Kolumne Blow-up: Die Berge sind Frei

Genre ist nicht nur narrative Konvention, sondern auch geteiltes Erleben und Verstehen. Notizen zu Blutgletscher und Heimatfilm.

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Noch einmal zur klugen Genreproduktion »Blutgletscher«: Ursprünglich hatte der Film ja »Gletscherblut« geheißen. Der Titel musste geändert werden, weil es bereits eine deutsche Fernsehproduktion gleichen Namens gibt. So verdrängte der Gletscher das Blut in der primären Wahrnehmung des Titels, was auch eine Deutungsverschiebung vom Organischen zum Geografischen mit sich brachte. Die ursprüngliche Betonung von Blut, in Verbindung mit dem Narrativ des Berges, ließ die historische Referenzialität von Heimatfilmen und schicksalshaftem Geschehen in den Vordergrund treten. Dass auch noch die Genetik eine Rolle spielt – die Körper von Tieren mutieren zu Chimären – bringt einen assoziativ fast schon auf die Nazi-Zeit und deren filmischen Korpus.

»Blutgletscher« selbst versucht aber nicht, sich mit historischen Topoi auseinanderzusetzen. Auch das Genre des Heimatfilms mit seinem gesellschaftlichen Determinismus, den genderauffälligen Förster-/Wilderer- und Großbauerfiguren und schließlich seiner verlogenen Moral bieten nur die filmhistorische Rahmung einer Erzählung, die auf dem Berg spielt und mit Begriffen wie Blut und Genetik changiert. Eigentlich ein erfreuliches Zeichen, dass die Referenzpunkte dieses Films nunmehr zeitgemäß ausfallen dürfen.

Die Klimaveränderung scheint ein wichtiger Punkt zu sein, in dem das Creature Feature seinen Anfang findet. Zudem zeigt die Verschiebung der Genreausrichtung vom Heimat- zum Horrorfilm (wiewohl dieses oft auch sehr nahe beieinander lag), dass die österreichische Gesellschaft sich soweit verjüngt (und ihren mentalen Isolationalismus überwunden) hat, dass ein Andocken an internationale Formate auch in heimischen oder »nationalen« Rahmungen möglich ist. Bei einem Film über Blut und Berge und Eis steht einfach so John Carpenter Pate, ohne dass Luis Trenker 2.0 noch einmal auf den Berg zum Kampf gegen Riesenameisen getrieben werden muss. Nach dem völkisch-dümmlichen Determinismus der Heimatfilme, der erst in den 1970er Jahren abebbte bzw. im Lederhosen-Jucken eine letzte groteske Selbstentäußerung fand, und nach einer Phase kritischer Heimatfilme, die sich noch einmal am Genre abarbeiten mussten, scheinen die Berge nun wieder frei zu sein.

Almrauschen

Entscheidend ist dabei der Genrebegriff, der hier freigesetzt wird. Geht es bei Genre doch nicht allein um bestimmte narrative Konventionen, etwa, dass in einem Horrorfilm erst im zweiten Akt ein Monstrum auftreten dürfte. Sondern auch darum, dass Genre so etwas wie ein kollektiv geteiltes emotionales Erleben (Kappelhoff) ermöglicht und herstellt. Dass sich also im Genrekino Kommunikationszusammenhänge und Erfahrungen einer Gesellschaft öffnen und verflüssigen, dieser also nicht nur eine filmische Sensation vorgesetzt wird, sondern auch deren aktives Verstehen vorausgesetzt werden darf.

Damit unterscheidet sich so eine Filmproduktion in seiner responsiven Kollektivität etwa von Arbeiten, die solitär funktionieren, die man als kritische, aber nur vereinzelte Positionen nennen kann. Denkt man an die 70er-Jahre, als das Heimatfilmgenre langsam auslief, dann war dieses ja nicht nur ein Unterhaltungsformat. Die Filme wurden fast alle von deutscher Hand finanziert, während die Österreicher als stolze Enzian- und Almenrauschvertreter durch das Bild liefen. Auf Aufnahmen, die etwa die Medientheoretiker Peter Weibel und Valie Export bei ihren Straßenaktionen in den 60er/70er-Jahren zeigen, sieht man im Hintergrund die Lodenmantelfraktion auch in der Bundeshauptstadt auf den Gehsteigen stehen und glotzen. Devianz war damals – anders als mit dem Ende, das Blutgletscher nahelegt – kein kollektivierendes Programm für Zukunft. Heimatfilm in Österreich wurde zum Narrativ einer reaktionären Gesellschaft selbst, ein funktionierendes Genre in Ausdruck und Sprache seiner Zeit.

Die Gründung der Österreichischen Filmförderung 1981 war insofern eine Zäsur. Sie hat den finanziellen Boden bereitet, um einzelne Autorenpositionen wie jene von Valie Export (etwa ihr Spielfilm »Unsichtbare Gegner«, 1976) in das Kommunikationsgeschehen eingreifen zu lassen. Genre ist ein Container, der solches Geschehen anbietet, verschränkt und verändert. Blutgletscher ist insofern selbst ein Mutant auf diesem Gebiet, und das ist gut so. Denn Widergänger des Heimatfilms treten noch einmal, nun als Farce auf, wie demnächst »Im weißen Rössl“«. Hier ist die Welt noch auf unheimliche Weise in Ordnung, nur mehrheitsfähig ist das nicht mehr.

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