Mit nur zwei Takes und ohne Musik kommt der neue Film "My Talk With Florence" des Regisseurs Paul Poet aus. Die Doku wird am 6. Dezember gezeigt und ist ab Jänner im Kino zu sehen.
Der Wiener Filmemacher Paul Poet hat eine neue Dokumentation kreiert – "My Talk With Florence". Der Begriff Konfrontation würde wohl besser passen. In zwei Stunden erzählt Florence Burniert-Bauer ihre Lebensgeschichte, geprägt von allem, was zu einem "troubled life" dazugehört. Zehn Jahre davon verbrachte sie in der Otto Mühl Kommune Friedrichshof im Burgenland.
Wir haben uns mit dem Regisseur über die Kraft des Individuums, Kommunenleben und Tabus unterhalten.
In nur zwei Takes erzählt Florence ihre Geschichte, ungeschnitten. Was hast du im Vorfeld geplant?
Der ganze Film entstand eher als Zufall. Das Material war eher als Backup gedreht, für eine Theaterproduktion, in der Florence auch mitspielte, bei der aber ihre Geschichte leider etwas unterging. Das war 2008. Zu dieser Zeit war das Ganze aber noch nicht reif, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Ein paar Jahre später wollten wir dann doch etwas mit dem Material machen, weil wir überzeugt waren, dass es besonderes ist. Ich habe um Förderungen angesucht – das war ein Albtraum. Ein Thema wie sexueller Missbrauch und eine weibliche Lebensgeschichte der Emanzipation ist für viele anscheinend zu prekär. Ich wurde heftig kritisiert. Da gab es viele Hürden zu überwinden, schließlich konnten wir den Film mit dem lächerlichen Budget von 7500€ fertigstellen.
Ist es gerade deshalb wichtig, so einen Film zu machen, weil solche Themen gerne tabuisiert werden?
Es ist extrem wichtig. Gerade in Österreich, das ja als Land des "Feel-Bad-Cinemas" bezeichnet wurde. Es wird zwar in die Abgründe geschaut, aber über die Viktimisierung geht es häufig nicht hinaus. Jemand ist total arm, aber wie man zu kämpfen lernt und sich schließlich herausholen kann aus sowas, wird meistens ausgelassen. Dadurch, dass ich mich schon lange mit sexuellem Missbrauch beschäftige, habe ich mitbekommen, wie diese Schweigespirale funktioniert: Es wird den Leuten aus dem Weg gegangen, anstatt ihnen zuzuhören und zu helfen. Keiner will die Verantwortung.
Florence ist ein einzigartiger Fall. Sie ist nicht zerbrochen. Sie kämpft, immer noch. Die Leute aus dem Schweigen rauszuholen und bewusst zu machen, dass diese Dinge passieren, ist genau, was es braucht. Kultur kann diesen Wahrnehmungsraum eröffnen, überhaupt zu lernen, damit umzugehen. Das ist essentiell.
Haben sich andere Kommunenmitglieder bei dir gemeldet?
Nein, nur span style=“color: windowtext; text-decoration:none; text-underline:none“>Paul-Julien Robert, Regisseur von "Meine Keine Familie", ein Film der sich mit seinem Aufwachsen in der Kommune beschäftigt. Der hat sich halt sehr persönlich damit auseinandergesetzt, Florence geht es mehr um den offenen Kampf. Es geht um ihre subjektive Erfahrung, nicht nur im Friedrichshof. Ihr passiert Missbrauch – sowohl in der gutbürgerlichen Pariser Familie, später im Irrenhaus, dann auf der Straße und schließlich in der Kommune, einem alternativen Lebensentwurf, wo die Missbrauchsstrukturen genauso da sind. Es passierte einfach nach keiner der Stationen eine Aufarbeitung.
Sexueller Missbrauch passiert überall. Ist das die Aussage dahinter?
Ich verurteile ja nicht den Friedrichshof per se. Ich bin offen der Meinung, dass gute Ideen drinnen waren, die in anderen Kommunen aber einfach viel besser verwirklicht wurden. Dort passierte es einfach, dass das Ganze wegen dem Größenwahn einer Führerfigur wie Otto Mühl zu kippen begann und in einen dekadenten Wahnsinn abdriftete, in dem eben auch der sexuelle Missbrauch zum Alltag wurde. Die Grundanlage dazu, sich über andere zu stellen und Macht auszuüben, ist im Menschen drinnen, unabhängig in welchen Kreisen er sich bewegt.
Unsere Gesellschaft schafft Institutionen, in die die Menschen einfach abgeschoben werden, ohne sich wirklich mit den Traumata zu beschäftigen. Jeder weiß, dass zumindest jede dritte Frau Opfer von einer Form von Missbrauch wurde und dass es ein sehr präsentes Problem im Alltag ist. Es braucht die menschliche Auseinandersetzung damit. Mir gelingt das relativ gut, ich bin ein Magnet für sowas. Opfern fällt es anscheinend leicht, mir etwas zu erzählen. Das war bei Florence auch der Fall. Ich sperre sie nicht in einen moralischen Käfig, sondern höre mir ihre Geschichte wertfrei an. Ich will ja auch was lernen. Ich kann Menschen ernst nehmen, sie unabhängig von dem gesellschaftlichen Stempel interessant finden.
Ist das mit Otto Mühl auch der Fall? Du verwendest ja unter anderem eine von ihm erfundene Kunsttechnik, die Selbstdarstellung, für den Film, obwohl er verurteilter Gewalttäter war.
Ja, man kann schon sagen, das ist Scheiße, was der gemacht hat. Aber er ist auch ein großer Künstler. Das widerspricht sich ja nicht, aber diesen Schritt machen die wenigsten. Die Kunst von Mühl kann erst verstanden werden, wenn die Verbrechen aufgearbeitet werden, das gehört für mich zusammen. Aber dem gehen ja alle aus dem Weg. Bei einer Ausstellung seiner Werke vor ein paar Jahren wurde es natürlich nicht thematisiert. Es muss auch gesagt werden, dass viele Kunstwerke nicht wirklich aus seiner Feder stammen.
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