Tino Sehgal könnte deinen Abend retten. Er schafft mit seinem Publikum einmalige Situationen und stellt ganz intuitiv einige wichtige Fragen. So nebenbei befreit er uns von dieser albernen Lattenkunst.
Das klinische Kunstlicht einer Galerienvernissage enthüllt jede Hautunreinheit, immer. Schade, unpraktisch, verunsichernd und ein grundsätzlicher Konzeptionsfehler von Galerien im Vergleich zu Bars. Um sich nämlich die Lattenkunst von heute anzuschauen, wirft sich ohnehin niemand wirklich in Ausstellungsräume, die Stimmung dort wird durch das Licht in der Regel noch deutlich unromantischer. In solchen Ausnahmesituationen helfen meistens nur noch Sätze wie: »Also, diese Intervention kontextualisiert den Raum sicherlich machtvoll und drückend neu – aber das Einzige, was bei mir momentan noch wirklich etwas auslöst, ist zeitgenössischer Tanz!« Der zweite Teil des Satzes ist dabei besonders wichtig, denn er macht dem Gegenüber klar, dass man irgendwas fundamental Wichtiges an der zeitgenössischen Kunst- und Kulturproduktion kapiert hat, wenn auch nicht ganz klar ist, was das genau sein könnte.
Ästhetische Erfahrung overruled das Lattenkonzept
Aber natürlich gibt es auch gute Gründe, warum zeitgenössischer Tanz einen unsagbar treffenden und angesagten Ebenenwechsel darstellt. Der Kunstdiskurs gibt sich in den letzten Jahrzehnten gerne und häufig damit zufrieden, einen Halbsatz von Bourdieu oder Baudrillard (jedenfalls einem der mit »B« beginnenden Franzosen) durch die Neigung eines Brettes an einer Wand zu visualisieren. Anders gesagt: Es ist zunehmend mehr Leuten zunehmend egal, ob irgendwer irgendwo irgendwelches Zeug in einer Galerie abgestellt hat (falls es das nicht immer schon war). Am Allerbesten wäre es aber natürlich, es wieder einmal mit mehr Unmittelbarkeit, mit körperlichem Empfinden zu versuchen. Unter anderem das Donaufestival versucht eine Brücke zwischen Popmusikfestival und hauptsächlich performativen, theatralen Kunstformen zu finden. Es bewegt sich dabei phasenweise auf neuem Terrain und scheitert daran auch gelegentlich. Im letzten Jahr manchmal sogar kläglich, so bei der enervierend langweiligen, zwar verkopften, aber ästhetisch irrelevanten Performance »The End of Feminism as we know it« als Wrestlingshow von Dolce After Ghana.
Dieses Jahr schickt sich das Festival in Krems an, es besser zu machen. Es besteht aller Grund zur Hoffnung: Tino Sehgal wird die Kunsthalle in Krems bespielen. Er steht dabei gegen alle oben geschilderten Probleme der zeitgenössischen Kunstproduktion.
Tino Sehgals konstruierte Überraschungen
Segal arbeitet an constructed situations. Er lässt spielende Akteure – er nennt sie Interpreten – vorbereitete Anweisungen ausführen. Oft gehen sie rhythmisch durch den Raum, sagen mantra-artig Sätze auf, schnalzen, klatschen, singen, versuchen den Zuschauer miteinzubeziehen. Es entstehen magische Situationen, oft etwas bedrückend, oft den Raum öffnend. Es kommt im besten Fall zu einer Auflösung des Einzelnen in der Gruppe und im Augenblick, unmittelbar und unverkopft. Von seinen konstruierten Situationen will Sehgal keine Aufzeichnungen, Kataloge, oder sonstige Übertragungen in andere Medienformen, als den Raum und den Moment selbst. Tanz und Theater integriert er unter dem etwas leblos institutionalisierten Begriff »Kunst« und gibt ihm wieder etwas Glanz und Sentiment zurück.
Das Publikum erlebt dabei Intimität, peinliche Berührtheit und Gruppendynamiken. Gleichzeitig lässt erst das Publikum die »künstlerische Aussage« in seiner Interaktion und Reaktion entstehen. Die Interaktionssituationen zwischen Darstellern und Publikum und der Besucher untereinander sind zwar künstlich hervorgerufen, entwickeln aber trotzdem, oder gerade deshalb eine nur für den Moment einmalige Authentizität. Das ist dem einzelnen Beobachter im Publikum wiederum klar, vor allem auch, weil er sich in einem artifiziellen Museums- bzw. Galerieraum bewegt. So werden Zusammenhänge und soziale Praktiken in der Auseinandersetzung mit Themen wie Kunstproduktion, Marktwirtschaft und Gesellschaft offengelegt.