In Österreich werden viele Dokumentarfilme gefördert. Das Publikum scheint sie vor allem über die Themen wahrzunehmen. Ein Defizit. Ist Film wirklich nur schnödes Trägermedium?
Letztens auf der Viennale. Da lief ein Film namens »Leviathan«, für den zwei wackere Filmemacher über Monate auf einem Fischkutter vor der winterlichen Küste von Massachusetts bei schwindelerregendem Wellengang mitgetuckert sind. Das Ergebnis bewegt sich hart am Avantgardefilm: Farben, Formen und unsichtbare Kräfte bestimmen die Bilder, die sich oftmals nachtschwarz präsentieren, mit grünen, blauen oder roten (Fischblut!) Farbflecken. »Leviathan« ist Dancefloor, eine hypnotische Reise, auf der die Geräusche des Trawlers, des Wassers, des Windes, des Schlachtens einen in ein suggestives Sounddesign integrieren. Dieser Dokumentarfilm ist hochspannend, aber eines sicherlich nicht: eine kritische Abrechnung mit den Praktiken der Hochseefischerei. Umso erstaunlicher, dass sich das Publikumsgespräch danach aber größtenteils darum drehte. Erfreulich einerseits, dass sich hinsichtlich der Produktion unserer Nahrungsmittel so viel bewusstes Publikum versammelt hat. Enttäuschend andererseits, weil das Medium Film wieder mal zum reinen Botschaftsträger degradiert wurde.
Topic-driven könnte man Filme nennen, die ihre fixfertige Geschichte notgedrungen auch bebildern müssen. Die sozusagen für die Dialoge auch noch was Visuelles zur Untermalung brauchen. Filme, die so funktionieren, auch und gerade in kommerzieller Hinsicht, gibt es viele. Vor allem auch Dokumentarfilme, die ja oft mit einem Anliegen, etwas ganz Bestimmtes zu dokumentieren daherkommen. In Österreich gab es in den vergangenen Jahren wahre Doku-Blockbuster, Erwin Wagenhofers »Let’s Make Money« und »We Feed The World« etwa avancierten zu absoluten Spitzenreitern. Mit Themen, die bewegen – die Krisen des Finanzsystems und unsere Nahrung – und global gedacht. Dort, wo das Fernsehen sich in Soaps, Serien und Shows festgefahren hat, springen solche Arbeiten ein. Das ist gut so. Filmkulturell betrachtet hat der Jubel über möglichst viele Besucher aber einen Haken: Wer sich selbst eine Art Quotendruck im Kino auferlegt, läuft Gefahr, sein Publikum zu verbrennen. Oder, anders formuliert: Wer beim Publikum mit Themen punkten möchte, das Medium selbst aber nicht ernst nimmt, wird ein Problem bekommen, sobald die Themen einmal ausgehen.
Weil dann die Leute nicht genug damit vertraut gemacht wurden, was einen als genuin filmische Form, als offene, vieldeutige Filmsprache, als eigenwilliges Hybrid zwischen Realität und Kunst oder wie immer man »Kino« beschreiben möchte, zu faszinieren vermag. Sie werden sich dann eben wieder anderen Medien zuwenden, die diese Themen auch weiterhin garantieren, die wie brave Esel die aufgepackten Inhalte tragen und darüber keine Ansprüche stellen. Youtube und eine ganze Generation lässt grüßen.
Mit dem Abflauen des Dokumentarfilmbooms in Österreich gibt es derzeit so eine Situation. Man muss nicht unbedingt nach einer didaktischen Maßnahme und Medienunterricht in den Schulen rufen, den die Regierung im Übrigen schon seit den 50er Jahren ankündigt. Das lässt sich etwa in der um das Wohl der Jugend besorgten, damals vom Unterrichtsministerium (!) herausgegebenen Zeitschrift »Filmkunst – Zeitschrift für Filmkultur und Filmwissenschaft« nachlesen. Für eine selbstgesteuerte Mediensozialisation spricht viel. Angebote, sich einzuklinken, gibt es genug. Im aktuellen Kinojahr sind weit mehr dokumentarische als fiktionale Arbeiten aus Österreich zu sehen. Drei junge Beispiele für sehr persönlich gehaltene und formal bewusste Filme: »Richtung Nowa Huta« über die Metamorphosen einer polnischen Stahlwerk-Modellstadt; »More Than Honey« über den Konnex von Ökonomie und Bienensterben; »Nr. 7«, die Erkundung eines Mietshauses und seiner Bewohner. Nur einer der drei Filme erreichte ein breiteres Publikum: der Bienenfilm. Warum? It’s the topic, stupid!
Mehr in der Filmkolumne von Gunnar Landsgesell gibt es hier.