Wenn heute Scooter in Wien auftreten, sind nicht nur Hits an Board, hinter den riesigen Ohrwürmern stecken manchmal sogar Botschaften.
Scooter, 1994. In der Urbesetzung. (© Katja Ruge)
»Today there’s no reason to runaway / Morning comes and we go ohohohoh« aus: »Today (feat. Vassy)« Die Single setzt nicht nur den Versuch fort, Ohohohoh-Chöre durch Großraumdissen zu jagen, sondern auch 90ies-Hardstyle wieder salonfähig zu machen. Der Refrain, so beiläufig er auch erscheinen mag, ist nur im Kontext der Moderne denkbar. Das Leben im Moment, in der Gegenwart, auf das Diesseits ausgerichtet, ist erst mit der flächendeckenden Überwindung des Würgegriffs der Kirche möglich. Vorher hat Mensch sich auf das Leben nach dem Tod vorbereitet, war redlich und artig. Seitdem es keinen Gott gibt, kann man feiern und reiern, bis der Arzt kommt, weil morgen halt egal ist. Oder wie Mike Tyson sagt: „Ich weiß nichts über das Leben. Ich weiß nur, dass es keine Garantie auf das Morgen gibt.«
Das erste Album »And The Beat Goes On« von 1995. Da waren wir noch jung. (© Addiction Records)
»Every year another song / You are here to sing along« aus: »Home again« Ein Blick in die Geschichtsbücher sagt uns, dass H.P. hier lügt! »Every year another song«, knapp dran ist auch vorbei. Bewunderswert ist es aber allemal, was Scooter bis jetzt in Plattenläden und Downloadportale geschmissen haben. Seit 1994 – deshalb auch die Tour »20 Years of Hardcore« - haben Scooter nur 2006 und 2013 keine Single auf den Markt gebracht, nur 2002, 2006, 2008, 2010 und 2013 kein Album veröffentlicht. Und, spannend, gerade 2002, dem ersten albumfreien Jahr, gab’s mit dem Peter-Maffay-Cover »Nessaja« die erste Single-No.1. Geschichten, die nur das Leben schreibt.
Beim zweiten Album ist der Titel Programm: »Our Happy Hardcore«, 1996. (© Edel Music)
»Get out stay out / I call the police« aus: »999 (Call The Police)« Hier geht es nicht so sehr um die Zeile, sondern mehr um den Song-Titel. Während bei uns der Polizeinotruf unter 133 (angeblich sollen dabei die 3er an Handschellen erinnern) erreichbar ist, in Deutschland unter 110, EU-weit unter 112 und den USA unter 911, gibt es doch eine Stange Ländern in denen 999 den Notruf darstellt. Neben Kenia, Macau und Swasiland ist das unter anderem auch im Vereinigten Königreich der Fall. Und das ist ja, wie man als großer H.P. Baxxter-Fan weiß, nicht nur das Herkunftsland von Baxxters Lieblingsmusik, sondern auch seiner –autos und –einrichtungsgegenstände. Als allergrößten Erfolg bezeichnet er immer die UK-No.1 mit »Jumping All Over The World« aus 2007. Und dass 999 zumindest in »End Of Days« die Nummer des Teufels war und dass Scooter deshalb ganz böse Satanisten sind, versteht sich bitte eh von selbst.
Die Scooter-Besetzung von 2002-06. (© Scooter)
»Oh, oh, I’m not running anymore / Life ist he only thing worth dying for« aus: »King Of The Land« Auch nicht unspannend: Während ganze Zitate- und Poesiealben mit für H.P. viel zu lebensbejahenden »Life is the only thing worth living for«-Sprüchen gefüllt werden könnten, dreht Baxxter den Spieß um und gibt sich so existenzialistisch depressiv, wie ein Erstsemester in der Sartre-Vorlesung. Dass H.P. auch ein Freund des independentsten Independent-Film ist, war auch eher unbekannt. Da, wo unsereins schon Probleme mit der Viennale-Filmliste hat, hat er nur ein kaltes Lächeln übrig und zitiert mit »Life is the only thing worth dying for« einfach so mal diesen amerikanischen Spielfilm aus 2003, in dem zwei Mo-Bros miteinander um den Tod ringen. Mah, schön. Irgendwann nennt sich H.P. im Song auch wieder mal MC Shoutalot«, Sir Mixalot lässt grüßen, vielleicht.
They've Got Big Balls. Die Besetzung von 2006-14. (© Scooter)
»Back on the floor / Lyrical madness« aus: »Bigroom Blitz (feat. Wiz Khalifa)« Naja, gut, zugegeben: Mit der lyrical madness ist es da nicht ganz so weit, weil vor allem die Rap-Parts von Wiz Khalifa (immerhin: Wiz Khalifa) so belanglos sind, dass sich vermutlich selbst Little Wayne die Tätowierung vom Gehörgang reißt. Aber einige Anmerkungen seien vielleicht doch erlaubt: Der Songtitel bezieht sich auf »Ballroom Blitz« von The Sweet aus 1975, nur ist H.P. sich bewusst, dass seine er und seine Compañeros eher im Bigroom, also im Großraum, daheim sind. Das einleitende »Chapter Five« - weil man auf der ersten Single schon mal das Album ankündigen kann – bedeutet, dass Scooter mit Phil Speiser den fünften Neuzugang dabei hat. Gründungsmitglied Rick J. Jordan ist ja raus.
So sieht sie aus, die aktuelle Besetzung. Der Herr rechts ist neu. (© Kontor)
»Mado kara mieru / Kagayaku ume ichirin / Ichirin hodo no / Sono atatakasa« aus: »Chopsticks ( Mado Kara Mieru)« Ur spannend: Diese vier Zeilchen wiederholen sich das ganze Lied über. Das japanische Gedicht handelt von Fenstern und schimmernden Pflaumen und findet sich als Lied, in seiner in Europa geht so berühmt gewordenen Version auf dem Klassik-Crossoveralbum »Calling All Dawns« von Christopher Tin, der damit zwei Grammys gewann. Er war damit der erste, der das goldene Grammophon für einen Videospiel-Soundtrack gewinnen konnte. Und so klingt das Original auch: Als würden Pixelkrieger mit ihren Lanzen durch Mordor ziehen, begleitet nur von diesem Kinderreim. Dass Scooter dem Titel noch ein »Chopsticks« davor setzen, darf man an dieser Stelle auch mal kritisieren.
Das ist Vassy, die gleich auf zwei Songs featuren darf. Sie kann auch Selfies. (© instagram.com/vassy)
»Gonna get down for the heavyweight blaster / B for Baxxter, I’m the rebel MC / Gonna get down for the heavyweight blaster / B for Baxxter and the chicks for free« aus: »Radiate (feat.Vassy)« Zuerst muss man Vassy auch beim zweiten Feature der Griechin gratulieren: Das Management hat alles richtig gemacht und in einem Jahr gleich Gastauftritte bei David Guetta und Scooter organisiert. Chapeau! Uns interessiert hier vor allem die schöne Reminiszenz auf die Rock’n’Roll Kultur an sich, die die leidenschaftliche Flips-Naschkatze Baxxter hier vornimmt. Natürlich ziehen auch Raver Groupies an wie Scheiße Fliegen. Aber Baxxter schwenkt um und konterkariert die Vorstellung, die Szenefremde an den Superstar-Lifestyle haben. Es ist nämlich nicht alles Gold was glänzt. Er zitiert dabei Dire Straits und ihr »Money for Nothing«. Da gibt es nämlich nicht nur (quasi mit den Vorstellungen Außenstehender spielend) Geld fürs Nichtstun, sondern eben auch die »Chicks for free«
And the red sun sinks at last into the hills of gold. Oder so. (© dpa)
»Don’t care if you live or die / So fuck forever« aus: »Fuck Forever« Da ist er wieder, der existenzialistische Dada, dieses Mal – so will es einfach das Mitte der 00er-Jahre indiesozialisierte Gehirn – mit Pete Doherty Einschlag, aber dann doch nicht: Und es ist wirklich erstaunlich, Scooter sind tatsächlich eine der wenigen Bands, die ewig im Geschäft sind und dabei völlig ohne Skandale geblieben sind. Drogen findet man in der gesamten Bandgeschichte nie, H.P. weist in Interviews auch wieder darauf hin, dass bei Scooter die Professionalität im Vordergrund steht und für Drogen gar keine Zeit bleibt. Wenn man dauernd wo hängen bleibt oder zugedröhnt im Studio ist, gehen sich auch gar keine 17 Alben in zwanzig Jahren aus. Sagt zumindest H.P.
HP mit Freundin (rechts) und weiteren B-Promis auf der Wiesn 2014. (© dpa)
»I sing a song to you / Please listen« aus: »Listen« Weit wichtiger als der an sich referenzlose Text ist, dass es sich bei diesem Song um ein Cover der Kontor-Labelkollegen Moonbootica handelt. Zu diesem Anlass sei einmal angeführt, von wem sich Rick J. Jordan so seine Melodien und H.P. so seine Texte leiht, im Überblick: Billy Idol, Marc Cohn, Kiss, Billy Vaughn, Mauro Picotto, Hans Albers, Led Zeppelin, Bob Marley, Supertramp, Peter Maffay, KC and the Sunshine Band, Pearl Jam, Gary Glitter, Blue Öyster Club, Sailor, Depeche Mode, Status Quo, Lionel Richie, The Charlatans, Nirvana, Chris Brown. Und ein paar Mal Scooter selbst. Und das sind nur die Namen, man kennen sollte.
H.P. ist ein Mann wie du und ich. (© Oliver Rath)
»You can’t stop the hardcore / Drinking Vodka Belvedere / You can’t stop the hardcore / Naked bitches overthere« aus: »Can’t Stop The Hardcore« Er ist schon ein Gourmet, der Hans-Peter. Der polnische Belvedere-Wodka, der nicht nach dem im dritten Bezirk, sondern nach dem Warschauer Belvedere benannt ist, gilt als weltbester Wodka, auch, wenn er mit 33€ bei Amazon doch relativ günstig ist. Warum er der beste ist? Naja, das sagen die Leute von den Vodka Masters, die jedes Jahr den besten ihrer Spiritousenklasse wählen. Bei vier-maliger Destillation muss das schon drinnen sein. Und, damit auch der Satz mit den Bitches dazu passt: Eine Social Media-Kampagne des Herstellers löste 2012 einen Shitstorm aus: Auf dem geposteten Foto war folgendes abgebildet: Ein Mann bändigt im Scherze eine Frau, sie will aber – so verrät es ihr Gesicht – flüchten. Dazu der Slogan: »Unlike Some People, Belvedere Always Goes Down Smoothly«.
Die Pre-, Post- und Zwischendrin-Trance-Ikonen und Götter der Aschenbecherfrisurträger beehren zu Allerheiligen die gar nicht mal so unalterwürdigen Hallen in St. Marx und werden wohl viele ihrer wahnwitzig erfolgreichen Hits zum Besten geben. »Nessaja«, »One (Always Hardcore)«, »The Logical Song«, »Hyper Hyper«, »How Much Is The Fish?« und die einzige Single Nummer 1 in Österreich, »Maria (I Like It Loud)«. Bei uns mag man es halt ein bisschen döpdöp-mäßig.
Jetzt mag man als aufgeklärter und musikalisch hoch- und eingebildeter The Gap-Leser – wir wissen, wer ihr seid – aufschreien und uns jedes journalistische Gewissen absprechen. Aber Scooter sind gar nicht so scheiße und großer Nonsens, wie es dir dein cooler großer Bruder immer einreden wollte. H.P. Baxxter redet selbst gerne von betrunkenen Zufällen, wenn ihm geile Zeilen einfallen. Die Kernzielgruppe mit zu großem Anspruch zu vergraulen, wäre ja doch kontraproduktiv.
Man hat es vielleicht mitbekommen: Bei »How Much Is The Fish?« oder eben »Wie viel kost’ der Fisch?« handelt es sich um einen alten jiddischen Code. Als Fisch wurde der per se unkoschere Schinken bezeichnet. Um den Konsum von leckerem Schinken zu vertuschen, verwendete man eben den Fisch als Code für Schinken. Alte jüdische Witze erzählen heute noch davon. Auch in anderen Songs finden sich kleine Hinweise darauf, dass H.P. ja mal studiert hat. Nicht nur Jus, sondern auch die Szene: »Hyper Hyper« besteht bekanntlich nur aus DJ-Namen der frühen 90er.
Auch bei »Maria (I Like It Loud)« kommt ein Name unter: Bei Skibadee aus der Zeile »Skibadee Skibadanger, I am the rearranger« handelt es sich um einen Londoner D’n’B-Act. Und das »Respect to the man in the ice-cream-van« aus »Weekend!« kann eigentlich nur bedeuten, dass H.P. Baxxter nicht nur ein bisschen studierter Jurist, sondern auch Anwalt der Marginalisierten, ein Ritter des Rechts – ein moderner Chip oder Chap, wenn man so will – ist, der dem Mann im Eiswagen endlich zu dem Ruhm verhilft, den dieser verdient. Viel zu lange behandelten die Kids der amerikanischen Vorstädte der 90er den Eismann zu schlecht. Überliefert ist jedenfalls: Die Vorbilder von H.P. Baxxter, The KLF, ließen bei einer ihrer Aktionen einen Eiscremeverkäufer durch das weihnachtlichte London fahren und Bier an die Obdachlosen verteilen. Aber das sind nur ein paar Beispiele.
Wir haben uns auf gar nicht so unanstrengende Spurensuche durch das neue Machtwerk »The Fifth Chapter« oder – geil numeronym abgekürzt –»T5C« begeben und geschaut, ob man da interpretatorisch was rausholen kann. Und ja: ab und zu schon. Damit irgendwann, in einer schönen Zukunft, nicht mehr Rilkes »Der Panther« Thema der Deutsch-Matura ist, sondern vielleicht »Today (feat. Vassy)«.