Krise und Revolution treiben Kunst und Kino um. Wie rebellisch kann Kino heute überhaupt sein? Kann es mobilisieren und soll es das? Diesen Fragen geht das Spezialprogramm "Strange Days" des heurigen VIS Kurzfilmfestivals nach.
Lenny Nero dealt. Seine Clips dringen mit einer neuen Apparatur direkt ins Bewusstsein und erzeugen dort Rauschzustände. Und er hat auch das harte Zeug. Seine Geschichte spielt im Jahr 1999. Der Cyberpunk-Thriller "Strange Days" (1995) von Kathryn Bigelow bildet, überspitzt gesagt, den heutigen Medienkonsum ganz treffend ab. Unbegrenzte Flatrates daheim und mobil machen 24 Stunden Reizüberflutung täglich möglich. Wie politisch kann Kino inmitten dieser bewegten Zeit überhaupt noch sein? An Krisen mangelt es auch im Jahr 2013 nicht. Ob Wirtschaftskrise, ökologische oder politische Krise – Film hat die Möglichkeit, unterschiedlichste Problematiken zu visualisieren. Die Darstellungsformen sind so vielfältig wie die Krisen selbst und reichen von konkreter Schilderung bis hin zur Abstraktion. Bei komplexen Entwicklungen wie dem weltweiten Bienensterben, kann ein Film wie "More Than Honey" wichtige Aufklärungsarbeit leisten. Offen bleibt die Breitenwirksamkeit. Ein Problem des politischen Films ist oft sein didaktischer Charakter, der es ihm in Zeiten des permanenten Medienangebots noch schwerer macht, Aufmerksamkeit zu erregen.
Andernorts wird von didaktischen Praktiken ganz abgesehen und ein experimenteller Pfad eingeschlagen, der primär Atmosphären erzeugen will und dem Publikum den Ball für Eigeninterpretation zuspielt. Um die lethargische Stimmung des geteilten Deutschlands zu plakatieren, stellt sich Christoph Schlingensief barfuß in den Schnee und spielt auf der Trompete, kaum einen Ton treffend, das Deutschlandlied. Sein Zweiminüter "Für Elise" von 1982 – Teil des VIS-Sonderprogramms – visualisiert einen Krisenzustand. Auch hier bleibt zweifelhaft, inwieweit eine unkommentierte Darstellungsform den Weg für Engagement oder Widerstand ebnen kann. Oder ob es einfach nur Kunst ist, mit schön-rebellischem Anstrich.
Auf zum Aufstand?
Der Drang nach Aufstand fordert schließlich ein bestimmtes Maß an Radikalität im Film. Das liefert Schlingensief, als er 1990, in der ersten Stunde der Wiedervereinigung, die deutsche Nation in "Das deutsche Kettensägenmassaker" mittels einer westdeutschen Metzgerfamilie kompromisslos abschlachtet. Lars von Trier ist ebenfalls ein Freund des radikalen Kinos. Begleitet von einer wackeligen Handkamera bricht sein Dogma-Film "Idiots" mit der gesellschaftlich vorgegebenen Political Correctness gegenüber geistig Behinderten – allerdings mit dem primären Ziel, das Spießbürgertum im Land vorzuführen. Der Film polarisiert erwartungsgemäß. Bei aller Radikalität kommt die Darstellung konkreter Probleme aber oft zu kurz. Zu verallgemeinert sind häufig die Feindbilder und lassen gesellschaftspolitische Dimensionen folglich auf Kinderschuhgröße schrumpfen. Hinzu kommt, dass radikalere Filmansätze meist nur in kleinen Becken aus Filmkritikern und Arthouse-Fans vor sich hintümpeln.