Evgeny Morozov hat sich mit »The Net Delusion« (2011) einen weltweiten Ruf als bissiger Kritiker der Netz-Utopisten erarbeitet. Mit seinem neuen Buch macht der in Weißrussland geborene Blogger und Autor genau dort weiter, wirft wichtige Fragen auf und bleibt Antworten schuldig.
Mit »Smarte Neue Welt« ist Evgeny Morozov ein brillanter und streckenweise bitterböser Rundumschlag gegen die Geeks gelungen, die die Meinung vertreten, Technologien – und im Speziellen »das Internet« (er setzt den Begriff konsequent zwischen Anführungszeichen) – könnten alle Probleme der Welt lösen, wenn man sie nur lässt. In Silicon Valley werden Services entwickelt, mit denen alles und jedes verbessert werden kann. Notfalls wird ganz einfach das Problem umgedeutet oder neu definiert. In den Businessplänen der Unternehmen fänden sogar unausgegorene Ideen Platz, die »vielleicht sogar den Naivlingen auf den TED-Konferenzen – dem Woodstock der intellektuellen Weicheier – zu groß erscheinen«.
Schluss mit dem Internet-Defätismus
Der Autor geht mit »Internetvordenkern« wie Jeff Jarvis oder Lawrence Lessig hart ins Gericht, weil sie seiner Meinung nach »das Internet« als etwas beschreiben, dem eine naturgesetzliche Logik innewohnt, anstatt sich intellektuell redlich mit der Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Technologie auseinanderzusetzen. Morozov bringt zahlreiche Beispiele, dass die sogenannte digitale Revolution mehr von evolutionären Entwicklungen gekennzeichnet ist als von den harten Brüchen, die eine Revolution kennzeichnen. Ganz besonders scharf kritisiert er die Meinung des Rechtsprofessors und Creative Commons-Mitbegründers Lawrence Lessig, »das Internet« könne nicht mehr verschwinden. Das verhindere eine vernünftige historische Auseinandersetzung mit Technologie, weil sie in einen quasi-religiösen Status gehoben wird. Sein Plädoyer für eine »säkularisierte« Technologiegeschichtsschreibung wird Morozov wohl viel Zustimmung bringen.
»So offen, dass es wehtut«
Schwieriger wird es schon bei seiner skeptischen Haltung gegenüber den Grundwerten »Offenheit« und »Transparenz«, die von Geeks und Internetaktivisten als absolut gesetzt werden. Auch hier bringt Morozov viele Argumente vor, wo die kompromisslose Forderung danach gefährlich werden kann. Bei den Aspekten, wo es um den Schutz der Privatsphäre geht, wird er in Europa wohl auf Verständnis stoßen – mehr jedenfalls als in den USA. Mit seinen vage ausformulierten Ideen zu einer Regulierung wirbelt er allerdings Staub auf, den er nicht einmal ansatzweise wieder einfangen kann.
Doch darum geht es ihm gar nicht. Im Nachwort äußert er die Hoffnung, dass das Buch einen Beitrag zu Neuordnung der Fronten in den »intellektuellen Schlachten um digitale Technik« leistet. Auf der einen Seite sollen die stehen, die das Internet mit allem, was dazugehört, als gesellschaftlich konstruiertes Konzept betrachten und auf der anderen sind diejenigen, die es als analytische Kategorie zur Erklärung der Welt benutzen.
Morozov zählt sich selbst zur Spezies des »osteuropäischen Griesgrams«, der auf seine Fähigkeit vertraut, »wertlose Ideen« zu zerpflücken. Das macht sein Buch wirklich lesenswert. Er gesteht aber auch ein, dass er nicht allzu viel gegen den Solutionismus jener ausrichten kann, die die Welt kaputtverbessern. Hier bleibt er die Antworten schuldig.
»Smarte Neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen« (Originaltitel: »To Save Everything, Click Here«) von Evgeny Morozov ist im Blessing Verlag erschienen.