Es gibt Wichtigeres als den Rausch letzte Nacht

Jahrelang hat Gerard sein Leben in bildgewaltigen Storytelling-Rap verpackt. Jetzt möchte er lieber über euch sprechen. Und mit uns. Im Interview zu „Neue Welt“ erklärt der Wahlwiener sein Kunstverständnis, die Bedeutung von Drive in den Drums und wieso sein Track „Gold“ fast der Kettensäge zum Opfer fiel.

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Gerald Hoffmann aka Gerard hat mit 14 Jahren seine ersten Tracks online gestellt. Nach einer kurzen Karriere als Rap-Journalist ist er heute, mit 28 Jahren, ein Aushängeschild der österreichischen Hip Hop-Szene. Nach seinem letzten Album „Blausicht“ kürte The Gap ihn zum „Retter des Gefühlsrap“. Operation gelungen, Genre blüht.

Mit „Neue Welt“ holt Gerard den emotionalen Sprechgesang raus aus der Klinik, führt ihn an der Hand zum Puls der Zeit. Während „Blausicht“ ein Fenster hinter Gerards Augen war, dreht „Neue Welt“ die Kamera einfach um 180 Grad und präsentiert das Universum á la Gerald Hoffmann. Es leuchtet gelb-orange.

Der Albumtitel „Blausicht“ hat dir eine Sauftour mit Visa Vie beschert, wegen „Neue Welt“ hätten wir dich um ein Haar ins Globenmuseum gebracht. Wie wirst du dein nächstes Album nennen, um möglichst viel aus kreativen Musikjournalisten rauszuholen?

Hm. Wie heißen die nochmal – 78er? Die sollen mich mal mitnehmen. Auf Urban Exploration. „Der 78er“. So was.

Du hast mal gesagt, dass „Blausicht“, deine drittes Album, noch einmal dein Debütalbum war. Ist „Neue Welt“ wieder ein Debut für einen neuen Gerard?

Nein. Ich hatte damals das „MC“ aus dem Namen genommen, „Blausicht“ war also mein Debutalbum als „Gerard“. Es war endlich ein rundes Ding. Davor gab‘s ja noch keine Videos, keine Fotos, ich hab mir da keine Gedanken gemacht. Erst ab „Blausicht“ hab ich verstanden, was es heißt, Künstler zu sein. Was man da alles bedenken muss. Deswegen war das ein Neustart.

Du hast in einem Interview zu „Blausicht“ erklärt, dass es einen bestimmten Buchstaben gibt, den du im nächsten Albumtitel haben willst. Ist der drinnen?

Ah ja, stimmt! An das Interview erinnere ich mich (lacht). Hab lustigerweise vor Kurzem dran gedacht. Aber ich weiß es nicht mehr. Sorry.

Schon okay. Hast du jetzt einen fürs nächste Album?

Ich hab sogar drei.

Bleiben wir bei Buchstaben. In deinen Texten warst du immer Storyteller. Ich hab das Gefühl, dass du auf „Neue Welt“ davon eher weg bist, und mehr allgemeine Aussagen als persönliche Geschichten präsentierst.

Ja, das war Absicht. Ich bin ja in erster Linie Kunst-Fan. Und was ich an „meinen“ Künstlern so schätze, ist, dass sie sich dauernd neu finden. Also nicht „ERfinden“, sondern „finden“. Dass man immer abwechslungsreich bleibt, immer überrascht, nicht immer dasselbe durchkaut. Ich wollte also im Konzept weg von dieser Ich-Perspektive und vom detaillierten Storytelling, sondern eine Stufe höher. So dass ich aus einer allgemeineren Erzählerperspektive berichte. Genauso kann‘s beim nächsten Album ganz anders sein. Ich wollte was Neues machen.

Was hingegen nicht so neu ist, sind die Features. Maeckes und OK Kid waren ja schon auf deinen alten Alben vertreten, nur Lot kam neu dazu. War das Absicht?

Features möchte ich nur, wenn der Song danach verlangt. Ich hatte zwar eine Liste, aber im Endeffekt gibt’s der Song vor. Wenn ich so an einem Text schreibt und dann die Stimme von wem andern im Kopf hör. Irgendwas muss vorher schon da sein, die Produktion oder ein Part. Bei „Gelb“ war mein Part plus Refrain schon fertig, und ich hatte einfach schon alles gesagt. Da dachte ich mir, Maeckes würd da noch passen.

Lustig übrigens apropos Features. Für „Gold“ vom letzten Album war ein Refrain schon fertig, von einem Künstler, der ironischerweise inzwischen selbst Gold gegangen ist. Namen darf ich nicht verraten, der war ziemlich sauer, weil: In den letzten 24 Stunden vor Abgabe, hab ich seine Hook rausgenommen und selbst geschrieben.

Ouch.

Jepp. Ich hab‘s Freunden vorgespielt, und einer meinte: „Dieser Refrain kommt mit einer Motorsäge und zersägt die Leinwand“. (schwingt imaginäre Motorsäge). Dieser Rapper war dann dementsprechend sauer, er war damals in der Promophase zu seinem eigenen Album und kam unter Riesenaufwand ins Studio. Trotzdem – hab‘s gekickt. Weißt du, meine Alben soll man in zehn Jahren noch hören können. Da lass ich nicht aus Freundlichkeit so einen Refrain oben.

Bei den Produzenten hat sich allerdings viel getan. NVIE Motho, Alex the Flipper, Stickle, Pulsinger, Claud, René Mühlberger, Wandl und Philip Böllhoff von den Beatgees – die Liste ist doppelt so lang wie die von “Blausicht”. Wie hat sich das ausgewirkt?

Es ist diesmal ein richtiges Album-Album. Ich hab‘s bei der Single-Auswahl mit Freunden gemerkt. Bei „Blausicht“ konnten sich alle auf drei Songs einigen. Bei „Neue Welt“ hatte jeder seinen Lieblingssong. Da geht’s nicht um diese einzelnen Tracks, die Klicks auf YouTube bringen. Sondern um ein rundes Album, wo man sich reinhören kann. Kendrick Lamar und A$AP ROCKY machen in meinen Augen auch eher Alben als Single-Compilations. Taugt mir, dass so was wieder kommt. In dieser schnelllebigen Zeit.

Blausicht war aus einem Guss. Neue Welt ist wie das Cover, bunt, gemischt, wie so ein Gemälde von Jackson Pollock. Viele Richtungen, viele Stimmungen. Aber trotzdem passt alles zusammen.

Weiter zu Kunst, Landschaften, Höhe fallen und Fragen über Farben.

Bild(er) © Marlene Mautner
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