Sex and the Lugner City: I Can’t Get No Sleep

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal sucht er als Schlafloser vergeblich nach Schlaf.

© Ari Yehudit Richter

Gerade entdeckte ich noch ein neues Zimmer in meinem Kleider­schrank, schon kündigten schrille Sirenen eine atomare Bedrohung an. Doch ich entschied mich, meinen Handyalarm zu ignorieren. Stattdessen verlängerte ich meinen Traum um neun Minuten und atmete noch ein bisschen in meinen Kopf­polster. Das musste mein körper­eigener Sinn für Ironie sein: In dieser Nacht hatte ich mich stunden­lang erfolglos in den Schlaf gequält, nur um mich an ihrem Ende in einem Koma zu befinden.

Am darauffolgenden Tag hielt ich mich nur mit Mühe auf den Beinen. Ein Mittags­schläfchen wollte ich allerdings tunlichst vermeiden – das würde nur dafür sorgen, dass ich den Schlafzug auch in der nächsten Nacht verpasse. Abends auf der Couch fielen mir dann die Äuglein zu, nur um wenig später im Bett so weit offen zu stehen wie die von Alex in »A Clockwork Orange«. Es ist manchmal wie verhext. Warum lässt sich mein Bewusst­sein nicht einfach ausknipsen? Wie viele hundert Male muss ich mich wälzen? Warum ist ein geschwinder Schlummer so hard to get?

Weniger Kaffee

Diese Fragen kennen alle, die mit Schlaf­störungen zu kämpfen haben. Mein jüngeres Ich hätte noch die Gegenfrage gestellt: Warum muss ich überhaupt schlafen gehen? Die Mama hat doch gesagt, dass ich als Erwachsener so lange aufbleiben darf, wie ich will! Aber der Schlaf würde souverän kontern: »Junger Mann! Ich erfülle lebenswichtige Funktionen für Körper und Geist. Solange du unter meinem Dach schläfst, bist du mir ausgeliefert! Also saufe nicht so viel Kaffee, damit du deine Adenosin­rezeptoren nicht wieder völlig blockierst.« Und würde dabei extrem diabolisch lachen. Ich weiß nicht, wie hilfreich es ist, sich den Schlaf als Person vorzustellen. Aber in meinem Kopf ist er ein hutzeliger, weißer, alter Mann, der mit Vorliebe junge Eltern piesackt und kinderlose, freshe Millennials wie mich, die mit einem zu awesomen Tiktok-Algo gesegnet sind, um ihr Smartphone für siebeneinhalb Stunden aus der Hand zu legen. Mit den Jahren bin ich zunehmend schlafloser geworden, aber auch reifer. Ich habe mich in der Zwischenzeit natürlich informiert: Das Zauberwort heißt »Schlaf­hygiene«. Damit sind so Netdoktor-Tipps gemeint wie regelmäßig zur selben Zeit ins Bett gehen, kein Essen im Bett oder vor dem Schlafen­gehen. Also insgesamt eher wenig alltags­tauglich.

Insomnia ist Mainstream

Viel zweckmäßiger erschien es mir, mit Tabletten nachzuhelfen. Nicht mit Schlaf­tabletten! Der Schlaf-Wach-Rhythmus im Körper wird von Melatonin gesteuert. Das ist ein Hormon, das man sich praktischer­weise auch beim DM besorgen kann. Allerdings hilft Melatonin nur beim Einschlafen, wenn kein körper­eigenes mehr erzeugt wird, was bei mir noch nicht der Fall ist. Woher ich all diese Fakten kenne? Aus Gesprächen mit Leidens­genoss*innen. Von denen gibt es mittlerweile ziemlich viele. Insomnia ist nämlich Mainstream geworden. Literally jede eineinhalbte Person schläft hin und wieder schlecht.

Haben wir es hier also mit einem Zeichen der Zeit zu tun? Raubt uns etwa der Kapitalismus buchstäblich den Schlaf? Mit ziemlicher Sicherheit. Ich weiß nicht mehr, wo genau ich es gelesen habe, aber durch das Aufkommen der Stechuhren wurde die Schlaflosigkeit im Fin de Siècle zu einem Fluch, der seither permanent auf erschöpften Kopf­arbeiter*innen lastet. Seit ich das weiß, wünsche ich mir gravierende gesell­schaftliche Umbrüche. In erster Linie, damit ich endlich wieder in Ruhe schlafen kann.

Restless Legs

Bis dahin heißt es jedoch, sich mit seiner nächtlichen Ruhe­losig­keit zu arrangieren. Manchmal ist das beste Mittel gegen Schlaf­losig­keit, sie zu akzeptieren. Du kannst dich eben nicht in die Entspannung zwingen. Es bleibt dir gar nichts anderes übrig, als deine Restless Legs in die Matratze zu stampfen, während dir die ungefilterten, irrationalen und überzogenen Gedanken einer schlaflosen Nacht durch den Kopf gehen: »Nie wieder werde ich mit ihm sprechen!«, »Ich mag die Mama viel lieber als dich!«, »Was hat dieses Arschloch eigentlich Besseres zu tun, als meinen liebevoll kuratierten Fotodump zu liken?« Das nächtliche Drama hat schließlich auch etwas Kathartisches.

Idealerweise lässt man sich aber von seiner Schlaf­losig­keit nicht zu sehr stressen. Vielleicht steht man auch für ein, zwei Stunden wieder auf. Oder denkt über was Angenehmes nach. Zum Beispiel, wo in der Wohnung tatsächlich Platz für ein neues Zimmer wäre. Was man darin gerne machen würde. Wie aufwendig es wäre, eine Wand hoch­zuziehen. Was die Haus­verwaltung dazu sagen würde. Wie man Hand­werker*innen finden könnte, die so was easy hinkriegen. Man will schließlich keine zusätzlichen schlaflosen Nächte riskieren.

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Erinnerungen haben keine Häuser«. Termine und weitere Details unter www.knosef.at. Per E-Mail ist Josef unter joechl@thegap.at zu erreichen, auf X (vormals Twitter) unter @knosef4lyfe.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...