Sesseltanz der Intendanz – Was bedeutet ein Führungswechsel im Theater?

Die bunten 3D-Buttons des Burgtheaters, das Neongrün und -pink des Volkstheaters, Teata statt Tag: äußere Zeichen eines inneren Wandels. Doch was steckt hinter der Fassade? Wie tiefgreifend kann sich ein Intendanzwechsel auswirken?

© Anna Stöcher — Aus der Ensemble-Sprechtheater-Bühne Tag wird das Koproduktionshaus Teata mit Fokus auf Diversität und Mehrsprachigkeit.

Es ist wieder Herbst und damit Saisonstart an den österreichischen Theatern. Mit diesem gehen auch heuer wieder einige Änderungen in den Chef*innenetagen einher. Wie nachhaltig eine neue Intendanz die betroffene Bühne verändert, kann dabei sehr unterschiedlich sein. Denn auch welche Aufgaben diese Position an einem Theater genau umfasst, ist von Haus zu Haus verschieden. So kann damit nur die künstlerische Leitung gemeint sein oder zusätzlich noch die administrative. Die Intendanz entscheidet jedenfalls über das Programm, die künstlerischen Engagements und die Ausrichtung eines Theaters. Sie repräsentiert das Theater gegenüber der Öffentlichkeit sowie den Medien und muss dabei verschiedene Interessen mitbedenken. Neue Intendanzen gibt es regelmäßig, aber in unterschiedlichen Abständen: Die Verträge laufen verschieden lang und werden dann teilweise neu ausgeschrieben, teilweise verlängert.

»Der Intendanzwechsel stellt einen tiefgreifenden Transformationsprozess dar, der weit über die personelle Neubesetzung hinausgeht und das künstlerische Profil, die organisatorischen Strukturen, die Kommunikationsstrategien sowie die öffentliche Wahrnehmung eines Theaters nachhaltig prägt«, schreibt Manami Okazaki in ihrer Masterarbeit mit dem Titel »Der Wechsel der Intendanz und dessen Auswirkungen in Wiener Theaterinstitutionen«. Wie weitgreifend diese Auswirkungen sind, hängt einerseits von der Institution, andererseits von den einzelnen Personen ab; davon, wie sehr diese ihren eigenen Stempel auf eine Institution drücken wollen oder ob doch das Haus und wofür es steht im Vordergrund bleiben.

Mit der Saison 2025/26 übernahm Jan Philipp Gloger das Volkstheater von Kay Voges. Mit grellen Farben, herumtorkelnden Sujets und einem Wochenende mit gleich drei Premieren präsentierte sich das Haus neu. Viel aus der alten Intendanz wurde nicht mitgenommen: eine Handvoll Schauspieler*innen und ein paar Produktionen, darunter »Fräulein Else«, »Krankheit oder Moderne Frauen« und »Prima facie«. Ähnlich wie das Schauspielhaus Wien zeigt sich nun auch das Volkstheater als »Open House«, das möglichst »vielen Menschen der Wiener Stadtgesellschaft« offenstehen soll. Wie sehr das einer so großen Institution gelingen wird, bleibt abzuwarten.

Personalrochaden

Ganz in der Nähe wechselt auch das Tanzquartier Wien seine Spitze. Bettina Kogler wird als künstlerische Leitung vom Kurator Rio Rutzinger und der Choreografin Isabel Lewis abgelöst, die kaufmännische Leitung übernimmt Gerda Saiko von Ulrike Heider-Lintschinger. Außerhalb von Wien gibt es ebenfalls ein paar Änderungen: Das Festival Operklosterneuburg hat Peter Edelmann als neuen Intendanten, ans Landestheater Niederösterreich kommt ab der Saison 2026/27 Patricia Nickel-Dönicke, die Marie Rötzer ablöst. Letztere übernimmt ab Beginn derselben Spielzeit gemeinsam mit Stefan Mehrens als kaufmännischem Direktor die Leitung des Theaters in der Josefstadt. Dort ersetzen sie den Langzeitintendanten Herbert Föttinger, dessen Wutausbrüche für ein angsterfülltes Arbeitsklima gesorgt haben sollen. Für Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe habe es, laut Berichten von Der Standard, unter ihm kaum Konsequenzen gegeben.

Die Tradition der so gut wie uneingeschränkt handelnden Direktor*innen an den Theaterhäusern fördert Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten. Das zeigt auch die Situation am Theater der Jugend, an dem der Direktor Thomas Birkmeir körperlicher und verbaler Übergriffe beschuldigt wurde. Gleichzeitig gab es am Haus auffällig viele Kündigungen sowie ein dementsprechendes Kommen und Gehen in allen Abteilungen. Birkmeir leitet das Theater der Jugend schon seit 2002, mittlerweile sind kürzere Führungsverträge an Theatern üblich. Dadurch soll solch ein totalitäres Führungsverhalten unterbunden werden. Mit Herbst 2026 übernimmt nun Aslı Kışlal die Leitung.

In den Sprachen Wiens

Ein Intendanzwechsel drückt sich oft vor allem in strukturellen Änderungen verschiedener Dimensionen aus. Davon bekommt das Publikum mal mehr, mal weniger mit. Die Marke bleibt meist erhalten. Eher selten passiert es, dass ein Theaterhaus komplett umgekrempelt wird und künstlerische sowie kaufmännische Leitung gleichzeitig ausgeschrieben werden. Ebendies war aber kürzlich der Fall – im ehemaligen Theater an der Gumpendorfer Straße, kurz Tag.

Sara Ostertag, künstlerische Leitung Teata (Bild: Apollonia T. Bitzan)

Sara Ostertag und Claire Granier Blaschke haben als künstlerische beziehungsweise kaufmännische Leitung den Standort übernommen. Der Wechsel ist hier überaus deutlich spürbar. Aus dem Tag wird nun nämlich das Teata. Das Gebäude bleibt zwar dasselbe, doch gibt es lange und umfangreiche Sanierungsarbeiten. Aus der Ensemblebühne Tag mit Fokus auf Sprechtheater wird mit dem Teata ein Koproduktionshaus für die freie Szene mit einem Fokus auf Diversität und Mehrsprachigkeit. »Dieses Jahr passiert alles noch etwas reduzierter«, so Ostertag. »Der Stadt war zuerst nicht bewusst, was da alles zu tun ist. Es gibt jetzt aber ein sehr konstruktives Verhalten der Stadt und einen Willen zum Standort.«

Das Duo bewarb sich zwar separat, wollte jedoch von Anfang an gerne zusammenarbeiten. »Saras Konzept hat mich mit der Vision von Mehrsprachigkeit, Inklusion und dem Kulturpolitischen angesprochen – alles Themen, die in unserer Branche Relevanz haben«, erklärt Granier Blaschke. Als kaufmännische Leitung beschäftigt sie sich mit dem Budget und Fördergeldern, die künstlerische Leitung sei für sie wie ein Kompass, der die Richtung vorgibt. Neben der inhaltlichen Gestaltung muss auch ein Betrieb mit neuen Verwaltungsstrukturen aufgebaut werden. »Unsere Strukturen wachsen aus der Kunst heraus.«

Claire Granier Blaschke, kaufmännische Leitung Teata (Bild: Apollonia T. Bitzan)

Ostertags Vision von Mehrsprachigkeit soll sich dabei auf den Ebenen von Text, Programm, Personal, Kommunikation und Publikum widerspiegeln. Die Stadtgesellschaft, die auch viele andere Sprachen als Deutsch spricht, soll abgeholt werden: »Ich habe darüber nachgedacht, was es in Wien gibt – und was nicht.« Dabei habe sie eine Bühne für mehrsprachige Autor*innen vermisst, so die neue künstlerische Leiterin. Nun folgt eine komplette Umstrukturierung des Betriebs und damit einhergehend die neue Marke Teata. »Die Sprachbarriere beim Zugang zu Kultur ist krass«, meint Granier Blaschke. Das sei zu ändern. Ein großer Bruch mit der Tradition des Tag.

Das Tag im Abriss

Ferdinand Urbach, Gründungsmitglied des Tag, weiß von dessen Ursprüngen und Geschichte zu erzählen. In den 1980ern hat die Gruppe 80 ein altes Kino in der Gumpendorfer Straße umfunktioniert. Über zwanzig Jahre führten sie es als private Institution. Doch das änderte sich mit der Theaterreform um 2005. »Es geht immer darum, wem das alles gehört und wer die Entscheidungen trifft«, erklärt Urbach. Mit der Theaterreform wollte die Stadt Wien die Intendanzen von privat geführten Theatern, die aber öffentliche Gelder bekommen, ausschreibbar machen. Zu diesem Anlass reichten drei erfolgreiche freie Gruppen ein Konzept für eine Vierjahresförderung ein und bekamen auf Empfehlung der Jury den Standort an der Gumpendorfer Straße. Ihr erklärtes Ziel: Theaterstrukturen demokratischer und offener für die freie Szene zu gestalten und die gläserne Decke der Kulturbranche zu zerbrechen.

Diesem Ansatz verliehen sie zusätzlich Nachdruck, als sie ihre Struktur 2014 an die Stadt übertrugen, genauer gesagt an den Theaterverein Wien, der damit für Kontrolle und Ausschreibung der Leitungspositionen zuständig war. Für das Tag sei nur folgerichtig gewesen, dass, wenn man öffentliche Gelder bekommt, die Politik auch mitgestalten können sollte, erinnert sich Urbach: »Manche nennen das vielleicht naiv, wir fanden das eigentlich demokratisch und richtig.« Doch dann sah sich das Tag 2023 mit den ernsthaften Konsequenzen dieser Entscheidung konfrontiert: Der Vertrag der Leitung wurde nicht verlängert. Die Intendanz wurde neu ausgeschrieben.

Ferdinand Urbach, Gründungsmitglied Tag (Bild: Anna Stöcher)

»Mehr Zusammenarbeit der Stadt mit den auszuschreibenden Institutionen wäre cool. Jetzt zieht man einfach den Stecker«, so Urbach. Es sei nicht gefragt worden, was die Themen dieses neugedachten Hauses sind, ob Ostertags Konzept überhaupt räumlich möglich ist. Auch die Namensänderung sieht er kritisch, sei das Tag doch absichtlich neutral genug benannt worden, sodass der bekannte Name in eine neue Intendanz hätte mitgenommen werden können. Und während der Sanierungsarbeiten fehle nun eine wichtige Bühne in der Wiener Szene. »Es geht viel Wissen und Kontinuität verloren. Auch wenn die Übergabe menschlich, finanziell und strukturell vorbildlich war.« Es sei ihm wichtig gewesen, betont Urbach, nicht alles hinter sich niederzureißen, wie es an anderen Standorten passiert sei. »Ein Wechsel ist immer teuer. Wir haben die Saison früher beendet, um das finanzieren zu können. Wir mussten Leute früher kündigen. Das war schmerzhaft und das hätten wir so nicht machen müssen.« Wien verliere eine mittlere Ensemble-Sprechtheater-Bühne, ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal des Tag.

Wohin nun?

Auch das lange Jahre treue Publikum muss sich nun fragen, wohin es zukünftig gehen wird. »Man muss den Schieberegler zwischen Erneuerung und Kontinuität für das bestmögliche Ergebnis verstellen«, befindet Ferdinand Urbach. Die Stadt habe ihren Teil an diesem Wechsel nicht gut genug gemacht. »Wie der Übergang betreut – oder besser: nicht betreut – wurde, hat mich enttäuscht.« Eines scheint jedenfalls klar: Der Umbau von Tag zu Teata ist ein deutliches Beispiel dafür, dass ein Intendanzwechsel mehr als nur einen neuen kosmetischen Anstrich bedeuten kann.

Das Teata feiert am 12. November 2025 in Kooperation mit dem Schauspielhaus Wien seine erste Premiere – mit der Produktion »Das Ende ist nah« unter der Regie von Sara Ostertag.

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