Sex and the Lugner City: Klassentreffen

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal kommt er angesichts eines Klassentreffens ins Zaudern.

© Yehudit Richter

Je älter du wirst, desto öfter holt dich die Vergangenheit ein. Sei es durch eine Nacht in deinem Kinderzimmer, eine alte Melodie, die im Supermarkt an dein Ohr dringt, oder das papiergewordene Tor in die eigene Lebensgeschichte: eine Einladung zum Klassentreffen. Letztere wurde mir kürzlich von meinem besten Freund aus Schultagen weitergeleitet. Genau genommen war sie gar nicht aus Papier. Ein JPEG in Tafeloptik erinnerte mich daran, wie alt ich geworden war. »Wenn die sich nicht mal die Mühe machen, mich persönlich einzuladen, gehe ich sicher nicht hin«, antwortete ich zunächst ablehnend. Wenige Menschen sind leichter zu googeln als mäßig erfolgreiche Komiker.

Der Freund, der mittlerweile wieder am Land wohnte, bat mich jedoch, es mir noch mal zu überlegen. Diese Gelegenheit käme schließlich nur einmal im Leben. Außerdem wäre es bestimmt ein großer Spaß zu sehen, wen sein jugendlicher Stoffwechsel bereits verlassen hatte oder wer immer noch raucht. Damit hatte er natürlich nicht ganz unrecht. So ließ ich mich also zur Whatsapp-Gruppe hinzufügen und dazu breitschlagen, auch gleich meine beste Freundin aus Schultagen zu kontaktieren, die trotz aktiven Linkedin-Accounts als ebenso unauffindbar galt. Ganz wohl fühlte ich mich jedoch nicht dabei. Wollte ich wirklich noch mal in die Schule gehen, auch wenn es nur für einen Abend war?

Feel Old Yet?

Klassentreffen lassen eben niemanden kalt. So ein Wiedersehen kann sich wie eine psychologische Zeitreise anfühlen, auf der deine gegenwärtige Identität mit dem kollidiert, was früher ein Prepaidhandy, ein paar Alcopops und eine Handvoll Haargel in einem Trenchcoat war. Als fester Bestandteil der Whatsapp-Gruppe gab es für mich jedoch kein Zurück mehr.

Meine beste Freundin, die wie ich in der Stadt wohnhaft geblieben war, reagierte eher negativ. »Wenn die sich nicht mal die Mühe machen, mich persönlich einzuladen, gehe ich sicher nicht hin«, antwortete sie. »Außerdem wollen die doch nur sehen, ob ich fett geworden bin oder noch rauche«, schob sie misstrauisch hinterher. »Also, das glaube ich nicht«, versuchte ich zu beschwichtigen. »Denen ist unser Aussehen doch egal, die bewerten uns doch viel eher nach unserem Vermögen und beruflichen Erfolgen.«

Doch dieses Argument überzeugte sie nicht. Sogar mich selbst verunsicherte es. Warum wollten wir noch mal auf dieses Klassentreffen gehen? Ich wechselte den Chat und fragte meinen besten Freund aus Schultagen. Wollten wir uns wirklich einen Abend lang die Geschichten all jener anhören, die von Geburt an mit einem Bein im Grundbuch standen? Waren wir als junge Erwachsene zwischen zwei Rezessionen nicht genug gedemütigt worden? Wie viele Fotos beige gekleideter Kinder konnten wir ertragen? Doch er reagierte ziemlich gelassen.

Middle Class Reunion

Ob in der Stadt oder am Land, mittlerweile säßen wir doch alle im selben Boot. Alle hätten die gleichen Reallohnverluste erlitten, wären vom selben Klimawandel betroffen. So ziemlich jeder Arbeitsplatz sei durch KI gefährdet. »Stell’ dir mal vor, du versuchst irgendwie eine Kleinwohnung zu finanzieren, um deinen Nachwuchs durchs aussichtslose Studium zu bringen oder ihm wenigstens ein Auskommen durch Airbnb zu ermöglichen«, endete die Sprachnachricht des besten Freundes aus Schultagen auf einer eigenartig spezifischen Note.

Im Grunde gäbe es keinen besseren Zeitpunkt für ein Klassentreffen als während eines umgreifenden wirtschaftlichen Strukturwandels, nach dem es allen in allen Belangen schlechter gehen würde. Ich solle mir also einfach ein paar Talking Points über Immobilienpreise und den Fachkräftemangel zurechtlegen, das würde mich selbst als kinderlosen, schwulen Komiker irgendwie relatable machen. Einfach mit der Truppe von damals ein bisschen auf den Sound der Finanzkrise abgehen!

I Gotta Feeling

Genau so verkaufte ich das meiner besten Freundin aus Schultagen: Ein Klassentreffen sei im Grunde nichts anderes als eine kleine Party von Menschen im mittleren Alter, die sich schon einmal begegnet sind. »Aber genau das ist ja das Problem«, antwortete sie defätistisch. »Es ist eine Party von Menschen im mittleren Alter, die sich schon mal begegnet sind.« Sie könne sich das schon vorstellen: plötzliche Altersmilde gegenüber Personen, die man früher hasste, etwas bemüht Erinnerungen aufkochen und sich dann verstohlen eine Zigarette teilen, bevor die Ersten losmüssten, um den Babysitter abzulösen. Darauf hätte sie nun wirklich keine Lust!

Dann würden wir uns wohl erst im nächsten Jahr wieder treffen, lenkte ich die Unterhaltung auf die Zielgerade. Irgendwann gehst du eben öfter zur Mundhygiene, als du deine besten Freund*innen triffst. Aber so wie sich manche Menschen vor einer Konfrontation mit ihrer Vergangenheit fürchten, mümmeln sich andere in sie ein wie in eine Kuscheldecke. Letztere gehören zu der Art, die aus freien Stücken Whatsapp-Chats für Klassentreffen aufmachen und dadurch mäßig erfolgreiche Komiker vor ein Riesenproblem stellen. Dabei könnten sie doch einfach googeln.

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Erinnerungen haben keine Häuser«. Termine und weitere Details unter www.knosef.at. Per E-Mail ist Josef unter joechl@thegap.at zu erreichen, auf X (vormals Twitter) unter @knosef4lyfe.

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