Michael Fleischhacker hat mit seinem Nachruf auf die Zeitung eine Chance vertan. Dabei wäre die Zukunft des Mediums ein dankbares Thema, das uns natürlich laufend beschäftigt.
Für den Mitbegründer des deutschen Wirtschaftsmagazins Brand Eins, Wolf Lotter, beinhaltet laut seinem Facebookommentar das neue Buch von Michael Fleischhacker, meinungfreudiger ehemaliger Chefradakteur der Presse, auf „ den ersten zehn Seiten mehr Informationen als in einem ganzen Publizistikstudium.“ Lotter hat als Absolvent der Publizistik entweder bei seinen Vorlesungen nicht richtig aufgepasst, die falschen Lehrer gehabt oder er ignoriert die wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Wissenschaftsdisziplin seit Jahrzehnten. Sonst müsste er, vorausgesetzt er hat das Buch Fleischhackers überhaupt gelesen, die unfreiwillige Komik seiner Meinungsäußerung erkennen.
Fleischackers Buch erklärt die Tageszeitung für tot. Zur Beweisführung begnügt er sich mit einer erklärungsbedürftigen Mischung aus sekundäranalytischer Nacherzählung und willkürlicher, weil nicht kohärenten Anrufung wissenschaftlicher Autoritäten. So beruft sich Fleischhacker zur Illustrierung seiner These auf Marshall Mc Luhan und ignoriert die technikphilosophisch viel ertragreicheren Schriften von Heidegger, Flusser und Kittler. Die theoretisch fragwürdige Ableitung seiner Kernanliegen passiert ihm leider auch bei seiner Verwendung des Begriffes Öffentlichkeit. Fleischhacker verkürzt den Begriff auf eine reine Medienöffentlichkeit und übersieht das Öffentlichkeitskonzept Dahrendorfs, welches sich im vorliegenden Buch zur Untermauerung seines Standpunktes anböte.
Auf mehr als 100 der insgesamt 145 Seiten begnügt sich Fleischacker mit einer Nacherzählung der Zeitungsgeschichte und des Öffentlichkeitsbegriffes. Wer sich zu diesen Themen einlesen will, findet dutzende (Pompe, Bauer, Gerhardt etc.) wissenschaftlich valide Bücher.
Viele offene Fragen
An dieser Stelle fragt sich der Leser besorgt: Warum schreibt Fleischhacker auf einer abstrakten Ebene über das Zeitungssterben in Amerika, Deutschland und Österreich und „verschweigt“ dem Leser seine konkreten Erfahrungen aus einer Dekade Chefredakteur bei Österreichs führender Qualitätszeigung Die Presse? Fleischhacker verwendet im Buch Statistiken aus Deutschland, wonach die Auflage sich um 25 Prozent verringert hat. Interessanter und anschaulicher wären Zahlen aus Österreich und aus seiner Amtszeit.
Wie hoch sind die Verluste bei der Presse ? Wie entwickelte sich die Auflagenzahl unter Fleischhackers Führung? Welche konkreten Schritte haben er und der Styria Konzern unternommen, um sich der digitalen Herausforderung zu stellen? Warum hat die Presse jahrelang keinen wettbewerbsfähigen Onlineauftritt zustande gebracht? Warum ist die Presse App das erste Tool, dass Social Media affine Vielleser vermehrt nützen? Wo liegen Chancen für die Monetarisierung von digitalen Inhalten? Warum verweigern immer mehr gebildete Leser den Tageszeitungskonsum? Kurz: Was waren Fleischhackers Visionen und Pläne, um den sich selbst erfüllenden Niedergang einer Branche nicht nur abzumildern, sondern in eine neue Phase der Prosperität überzuleiten.
Alleinstellungsmerkmale der Tageszeitung
Ein konkreter Fragenkatalog zur Zukunft der Zeitung ließe sich ins Unendliche fortführen. Die Krise der Tageszeitung technikdeterministisch zu einem Todesurteil zu verbrämen, heißt nichts anderes als ohne Gegenwehr zu kapitulieren. Gerade publizistische Härtnäckigkeit und den Glauben an die eigene Zunft würde man sich vom meinungsfreudigsten Leitartikler seiner Generation wünschen und erwarten. Es gibt nur zwei Erklärungen: Entweder ist Fleischhacker nach seiner Tätigkeit frustriert oder es sind ihm während seiner Regentschaft keine tauglichen Gegenstrategien eingefallen.
Frustration ist als Emotion für eine nüchterne Sachverhaltsdarstellung nicht ratsam. Man könnte aus den beruflichen Erfahrungen auch selbstverschuldete Gründe für die Krise benennen: Streichung der Lektorate, sensationalistische Aufmachung, Aufmerksamkeitsökonmie, fragwürdige Themensetzung und inhaltlich überforderte Journalisten, die ihre handwerklichen Grundfähigkeiten recherchieren, informieren, kritische Quellenkunde, selektieren, gewichten und bewerten zunehmend nicht mehr beherrschen.
Kopierknopf im Kopf
Wenn weite Teile eines Berufstandes unter Recherche Themenübernahme der Leitmedien Spiegel, Guardian und New York Times verstehen, liegt ein Missverständnis vor. Denn Googeln und Nachlesen kann die aktive Öffentlichkeit (Dahrendorf), jene höchstens 10 Prozent der Bevölkerung, die sich für Qualitätspresse interessieren und diese Produkte auch kaufen, selber. Der mit digitaler media literacy vertraute Zeitungsleser erwartet sich einen genuinen Mehrwert des Produkts Zeitung. Es ist für den leidenschaftlichen Zeitungsleser ärgerlich, mitzuerleben, wie objektive Berichterstattung zugunsten unkritischer Übernahme von vorgefertigten Public Relation- und Nachrichtenagenturbausteinen ersetzt wird. Bei vielen Artikeln riecht der geübte Leser auf den ersten Blick den Hautgout einer interessensgeleiteten Agenda.