Die alljährliche SXSW wirkt wie ein Seismograf, der anzeigt, welche Ideen künftig in der Onlinegesellschaft ausschlägt und was dem innovativen Grundrauschen zuzurechnen ist.

Wenn auf der Konferenz in Austin über Technologie gesprochen wird, dauert es jedenfalls selten lange, bis in einer Keynote oder einem Panel das Verhältnis von Noise und Signal auftaucht: die Frage, wie viel von dem, was wir in einem digitalen Kontext sehen, hören oder produzieren, tatsächlich Bedeutung trägt und wie viel davon bloßer Lärm bleibt. Dieses Jahr bekam dieser Begriff eine beinahe ironische Doppelbedeutung, weil er nicht nur als abstrakte Metapher funktionierte, sondern fast perfekt zu zwei Keynotes (an zwei verschiedenen Tagen) im großen Ballroom D passte, die völlig unterschiedlich daherkamen: Es sprachen Jay Graber (Bluesky) und Meredith Whittaker (Signal).
Beide traten und treten noch immer mit dem Versprechen an, Nutzer*innen wieder mehr Kontrolle über ihre digitale Realität zu geben. Beide argumentieren, dass Social Media fairer, sicherer und selbstbestimmter werden muss. Und doch lagen Haltung, Tonfall und inhaltliche Priorität beim Vortrag weiter auseinander.

Bluesky
Jay Graber präsentierte Bluesky als Antwort auf die geschlossenen Plattformökonomien von Meta, TikTok oder X, also jene Systeme, in denen Accounts gefangen und Communities untrennbar an proprietäre Infrastrukturen gebunden sind. Ihre Vision ist ein Internet, in dem Profile, Followers und selbst die Logik des Feeds portabel werden. Kein Lock-in in einem digitalen Käfig, sondern Wahlfreiheit als Form der Kontrolle. Graber sprach ruhig, fast vorsichtig, als wäre Bluesky weniger ein politisches Projekt als eine schlichte, technisch zwingende Korrektur der bisherigen Architektur sozialer Netzwerke. Es ist ein sauberer Ansatz, Daten und Struktur zu entkoppeln.
Im Grunde aber nichts neues. Die Rhetorik Grabers fühlte sich stellenweise überraschend wie Noise an. Das lag weniger an mangelnder Substanz, sondern weil kaum Haltung durchschimmerte. Ein unterkühltes Grundrauschen.
Signal
Der Kontrast zu Meredith Whittaker hätte kaum schärfer sein können. Bei ihr ging es nicht um Feeds oder Features, sondern um Macht: um Überwachung, staatliche Zugriffsmöglichkeiten, systematische Datensammlung und das sehr reale Risiko, dass alles, was heute verschlüsselt gespeichert wird, irgendwann entschlüsselt, missbraucht oder militärisch instrumentalisiert werden kann. Ihr Satz »The only way to protect data is not to collect it« war kein Branding-Spruch, sondern eine Zäsur. Eine Erinnerung an die drohenden Entschlüsselungsszenarien, die Quantum Computing mit sich bringen wird und daran, dass Sicherheit im Netz kein Komfort ist, sondern eine politische Voraussetzung.
Whittaker sprach direkt, selbstbewusst, manchmal fast provokant, aber niemals aggressiv. Man hatte das Gefühl, sie hatte zu lange zugesehen hat, um noch bereit zu sein, höflich um Grundrechte zu bitten. Sie war eindeutig Signal im ursprünglichen Sinn.
Kontrollgewinn
Beide forderten Kontrolle, aber in verschiedenen Formen. Für Graber bedeutet Kontrolle, wählen zu können, wie wir Social Media nutzen: welcher Feed, welche Moderation, welche Plattform. Für Whittaker bedeutet Kontrolle, die Machtbalance im Hintergrund zu verschieben: Wer darf mitlesen? Wer darf speichern? Und wer darf am Ende entscheiden, was sichtbar bleibt?
Wenn man die SXSW 2025 als großes Gespräch über Bedeutung und Ablenkung liest, dann steht Bluesky für die evolutionäre Optimierung der Oberfläche, während Signal daran erinnert, dass darunter eine Schicht existiert, über die wir viel zu wenig sprechen: die strukturelle Sicherheit digitaler Freiheit. Am Ende bleibt ein prägnanter Eindruck: Jay Graber möchte ein Internet, in dem wir frei wählen können. Meredith Whittaker möchte ein Internet, in dem diese Wahl nicht gefährlich ist. Beide Visionen sind relevant. Aber dieses Jahr war deutlich zu sehen, wer Signal war und wer noch Teil des Rauschens.