Heinz Strunks erzählt in seinem neuen Roman über die Kindheit von Mathias Halfpape. Das kann man durchaus als Prequel zu „Fleisch ist mein Gemüse“ sehen. Eine schöne, aber nicht immer inspirierte Reise, durch die Gefilde der Melancholie.
Heinz Strunk braucht man eigentlich nicht vorstellen. Eckdaten seiner Vita sind geläufig: Aus dem Stand könnte man z. B. wissen, dass Strunk gemeinsam mit Rocko Schamoni und Jaques Palminger das tiefsinnige Anarchoklamauk-Trio Studio Braun bildet. Dass er ein ausgezeichneter Musiker, dürfte ebenfalls bekannt sein. Und auch, dass er Romane schreibt. Sein literarisches Debüt „Fleisch ist mein Gemüse“ (2004) verkaufte sich 400.000 Mal, wurde verfilmt und der Buchtitel avancierte zu einem schönen, geflügelten Wort. Man schnappt es nicht selten bei Thekengesprächen auf, wenn zu fortgeschrittener Stunde Veganer mit Omnivoren über Essen und Ernährung diskutieren.
Die tragischkomische Geschichte, über das deprimierende Dasein als Tanzkapellenmusiker in der tristen Vorstadt, sollte man sich nun ganz kurz in Erinnerung rufen. Es geht darin um den nicht ganz lebenstüchtigen, schwer suchtgefährdeten Musiker (Alkohol, Automatenglücksspiel, Masturbation etc.) Mathias Halfpape, der zwischen Auftritten bei Hochzeiten und Dorffeiern mit seinem Schicksal hadert und mit seiner depressiven Mutter in einem Reihenhaus zusammen lebt. Das ist alles stark autobiografisch, Heinz Strunk heißt nämlich laut Reisepass ebenfalls Mathias Halfpape.
Kindheit 1966
Die literarische Figur Mathias Halfpape begegnet uns nun in Strunks fünften Roman „Junge rettet Freund aus Teich“ wieder. Strunk erzählt darin die Geschichte einer Kindheit. Seiner eigenen? Wahrscheinlich. Wissen tut man es freilich nicht, ist aber letztlich auch unerheblich. Der Roman setzt im Spätsommer 1966 ein. Der sechsjährige Mathias lebt mit seiner Mutter, einer Musikschullehrerin und seinen Großeltern in Harburg bei Hamburg. Alles ist sehr unaufgeregt, vorörtlich und ein wenig reihenhausidyllisch. Es gibt täglich frischen Kuchen, der Junge hasst den Kindergarten, es wird Fußball gespielt, manchmal Unfug gemacht. Einen kleinen Wald mit Bach gibt es auch. Der Junge liebt seine Mutter, Oma und Opa. Er wird zurück geliebt. Der nicht vorhandene Vater wird in ein paar Nebensätze verfrachtet und zumindest vom Buben nicht sonderlich vermisst. Alles ist – abgesehen von ein paar bösartigen oder nervenaufreibenden Nachbarn – vorörtlich, reihenhausidyllisch und gemütlich behütet.
Ruhig lässt Strunk seinen sechsjährigen Ich-Erzähler diese sorglosen Tage beschwören. Die kindlich, naive Sichtweise wird dabei nicht immer konsequent durchgehalten. In entscheidenden Momenten schimmert der Komiker Strunk durch, der mit lakonischem Witz oder einer bissigen Bemerkung Situationen Stimmung verleiht und kommentiert. Das tut er auch, in den restlichen beiden Romanlöcken, betitelt „1970“ und „1974“.
Hölle Pubertät 1974
In denen wird die Idylle aber langsam gebrochen. Die unbeschwerten Tage sind vorbei. Auch weil sich Mathias’ Mutter sehr verändert hat. Gefangen in der Tretmühle des Alltags und unzufrieden mit der Wohnsituation, lässt sie ihren Launen und passiven Aggressionen freien Lauf. Ein letzter, unbeschwerter Sommer am Land, den Mathias als 10-jähriger bei seiner Großtante erlebt, markiert den dräuenden Abschied von der Kindheit.
Dann geht es Schlag auf Schlag. 1974. Hölle Pubertät. Der Großvater ist im Heim. Die Großmutter rapide gealtert und gekrümmt. Mutter und Sohn leben nun in einer Hochhauswohnung und Mathias’ Mutter hat fast völlig den Boden unter den Füßen verloren. Im Gleichschritt dazu, hat sich auch die Harburger Vorortidylle verändert. Der Wald ist geroded, Felder sind zu Bauland umgewidmet worden und der kleine Bach ist ausgetrocknet.
Mathias ist nun 14 Jahre alt. Er strauchelt in der Schule und im Zwischenenmenschlichen, raucht wie ein Schlot, entdeckt die Freuden von Morphiumtropfen und Alkohol. Der Junge scheint langsam am Leben zu ertrinken. Dass er dann kurzzeitig gar zum Helden wird, ist ein sehr schönes Bild. Am verschärften Ton in diesem Romanabschnitt ändert das aber nichts mehr. Überhaupt erinnert das letzte Buchdrittel mit dem ganzen Strunk’schen Masturbationssynonymen und dem latenten und offenen Mutter-Sohn-Konflikt bereits stark an Strunks literarischen Wurf „Fleisch ist mein Gemüse“. Das kann man – wenn man will – als Kunstgriff interpretieren, als Präludium bereits bekannter Tragik. Man kann es aber auch fad finden. Strunk köpfelt elegant in die Sümpfe der Melancholie rein und viele seiner Beschreibungen funkeln grausig schön. Trotzdem wirkt einiges am Buch reingepanscht und uninspiriert.
"Junge rettet Freund aus Teich" ist soeben via Rowohlt erschienen.