wohin geht es damit? Was ist der nächste Tanzschritt? An diesem Abend wird versucht die Schichten von Tüll, Seide und Samt abzutragen. Nur der Reifrock aus Stoff ist den Tänzer*innen geblieben. Sonst sind sie unten bis zur Unterhose entkleidet, entzaubert. Jeder Schritt, jeder Muskel zieht im Takt. Mit den Füßen wird gestampft. Und ein großer Spiegel hängt über den Köpfen der Tanzenden. Blickt wie ein großes Auge auf das Geschehen und eröffnet eine zweite Perspektive auf die Tanzfläche. Die drei Streicher*innen auf der Bühne geben den Takt an, spielen natürlich Walzer, natürlich Johann Strauß, aber nicht nur: ebenso Bach, Missy Elliot sowie experimentelle Soundcollagen und dehnen damit die Grenzen des Tanzbaren.

»Valse, Valse, Valse« (Bild: Simon Hitzinger)

Der Abend ist in verschiedene kleine Sequenzen aufgeteilt: Manchmal verschwinden die Tanzenden hinter dem Vorhang, manchmal tanzen sie allein, dann wieder zu viert. Komik und Slapstick included. Wie auf den Bällen der Vergangenheit gibt es auch auf der Dschungelbühne ein wenig Drama. Hier werden schonmal kalte Blicke geworfen und Tanzeinladungen ignoriert. Was den ganzen Abend durchhält ist das Motiv der Drehung. Eine übergreifende Choreografie, die den Schritten der Geschichte nachtanzt. So werden die historischen Bälle des Hochadels mit voluminös gefärbten Perücken auf den Köpfen und Kaugummiblasen auf den Lippen parodiert. Dieser pickige Kaugummi ist tatsächlich ein gutes Bild für den Walzer und wie er mit seiner körperlichen Klebrigkeit die Jahrhunderte durchkaut hat. Hätten sie doch Walzer getanzt, statt Kuchen gegessen!

Ordnung oder Orgie

In den verschiedenen Szenen des Abends sind auch diverse Gefühle in Bewegung wie Verlangen, Rausch, Scham oder Horniness. Dem exzessiven Drehen, das beim Walzer unumgänglich ist, wurde lange nachgesagt, zu Kontrollverlust oder gar Anstandsversagen zu  führen. Im Dschungel tanzt man sich hingegen von allen nach wie vor gegebenen Zwängen frei. Hier wird es polyamorös, Entschuldigung!, polywalzend – zu dritt zu viert, auch einmal mit einer Musikerin. Da eine Domina, bzw. eine Tanzmeisterin, die ihre Schüler*innen in den verschiedenen Graden der Verdrehung und Verrenkung unterweist. Wie sehr passen wir uns den Konventionen des Hofes, der Choreografie, der Party an? Immer wieder gibt es berührende Momente an diesem Abend: Wenn sich die Tänzer*innen gelöst im Raum bewegen, sich durchschütteln und dann plötzlich schamvoll ertappt erröten, zur Seite blicken oder gar die Bühne verlassen.

Gegen Ende des Abends stehen die Darsteller*innen auf einer maschinellen Drehscheibe. Kein Schritt ist mehr notwendig, die Drehung ist industrialisiert. Laut, aber schön anzusehen. Wie diese Drehkästchen mit Tanzfigur und lieblicher Melodie, die Kindern und Romantiker*innen gerne geschenkt werden. Der kleine Spiegel auf der Innenseite des Deckels lädt wie auch jener im Dschungel zum Beobachten ein: So eine Drehung, so ein Körper sieht im Spiegel gleich noch vollkommener aus. Zu tanzen macht einen freier, lässt einen den Raum spüren und erforschen – das machen die Tänzer*innen wunderbar. Es wird nicht langweilig, auch wenn dann und wann die Szenenübergänge etwas lose am Boden liegen bleiben. Unterm Strich überwiegt die komplex-kompakte Choreografie mit großem Gespür für Körperlichkeit und Fantasie. Sie erweicht den dekadenten Starrsinn, der den Walzer niederdrückt und legt dadurch eine Schicht aus Freude am Tanzen sowie zwischenmenschlicher Nahbarkeit frei. Das macht Lust auf Walzer. Das macht Lust auf Tanzen.

»Valse, Valse, Valse« (Bild: Simon Hitzinger)

»Valse, Valse, Valse« ist von 5. bis 9. Januar sowie von 5. bis 8. April 2025 im Dschungel Wien zu sehen.

Dieser Text ist im Rahmen eines Schreibstipendiums in Kooperation mit dem Dschungel Wien entstanden.

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