Michael Haneke ist der Übervater des österreichischen Films. Nicht wegen seiner Preise, sondern weil ganze Generationen von ihm zehren sollten.
Vor genau 40 Jahren realisierte Michael Haneke seinen ersten Fernsehfilm mit dem schönen Titel „…und was kommt danach?“ Eine programmatische Frage, denkt man an die erstaunliche fünffache Oscar-Nominierung für einen kleinen europäischen Film über das Sterben. Aber auch daran, wer eigentlich nach Haneke in diesem Land für solch inszenatorische Tiefgänge und preisträchtige Höhenflüge in Frage kommt.
Während Monsieur Haneke in Hollywoods Zentrum weiter vorgedrungen ist als manch erfreuten Beobachtern klar sein dürfte – er wurde ja nicht allein für den Auslands-Oscar nominiert, sondern auch für den besten Film überhaupt; eine Kategorie, die die Amerikaner üblicherweise unter sich auszumachen pflegen – hat er sich zugleich vor einem anderen Preisregen zurückgezogen. An der Nominierung für die Österreichischen Filmpreise, sie werden am 23.1. vergeben, nahm Michael Haneke freiwillig nicht teil – der Schatten des Übervaters des österreichischen Films wäre zu gewaltig für das, was dort wachsen und gedeihen soll.
Tatsächlich ist neben Haneke und Ulrich Seidl, dem zehn Jahre jüngeren, formal und inhaltlich enger gefassten zweiten Exponenten von internationaler Bedeutung, kaum jemand auszumachen, der/ dem man eine filmische Vision von solch formaler und inhaltlicher Klarheit und Umsicht unterstellen könnte. Wer schafft es zudem bei brillanter, gesellschaftlicher Kritik sein Publikum nicht zu vergessen? Zugegeben, der Mann, dessen filmische Hauptdarstellerinnen alle Anne Laurent heißen, hatte auch einige Zeit, sich zu entwickeln. So richtig „groß“ wurde er in einem Alter, in dem andere Meister ihres Fachs sich bereits in ersten Aufgüssen ihrer stärksten Werke üben. Mit Götz Spielmann („Revanche“; demnächst das Sterbedrama: „Oktober November“) und Jessica Hausner („Lourdes“) seien zwei Filmemacher/innen erwähnt, die einiges von der Konzentration Hanekes mitbringen.
Räume, Kammern, Zonen
Die Frage ist: Wie agiert die Filmförderung mit Leuten, die sich in der Mitte ihrer künstlerischen Entwicklung befinden? Wie können sie gefördert, gefordert, geschützt vor dem Markt werden? Und welche Räume bietet die Film- und Produktionslandschaft jungen Talenten an? Sind solche, wie sie Haneke im Rahmen eines noch nicht auf Quote geeichten öffentlich-rechtlichen Rundfunks hatte, überhaupt noch möglich?
Unlängst wies jemand auf eine Studie hin, laut der im Österreichischen Filminstitut zwischen 2005 und 2010 77 verschiedene Regisseure gefördert worden seien. Man kann das als Zeichen von Pluralität und Heterogenität, als Ausdruck einer Vielheit von Nachwuchstalenten verstehen. Tatsächlich sollte niemand die Chance auf eine glorreiche Zukunft verwehrt sein, auch im Interesse der Öffentlichkeit, die später einmal an Festivalerfolgen partizipiert und diese schließlich auch für sich reklamiert. Ohne eine gezielte Förderung, in der einzelne Protagonisten mit Umsicht aufgebaut werden, wird das aber nicht funktionieren. In der diffusen Auseinandersetzung, in der es beinhart um vorhandene Mittel, um Eigeninteressen und Richtungsentscheidungen geht, wächst auf diesem Nährboden aber das falsche Kraut. Es vernebelt den Blick darauf, wo die Talente liegen. Einmal entdeckt, braucht es für sie einen langen Atem. Und es braucht die Weitergabe von Wissen. Sonst geht es Österreich, wenn auch in kleinem Stil, so, wie Italien, das in einem dramatischen Generation Gap und Crash der Medienlandschaft von einem der bedeutendsten Impulsgeber des Weltkinos in die völlige Regression abgestürzt ist.
Wer wie Haneke vermitteln kann, wie man analytisch und dennoch empathisch arbeitet, wie sich Frankfurter Schule mit Provokation verbinden lässt, wie man Schauspieler kühl und zärtlich zugleich einsetzt, wie man mit präzisen ästhetischen Vorstellungen an ein breiteres Publikum herantritt, wie man schließlich ein kontingentes Kino ohne inhaltliche Diffusion gestaltet, den sollte man möglichst lange im Land halten. Auch wenn mit dieser Ausrüstung nicht jeder Film eine nationale Komödie wird.