Lichtspiel-Hausse

Nicht zuletzt Michael Hanekes Oscar-Triumph hat es wieder einmal bewiesen: Österreichische Filmemacher sind international gefragt wie schon lange nicht mehr. Aber sind sie es wegen oder trotz der heimischen Filmförderpolitik?

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Der Bundespräsident war hörbar aus dem Häuschen, sah ihn erbracht, den »Beweis dafür, dass Österreich in den letzten Jahren zu einem weltweit anerkannten Filmland geworden ist«. Kulturministerin Claudia Schmied wollte da Heinz Fischer in nichts nachstehen und sah in den Oscars für Michael Hanekes »Liebe (Amour)« und Christoph Waltz als Bester Nebendarsteller neben einer »herausragenden Leistung unter den Weltbesten« gleichfalls einen Beweis erbracht – nämlich jenen, »dass Qualität sich durchsetzt«.

In den Stunden nach der Academy-Awards-Verleihung funkelten die Augen der kulturpolitischen Entscheidungsträger des Landes wieder einmal ausgesucht filmpatriotisch ob des wiederholten Preisregens für österreichische Filme. Jene der Boulevard-Presse wurden gleich gar nicht mehr trocken vor lauter vaterländischer Verzückung. Wir sind Oscar, erneut. Wir sind Filmnation, selbstredend. Wenn man das ohnehin schon fortgesetzte Auszeichungs- und Festivalfurioso miteinbezieht, das da neben Preishamsterer Haneke (u.a. mit Goldener Palme, Golden Globe, BAFTA Awards und Césars dekoriert) insbesondere ja auch Ulrich Seidl mit seiner »Paradies«-Trilogie und einem Cannes-Venedig-Berlin-Wettbewerbsteilnahme-Hattrick hinzulegen wusste, lässt sich leicht ein weiteres Jahr des so gern beschworenen »Österreichischen Filmwunders« feiern.

Relativiert wird das selbstgestrickte Bild vom Vorzeigefilmland aber schon bei der genaueren Aufdröselung der eingesetzten finanziellen Mittel von Hanekes »Liebe (Amour)«, das überall östlich von Wien und westlich von Feldkirch primär als eine französisch-deutsch-österreichische Koproduktion gilt – bei der die Austro-Geldquellen letztlich noch nicht mal 20 Prozent des Produktionsbudgets ausmachten. Und freilich war auch Stefan Ruzowitzkys »Die Fälscher«, der heimische Sieger-Vorgänger in der Oscars-Kategorie Bester fremdsprachiger Film, erst auf Basis einer breit aufgestellten internationalen Finanzierung denk- und realisierbar. Karl Markovics, Schauspieler, Präsident der Akademie des Österreichischen Films und Regisseur (des vielprämierten »Atmen«), konstatierte zwar vor der Oscar-Verleihung in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Profil, dass es »normal« sei, wenn man sich nun »auf diese Erfolge stürzt und sie in gewisser Weise auch vereinnahmt«, wollte aber auch festgestellt haben, dass dies auch »positive Seiten« haben könne, wenn »dadurch der österreichische Film im Allgemeinen profitiert.«

Visionen vs. Klassensprecherkunst

Dennoch könnte man ob diesem Zustand eine zugespitzte Vermutung in den Raum werfen: Ist weltweite Anerkennung für heimische Filmemacher also erst möglich, wenn sie sich wie weiland Billy Wilder oder Fred Zinnemann (aus gänzlich anderen Gründen selbstverständlich) von Österreich – zumindest sanft – abzunabeln vermögen? Sind international relevante Austro-Filme letztlich also als Errungenschaft einiger begnadeter Einzelkämpfer zu betrachten, die es sich erst über den Weg guter internationaler Vernetzungen ermöglichen konnten, ihre Visionen umzusetzen? Könnten deren Erfolge also nicht eine Initialzündung für eine konsequent verfolgte filmpolitische Agenda bedeuten? Für ein zukunftsgewandtes Förderwesen, das eine institutionelle Basis schaffen könnte für ein weiteres prächtiges Gedeihen des heimischen Kinos? Eines aufregenden heimischen Kinos, das auf Augenhöhe mit einem Publikum agiert, das dies nicht nur ebenso fördert, sondern gar fordert?


»Film war hierzulande ein über Jahrzehnte komplett ignoriertes Medium. Jetzt, wo der österreichische Film international einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat, wollen natürlich alle mitreden – inklusive derer, die keine Ahnung haben«, bremst mit Paul Poet einer, der es leider besser wissen muss, allzu vorschnell aufkommende Vorfreude. Als Filmemacher – zuletzt lief seine Gegengesellschaften-Doku »Empire Me« im Kino – und als einstiger Obmann des Regieverbandes ADA – Austrian Directors’ Association – kann er aus erster und auch zweiter Hand von einschlägigen Erfahrungen aus dem kräftezehrenden Abklappern der maßgeblichen Fördereinrichtungen berichten: Österreichisches Filminstitut ÖFI, Filmfonds Wien und ORF (im Rahmen des Film-/Fernseh-Abkommens). »Die Kommissionen sind von Grund auf auf den kleinsten gemeinsamen Nenner aus«, so Poet. »Das mag man als basisdemokratischen Prozess interpretieren wollen. In Wirklichkeit ist es der Erzfeind jeder Kultur. Denn dieser Entscheidungsprozess vernichtet das Außergewöhnliche, das Spektakuläre, das Mutige, das, was aus der Reihe tanzt, damit das Atemberaubende, was Kino ja von Grund auf ausmachen sollte. Fördert das Durchschnittliche, die Klassensprecherkunst sozusagen. Und geht vor allem jeglicher Kontroverse und jeglichem Experiment komplett aus dem Weg. Da gibt es einfach eine wahnsinnige Angst davor, in großen Anteilen aus vorauseilendem Gehorsam, sei er politisch oder gegenüber der Branche.«

Auf der Suche nach dem verlorenen Zuschauer

Diese Angst vor allem, was potenziell als aufsehenerregend, womöglich gar als kontrovers aufgefasst werden und damit dem gar nicht so unausgesprochenen Gebot einer TV-Hauptabendtauglichkeit zuwiderlaufen könnte, dürfte eindeutig mit der Katerstimmung zu tun haben, die derzeit ob der Zahlen an den Kinokassen herrscht. Es geht nämlich ein Gespenst um in der heimischen Filmbranche – es heißt: Zuschauerschwund. Mehr als halbiert hat sich da etwa der Marktanteil des österreichischen Films von 2009 auf 2011 – auf nunmehr nur noch knapp über drei Prozent, auch 2012 kam kein Aufschwung. Trotz immer mehr Kinostarts von Austro-Produktionen – im Schnitt war es im Jahr 2012 jede Woche einer – finden sich immer weniger Arbeiten, die tatsächlich auch breiten Publikumsanklang finden. Mit Hanekes »Liebe (Amour)«, den beiden Literaturadaptionen »Die Wand« und »Die Vermessung der Welt« sowie dem Kinderfilm »Yoko« konnten sich die vier Jahrgangsbesten gerade mal so im Bereich von 80.000 verkauften Tickets einpendeln.

Gut möglich, dass die beobachtete Entwicklung damit zu tun hat, dass nach dem Abdanken des gern mit einer eigenen Austro-Komödienschule verwechselten Kabarett-Kinos im letzten Jahr auch die von Filmemachern wie Erwin Wagenhofer, Hubert Sauper oder Michael Glawogger so zugkräftig gepushte Dokumentarfilm-Hochzeit deutlich zum Erliegen kam – offenbar hat sich das Interesse des heimischen Publikums nach dem investigativen Dauerfeuer zu so unterschiedlichen Themen wie Nahrungsmittelproduktion, Plastikverpackungen oder Lichtessen schlichtweg erschöpft.

Aber liegt es überhaupt ausschließlich an deren Qualität, dass so viele Arbeiten auch aus ganz anderen filmischen Ecken ihren Weg zum Publikum nicht finden? »Viele österreichischen Filmproduzenten streben es auch gar nicht unbedingt an, dass ihre Filme erfolgreicher als nötig werden«, führt Poet hierzu ernüchtert ins Treffen, »denn das macht sonst nur mehr Arbeit beim Abrechnen und nächsten Einreichen, da ja Erfolge auch Rückflüsse in die Fördertöpfe bedeuten würden. Da reicht es oft schon, dass der Film unfallfrei im Kino anläuft und ein wenig drüber berichtet wird. Dass ein bisserl wer reingeht und die TV-Ausstrahlungen gewährleistet sind.« Nur wenige, darunter klar auch die großen Firmen wie Dor, Wega und Allegro, wären grade deswegen so erfolgreich, weil sie sich damit nicht zufriedengeben. Dabei wäre mit dem internationalen Preisregen die Zeit günstig wie nie, damit sich auch Kleine ähnlich große Schuhe anziehen und weltweit andocken könnten.


Reaktion auf die Resonanz: Populismus

Auf diese nackten Zahlen, die ein sehr relativer Maßstab der Bewertung von Filmen sind, besonders im Lichte der in den vergangenen Jahren nicht nur von Haneke, Seidl und Ruzowitzky erzielten enormen internationalen Resonanz, sondern eben auch von Götz Spielmann, Jessica Hausner, Barbara Albert, Josef Dabernig, durch die Kamerarbeit von Markus Schleinzer oder zuletzt Daniel Hoesl (dessen avantgardistisches Spielfilmdebüt »Soldate Jeannette« bei den Filmfestivals von Sundance und Rotterdam zuletzt für Furore sorgte), wird derzeit jedenfalls mit ebenso nackter Panik, mitunter gar Populismus reagiert.

Und so wird dieser Tage gerne mal vieles gefördert, was zwischen Komödien aus der trivial-eskapistischen Til-Schweiger-Feel-Good-Ecke, Skispektakel-Dokus und restaurativem »Weißes Rössl«-Provinzialismus irgendwo seinen mitunter miefigen Platz zu finden gedenkt. Eine starke Regionalismus-Fixierung wird dahingehend auch der seit Ende 2011 neuen Filmfonds-Wien-Geschäftsführerin Gerlinde Seitner nachgesagt. Die befand in einem Interview mit der Austrian Film Commission, dass »für das Publikum Filme gemacht werden [müssen], die es sehen will« – wofür es freilich angezeigt wäre, hellseherische Fähigkeiten zu entwickeln, die man nicht einmal im Hollywood-Studiosystem besitzt. Zudem wollte sie dort mit den rund 11,5 Mio. Euro Budget verstärkt Projekte mit Schauplatz Wien gefördert haben. Es darf also davon ausgegangen werden, dass dort auch in Zukunft auf Postkartenkino gesetzt werden wird, das Touristen anlocken und das Stadtbild behübschen soll, wie man es etwa in Fernando »City Of God« Meirelles’ globetrottendem Hochglanz-Episodenfilm »360« schon so prototypisch vorgeführt bekam.

Glück im Genrekino

Und dennoch, es gibt sie, die Silberstreifen am Horizont – und sie tun sich bevorzugt im Zusammenhang mit dem heimischen Genrekinos auf. Poet selbst versucht weiter, seine finanz- und vertriebstechnisch bereits auf internationalen Beinen stehende Aufbereitung von Heinz Sobotas Zuhälter-Memoiren »Der Minus-Mann«, einer räudigen Charakterstudie im Milieu, durchzuboxen. Und dann sollen da heuer ja auch noch zwei weitere Kino-Konquistatoren mit vielversprechenden neuen Arbeiten aufwarten.

Zum einen wird Marvin Kren nach dem schon sehr beachtlichen Zombie-Abenteuer »Rammbock« seine Schauder-Expertise in größerem Maßstab unter Beweis stellen dürfen: Im Hochgebirgs-Horror »Blutgletscher« (vormals »Glazius« betitelt) lässt eine aus einem schmelzenden Gletscher austretende rote Flüssigkeit die Tierwelt unerbittlich mutieren und darob die Crew einer Wetterstation in Schrecken und Panik versinken. Zum anderen darf derzeit Andreas Prochaska eine der bislang teuersten heimischen Filmproduktionen überhaupt stemmen. Er gilt nach dem Komödien-Hit »Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott« und seinen beiden »In 3 Tagen bist du tot«-Teilen als ein von Kassa und Kritik gleichermaßen geschätzter Teufelskerl des Gegenwartskinos made in A. In seiner gern als Alpenwestern bezeichneten Bestseller-Bearbeitung »Das finstere Tal« wagt Prochaska ebenfalls einen Ausflug in ungemütliche Alpinwelten. Das für österreichische Verhältnisse üppige Budget von rund 6,5 Mio. Euro sollte neben der für Austro-Produktionen seltenen internationalen Schauspielprominenz (für die Hauptrolle konnte Sam »Control« Riley gewonnen werden) auch gebührende und konkurrenzfähige Schauwerte garantieren.

Womöglich sind es auch solche Genrekino-Abenteu(r)er, die der österreichischen Filmlandschaft eine Frischzellenkur und eine Fährte in die Zukunft legen könnten. Vorbei an der unter dem Schutzmantel der Festivalerfolge und Preisregen von Arthouse-Aushängeschildern wie Seidl oder Haneke viel zu eifrig geförderten biederen Hausmannskost. Und auch vorbei an dem zum Event-Kino aufgeblasenen TV-Movie-Tand, von dem man annimmt, dass es der Steuerzahler so und nicht anders wünschen würde. Es wäre dies eine Fährte hin zu einem heimischen Kino, das zu brennen und zu beglücken, das zu glänzen und aufzureiben weiß, das dabei gern den wilden Ritt ins Unbekannte wagt. Das lieber im Saft des Spektakels steht, statt im Sud des Kalküls. Schockierend. Schön. Schillernd. Wünschenswert. Und nicht zuletzt realisierbar: Insbesondere auch mit dem neuerdings endlich erhöhten Budget (um 3,43 Mio. Euro auf insgesamt 20 Mio. Euro) des Österreichischen Filminstituts. Versprochen und im Regierungsprogramm festgehalten wurde selbige Aufstockung ja bereits 2008 – richtig: im Zuge der bislang letzten Oscar-Euphorie rund um Stefan Ruzowitzkys »Die Fälscher«.

Österreichischer Film ist demnächst bei der »Diagonale – Festival des österreichischen Films« von 12. bis 17. März zu sehen. Das »Crossing Europe – Filmfestival Linz« zeigt im Schwerpunkt »Local Artists« und zwei Programmkooperationen ebenfalls schwerpunktmäßig regelmäßig heimische Filme. Die Viennale dagegen hat ein bekannt kompliziertes Verhältnis zu diesen.

Mit »Zweisitzrakete« (Hans Hofer), »Paradies: Hoffnung« (Ulrich Seidl), »Nerven Bruch Zusammen« (Arash T. Riahi), »Kern« (Veronika Franz, Severin Fiala) laufen derzeit außerdem vier Filme aus der ungefähren Bandbreite heimischen Filmschaffens an.

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