Überdosis Fremdscham

Wenn Jan Delay nicht gerade die Welt umarmt und Rockalben produziert, kann er so richtig gemein werden. Wir aber auch.

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Hier die Liste an Leuten, die Jan Delay nicht ganz so lieb hat:

#1: Ökoeltern

Jan Delay ist nicht nur Musiker, er ist auch seit ein paar Monaten Vater und damit hochqualifizierter Erziehungsberater. Daher lasst euch von Jan gesagt sein, dass diese ganzen Bio-Eltern heute eine Generation von Weicheiern heranzüchten. Sein Tipp: Steckt eure Kinder lieber in die siffigste Kita, statt in so eine bescheuerte Bildungsbürger-Besserverdiener-Öko-Tagesstätte. Seine Kinder sollen ja mal so bescheiden werden wie er und keine verwöhnten Gören.

#2: Dicke Kinder und deren Eltern

Nicht nur Ökoeltern sind Schuld an einer missratenen nächsten Generation. Nein, auch Eltern, die glauben, eine Tiefkühlpizza reicht als Nahrung für den Nachwuchs aus, stehen auf Jans Abschussliste. Falls du also an Adipositas leidest, oder ein Kind hast, das übergewichtig ist: Jan hat extra einen Song für dich geschrieben, darüber wie scheiße du bist.

#3: Helene Fischer Fans

Jan möchte den Deutschen ja niemals zu nahe treten, aber er ist halt einfach der Meinung, dass Leute wie Helene Fischer Musik für Leute machen, die sonst keine Musik hören. Hätten sie Ahnung von Musik, würden sie ja seine Musik hören.

#4: Heino

Wenn Jan Delay Songs von Nena, den Ärzten oder Das Bo covert, ist das natürlich voll ok, Jan ist ja auch cool. Das ist eigentlich echt eine Ehre für Nena, die Ärzte oder das Bo. Aber wenn Heino einen Song von Jan Delay covert, geht das ja mal gar nicht. Da muss man sofort einen Song drüber schreiben, wie beleidigt man sich fühlt und den Mann als Nazi beschimpfen!

#5: Konzerne

Als linker, die Rote Flora unterstützender Hip Hopper muss man das natürlich: Konzerne hassen. Wie passt den das sonst zusammen, wenn man eigentlich die RAF loben will und gegen die Polizei schimpft und dann Großkonzerne toll finden würde? Aber Jan Delay kriegt sogar diesen Spagat zusammen: der kann gegen Konzerne labern und trotzdem Nikes tragen. Cool, fett und geil.

Es gibt da aber eben auch ein paar Dinge, die wir an ihm nicht ganz so schätzen:

#1: Liebe zum Schwarzen Block

Ja klar, jeder braucht wohl sein Ventil und muss mal Druck ablassen, da stimmen wir Jan Delay ja zu. Aber anderer Menschen Autos anzünden? Wirklich, muss das sein? Wenn man schon ernsthafte Agitation will: Friedliche Demo? Leserbriefe schreiben? Oder Protestsongs? Aber für 50 Prozent der Leute ist es seiner Meinung nach ja sowieso nur Entertainment. Wenn nichts im Fernsehen läuft, muss man halt Autos anzünden, klar.

#2: Der Macher des Gesetzes

Jan Delay, das ist der mit den Lösungen. Eigentlich hätte er in die Politik gehen sollen und das Medienrecht reformieren. Sein Lösungsansatz: Kinder stehlt die Musik im Internet, aber lasst euch nicht erwischen. So macht er’s ja auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln und seiner Musik. Aber Filesharing-Seiten sollte man seiner Ansicht nach trotzdem einfach schließen, damit dass mit dem erwischt werden auch nicht mehr so oft passiert. Toll, gegen und gleichzeitig für gratis Downloads zu sein, kann schon was. Damit hättest du sicher alle Wählerstimmen bekommen.

#3: Alte Masche:

Die erste Single des neuen Jan Delay Albums heißt "St. Pauli" und wer hätte das gedacht, es ist eine Lokalhymne. Gab’s ja schon ein paar. "Hamburg Calling" von den Kollegen von Fettes Brot zum Beispiel oder Udo Lindenbergs Reeperbahn-Hymne. Ja klar, für die hat er sich "Penny Lane" bei den Beatles ausgeliehen und Fettes Brot hat auch nur von The Clash geklaut. Macht der Jan nicht. Das sein Albumcover wie das von Heureka (Tomte, 2008) aussieht ist Zufall. Und dass er plötzlich "Rockalben" aufnimmt, nachdem jetzt auch schon Heino damit angefangen hat, natürlich auch. Oder Ironie des Schicksals.

#4: "Rockalbum"

Und wenn wir gerade bei "Jan Delay bringt ein Rockalbum heraus" sind: die Scheibe ist so rockig, man bricht sich beim Headbangen fast das Genick. Wow, Jan hat sich also an AC/DC, Iggy Pop, Queens of the Stone Age und Slash orientiert. Hört man nur nicht. Eine Schwalbe macht eben noch keinen Sommer und eine E-Gitarre und ein paar Anarchierufe noch keinen Rock.

#5: Arroganz:

Ja, klar die absoluten Beginner waren die derbste Band der Welt und du bist der Chefstyler. Ja, wir haben’s begriffen, lass stecken. Und wenn du mal wieder wen dissen willst: wie wär’s zur Abwechslung mal mit irgendeinem ach so coolen Hip Hopper oder Rocker, wie du einer bist. Schlager-Star-Promi-Bashing ist doch was für Weicheier mit Ökoeltern. Da stirbt man ja fast an einer Überdosis Fremdscham.

Vielleicht haben wir ja hiermit verbal übers Ziel hinausgeschossen, aber wenn Jan Delay eine Party schmeißt, größer als die von Hugh Heffner, dann wären wir wahrscheinlich sowieso nicht eingeladen, aber das ist uns egal.

Jan Delays jüngstes Werk Hammer & Michel erschien am 11. April.

Bild(er) © Paul Ripke
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