Berlin hat sich an die Spitze internationaler Hot Spots digitalen Schaffens gereiht und will nun in einem Satz neben dem Silicon Valley oder Tel Aviv genannt werden. Die Berlin Web Week trägt dazu bei und verwandelt Berlin jährlich in einem einwöchigem Festival zu dem Treffpunkt der internationalen digitalen Szene.
Über 20 Veranstaltungen finden im Zeitraum einer Woche statt, wobei das Wort Veranstaltungen hier zu kurz greift, denn neben den anderen größeren Konferenzen wie der Next und der Media Convention bietet alleine schon die Re:publica 350 Sessions an und stellt damit eines klar: Es ist ohnehin unmöglich alle Vorträge, Workshops und Events zu besuchen. Die Auswahl an guten Vorträgen und Interessanten Vortragenden ist groß, nicht selten muss man wählen und verzichten.
Europa muss aufholen
The New Normal lautet die Headline der Next Konferenz und meint damit, dass Computer, Mobile Devices und damit digitale Themen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und praktisch jeden Bereich menschlichen Zusammenlebens beeinflussen. Die deutsche Politikerin Brigitte Zypries, die unter anderem für IT auf deutscher Bundesebene zuständig ist, verkündete in ihrer Eröffnungsrede den Ausbau des Standorts Deutschland für die IT Startup Szene – verschiedene Programmpunkte der Regierung sollen es ab Sommer 2014 vor allem Investoren als auch Unternehmern erleichtern hier Fuss zu fassen.
Was mit keinem Wort erwähnt wird: Die NSA-Spähaffäre
Die Themen umfassender, digitaler Überwachung, wie sie zuletzt von Edward Snowden aufgedeckt wurde und deren Auswirkungen auf den Menschen und die Gesellschaft wird Konferenzübergreifend von der Politik völlig ignoriert. Auch zur Eröffnung der Re:publica findet sich – trotz Einladung – kein Minister, der dieses zur Zeit für die digitale Sphäre und gleichwohl öffentlichen Raum, wesentlichste Thema erwähnt. Im Hinblick auf die Ablehnung einer offiziellen Befragung Edward Snowdens zur Aufklärung der Spähaffäre in Deutschland, scheint das eine Bankrotterklärung der Regierung in ihrer Funktion als demokratisch gewählte Volksvertretung, sich mit diesem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen.
Mikko Hypponen, CEO der finnischen Software Sicherheitsfirma F-Secure, schiebt die Schuld auf die unzureichende Förderpolitik der EU in Bereich von IT-Unternehmen. “Nennen Sie mir 5 große Firmen im Bereich Softwareentwicklung aus den Vereinigten Staaten” und dann “tun Sie das selbe mit 5 europäischen Firmen”. David Hasselhoff, der ihn bei seiner Präsentation unterstützt, kann zumindest – mit eine wenig Unterstützung – Apple als Beispiel einer amerikanischen Firma nennen und Mikko fügt dem noch Google, Yahoo, Facebook und Twitter hinzu – bei den europäischen tun sich dann aber auch Experten schwer: 9 von 10 Firmen dieser Größenordnung haben ihren Firmensitz in den Vereinigten Staaten und unterliegen somit dem Patriot Act, dem Gesetz, dass den Aufbau und Benutzung eines lückenlosen Überwachungsapparats legitimiert.
Europa muss hier aufholen und dass aus Sicht eines Unternehmers die Investition in die Wirtschaft sinnvoll erscheint ist nachvollziehbar. Das konsequente Ausschweigen der Politik zeigt aber, dass es hier auf politischer und gesellschaftlicher Ebene einen mindestens eben so hohen Bedarf gibt.
Don’t worry we are from the Internet
David Hasselhoff wird aufgrund seines Lieds “Looking for freedom” zum Botschafter des von Hypponen initiierten “digital freedom manifest” gewählt – das scheint etwas weit hergeholt, die Assoziation zu Berlin ist aber vielleicht gar nicht so falsch: Hier scheint sich nun knapp 25 Jahre nach dem Mauerfall die Internationale Netzaktivisten Szene zu versammeln. Und damit sind nicht nur die Konferenzen gemeint – zahlreiche international bekannte Netzaktivisten wählen Berlin als Lebens- und Arbeitsmittelpunkt.
Was die Politik versäumt holen die Vortragenden nach. Vor allem auf der Re:publica äussern sich die Vortragenden der Hauptbühne durch die Bank kritisch und besorgt bezüglich der Entwicklungen im Internet: Andy Bichlbaum und Mike Bonanno (Yes-Men), Annalee Newitz (Electronic Frontier Foundation), Sarah Harrison (Wikileaks), Jillian York und Jacob Appelbaum (Tor Project), Mikko Hypponen (F-Secure) und Sascha Lobo widmen die Hauptbühne am ersten Tag kompletten diesem und verwandten Themen. Sascha Lobo fasst in seiner Rede zur Lage der Nation die digitale Welt im Jahr Eins nach Snowden zusammen.
Die Re:publica hat sich zu einer Gesellschaftskonferenz entwickelt, die relevante Inhalte über ihre technische Innovation hinaus thematisiert und das tut was dringend notwendig ist: die Auswirkungen digitaler Technologien auf unser Leben in den Vordergrund zu stellen. Wir leben in einer hoch technisierten Welt und nur wenige Menschen verstehen, was da passiert und vor allem wie es genau funktioniert. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird die Menschheit ganz zentrale und gigantische Probleme lösen müssen. Neben den ökologischen und ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels, den strukturellen Wandel am Arbeitsmarkt durch die Einführung von Robotern und intelligenten, automatischen Systemen stellen die riesigen Komplexe der Themen um die Überwachung und den Verlust der Privatsphäre den Stoff für Diskussionen und müssen gelöst werden.
Mit Vortragenden wie unter anderen Viktor Mayer-Schönberger ( Delete: The Virtue of Forgetting in the Digital Age), Peter Weibel (Medien- Künstler und Theoretiker) und Saskia Sassen (Brutality and Complexity in the Global Economy) gibt die Re:publica Themen Raum, die in der Öffentlichkeit zu wenig diskutiert werden und trägt zu einer Lösungsfindung bei.
Die nächste Re:publica beginnt am 4. Mai 2015 – diesen Termin unbedingt vormerken und hinfahren!
Seit ihrer Gründung 2007 hat sich die re:publica von einem Treffen deutscher Bloggerinnen und Blogger zu einem der weltweit wichtigsten Festivals der digitalen Gesellschaft entwickelt, zu dessen achter Ausgabe 2014 über 6000 Besucher kamen. Die Vorträge der Hauptbühnen sind online abrufbar:
re-publica.de/schnellste-buch-welt-rp14-reader
campaigns.f-secure.com/digitalfreedom