Die grafische Gestaltung von Landkarten und Stadtplänen kennt viele Spielarten. Zwischen illustrativer Gefälligkeit und subtiler Unterwanderung von Sehgewohnheiten ist alles möglich.
Hippopotam Studio, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
Aleksandra und Daniel Mizielinski aus Warschau haben sich auf Kinderbücher spezialisiert. Ihr Maps-Atlas besteht aus 51 handgemalten Karten aus 6 (!) Kontinenten und 42 Ländern. Dazu haben sie 400 Illustrationen entworfen und 2 Schrifttypen entwickelt. Neben geografischen Merkmalen enthalten ihre Karten zudem historische, kulturelle Sehenswürdigkeiten, Persönlichkeiten, Flora und Fauna. Entsprechend erfolgreich war das Buch. Es wurde in 5 Sprachen übersetzt und erschien in 21 Ländern.
Luis Dilger, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
Der Deutsche Luis Dilger gestaltet auf den 3D-Open-Street-Maps von Google aufbauend die innere Struktur von Städten. Städte wie Sankt Petersburg, New York, Zürich, Kopenhagen oder Monaco offenbaren so ganz unterschiedliche Muster.
Buero Rabensteiner, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
Buero Rabensteiner ist der einzige Beitrag aus Österreich in "Mind The Map". Im Gestalten-Verlag ist von dem Innsbrucker Büro bereits "The Journey" erschienen, das sich mit dem Zugfahren beschäftigt, mit topografischen Gegebenheiten wie auch mit politischen Demarkationslinien.
James Niehues, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
James Niehues hat seine erste Karte 1964 gezeichnet. Es dauerte allerdings knapp über 20 Jahre bis er wirklich den Beruf eines Kartografen ergriff. Er ist bekannt für die detaillierte Darstellung von Bergen, Skigebieten und den diversen Pfaden, die sich über die topografisch schwierige Landschaft erstrecken. Obwohl er heute offiziell pensioniert ist, greift er heute noch Projekte auf, die ihm besonders am Herzen liegen.
Libby VanderPloeg, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
Libby VanderPloeg unterstreicht mit handgezeichneten Karten die subjektive Wahrnehmung von Städten. Paris, Asheville, Chicago oder San Francisco sind ebenfalls im Buch abgebildet.
Mike Hall, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
Der englische Illustrator Mike Hall liess sich für seine Karten vom eleganten Stil von MacDonald Gill inspirieren, einem britischen Kartograf des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Seine Karten sind genau ausgearbeitet, mit vielen Details von Bahnhöfen, Märkten, Parks, Teichen oder anderen Sehenswürdigkeiten.
Crushiform, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
Marie-Laure Crushi hat Crushiform 2007 gegründet. Sie illustriert monatlich im Esquire Magazine UK. Für Toronto Life hat sie eine Karte der bekanntesten Bezirke der Stadt gestaltet.
Kalimedia, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
"Der Atlas der wahren Namen" von Kalimedia ist so nebenbei auch Bild-Bestseller. Der Atlas gewährt neue Blicke auf scheinbar bekanntes Territorium. Karten von Europa, Amerika, Kanada oder den britischen Inseln zeigen die etymologische Herkunft von rund 3.000 Ortsnamen.
Tonwen Jones, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
Tonwen Jones arbeitet mit Ausschnitten aus Magazinen der 50er Jahre, um den Karten eine komische und alltägliche Note zu geben. Dadurch ähneln sie auf den ersten Blick trotz ihrer geografischen Details oft eher Illustrationen.
Walk With Me, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
Walk With Me aus Madrid haben sich auf ungewöhnliche Karten und Führer spezialisiert. Sie wollen mit ihren Renderings das Gedächtnis und Emotionen gleichermassen anregen. Viele ihrer Karten arbeiten die Besonderheiten von Grätzeln und Bezirken in Madrid und Barcelona heraus. Sie sind dabei so genau, dass sie gleichzeitig als Karten zur Orientierung taugen.
L'Atelier Cartografik, Mind The Gap, Copyright Gestalten 2016
Dieses französische Designstudio verwendet häufig eine kräftige Farbpalette – selbst wenn es um den Hohen Norden geht, wie hier in einer Arbeit für das D2 Magazin. Sie arbeiten häufig für Magazine und touristische Einrichtungen.
Die geographisch korrekte Darstellung der Welt: Davon haben Generationen von Kartographen geträumt. Doch Atlanten und Landkarten waren seit jeher viel mehr als das – nämlich Projektionsflächen ihrer Zeit. Seit Google Maps hat zwar jeder von uns minutiös erstelltes Kartenmaterial der ganzen Welt ständig bei sich, die Faszination von Karten hat trotzdem nicht darunter gelitten.
Neue weiße Flecken
Publikationen mit historischem Kartenmaterial, wundervollen Atlanten oder skurrilen Globen boomen. Wir sehen uns offensichtlich nach Unerforschtem, nach den weißen Flecken auf der Landkarte. Die deutsche Autorin und Gestalterin Judith Schalansky hat vor einigen Jahren dazu eines der erstaunlichsten Bücher publiziert: den „Atlas der abgelegenen Inseln“, eine grafisch fantastische, poetische und zugleich imaginäre Reise zu all den entfernten Mini-Inseln, die weder die Autorin noch die Leserschaft jemals erkunden werden. Als ebenso erfolgreich erwies sich eine Publikation der polnischen Grafiker Aleksandra Mizielińska und Daniel Mizieliński: „Alle Welt“, ein Landkartenbuch für Kinder, besticht mit einer Mischung aus Wimmelbild-Ästhetik, Entdeckungslust und Exotik. Landestypische Speisen, Fauna und Flora sowie Traditionen überlagern die jeweiligen Karten, die Bildsprache ist naiv, aber keineswegs kindisch.
Das Buch ist – neben unzähligen anderen Beispielen – in dem Buch „Mind the Map“ vertreten, das vor kurzem im Gestalten Verlag erschienen ist. Es ist der mehr als würdige Nachfolger einer ersten Bestandsaufnahme zum Thema Grafik & Kartengestaltung, die vor drei Jahren unter dem Titel „A Map Of The World“ veröffentlicht wurde. Beide Publikationen dokumentieren eindrucksvoll, dass die grafische Gestaltung von Karten derzeit eine Blütezeit erlebt.
Omnipräsent sind Land- und Stadtkarten, die von Medien oder Tourismusagenturen in Auftrag gegeben wurden. Coole Tipps fürs Weekend in Paris, die Design-Highlights von Barcelona oder Berlin, was geht abends ab in Mailand? Bei solchen „lifestyligen“, illustrativen Karten sind die geographischen Informationen oft reduziert (wenn auch nicht ganz redundant), es geht um Stimmung und Schaulust. Nicht zufällig hat der Dumont-Verlag soeben eine Reihe mit Reiseführern gestartet (u. a. „50 Maps of London“), deren Bände ausschließlich aus solchen Karten bestehen („Mit coolen Tipps und verrückten Karten“).
Die einzigen Österreicher im Buch
Nicht verrückt, sondern adäquat: Darum geht es dem Innsbrucker Bureau Rabensteiner, das in dem „Mind the Map“-Buch mit Karten vertreten ist, die für ein Buch über luxuriöse Eisenbahnfahrten entstanden. Wie man als Grafikerin an eine solche Aufgabe herangeht, erzählt Isabella Meischberger: „Es war von Anfang an unser Plan, die Information, also in diesem Fall die Bahnstrecke in sehr reduzierter und vereinfachter Form darzustellen. Die Karte im Hintergrund soll nicht von der Bahnstrecke ablenken und enthält deshalb nur die wichtigsten topografischen Gegebenheiten. Um den richtigen Mix an Vereinfachung und Übersichtlichkeit und auf der anderen Seite Detailverliebtheit zu treffen, wurden die Umrisse von Land und Gewässern sehr fein und mit realistischer Genauigkeit gezeichnet.“ Die klassische Ästhetik von Karten gelte es nach Möglichkeit auszublenden, so Meischberger. Im konkreten Fall ist die extrem reduzierte Farbigkeit der Tatsache geschuldet, dass der Rest des Buches sehr bildlastig und farbenfroh gelayoutet ist. „Viele andere Farbentwürfe hatten für sich alleine eine gute Wirkung, passten dann aber nicht ideal zur Farbstimmung aller einzelnen Geschichten. Das ist ein Prozess des Aussiebens.“
So einfach oft das Ergebnis aussieht, so komplex sind die Informationen, die in manchen Fällen dem Betrachter und Benutzer vermittelt werden sollen. Kaum verwunderlich, dass es spezialisierte Büros gibt, die sich ganz dem Thema Karten verschrieben haben. So etwa das Studio „Stamen“ in San Francisco, die sich als „Mapmaker“ bezeichnen und ihre Profession zugleich als „Data Visualization“ beschreiben. Ihr Kundenkreis: CNN, MTV, Kulturinstitutionen u.a. Stamen hat Kartenmaterial zum Irakkrieg oder mit „Surging Seas“ eine eindrucksvolle Visualisierung der Auswirkungen von Klimawandel und Steigen des Meeresspiegels erstellt.
Diese Karten sollen intuitiv ganz klar sein
Geradezu Kultstatus genießt der Niederländer Joost Grootens, der etliche beeindruckende Atlanten gestaltet hat und auch in dem Buch zu Wort kommt. „Karten sind im Bereich Kommunikationsdesign eine eigene Typologie, mit speziellen Regeln, Konventionen und einer eigenen Geschichte, die man nicht ignorieren kann.“ Konventionen bildeten in den meisten Fällen den Ausgangspunkt, aber so gut wie nie das letztlich erreichte Ziel. Das Herausschälen der essentiellen Information, das Weglassen oder Absoften des sonstigen Umfeldes, die intuitive Klarheit kennzeichnen Grootens Arbeit. „Mir ist dabei immer bewusst, dass eine Karte für den Betrachter verständlich sein sollte.“ Wie politisch diese Arbeit sein kann, beweist sein mehrfach ausgezeichnetes Buch „Atlas of the conflict“, das die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern über die Jahrzehnte mittels Kartenmaterial veranschaulicht.
Kartengestaltung auf allerhöchstem Niveau ist auch das Ziel der New York Times. Jonathan Corum, bei der Zeitung für die grafische Gestaltung von wissenschaftlichem Datenmaterial zuständig, meint: „Es ist nicht schwer, eine schöne Karte zu machen. Aber es ist schwer, eine Karte zu machen, die einen Sachverhalt gut erklärt.“ Noch einen Schritt weiter geht Philippe Rekacewicz, der seit vielen Jahren Karten für Le Monde diplomatique – berühmt für die Qualität der Infografiken und politischen Landkarten – zeichnet: „Wir bilden keine Realität ab. Wir bilden ab, wie wir Realität sehen, was ein erheblicher Unterschied ist.“
Subversive Botschaften
Einen erheblichen Unterschied zu scheinbar objektivem Kartenmaterial sind jene Darstellungen, die sich Themen subjektiv und künstlerisch nähern. Die dunklen, vollgeschriebenen Karten eines Stephen Walter (im Band „A Map of the World“ vertreten) zeigen Großbritannien und London in scheinbar höchstem Detaillierungsgrad und verstecken zugleich subversive Messages. Gleichsam als Warnung: Je detaillierter eine Karte auf den ersten Blick erscheint, umso leichter ist es, falsche Informationen darin zu verstecken. Anders der ebenfalls in London tätige Michael Pecirno: Er hat etwa Amerika-Karten gestaltet, die sich auf einen Aspekt konzentrieren – Wasserverbrauch, Urbanisierungsgrad oder Getreideanbau. Die entsprechenden Karten taucht er in satte Farben, die ebenso viel „Stimmung“ mitgeben wie sie Information transportieren. Fast schon in die Abstraktion tendieren wiederum die Zeichnungen des norwegischen Künstlers Torgeir Huusevag. Mit blauem Filzsstift malt er Flussläufe, die vom fatalen Eingriff des Menschen in die Natur geprägt sind.
Zwischen Präzision und Poesie, Purismus und politischem Engagement: Es gibt tausende Zugänge, Karten zu gestalten, und ebenso viele Arten, sie zu lesen. Es ist ein eigenes Universum, das ständig wächst und neu erfunden wird – von Künstlern, Grafikern und Informationsdesignern.
Das Buch „Mind the Map“ (Hg. Antonis Antoniou, Robert Klanten, Sven Ehmann) ist im Gestalten Verlag/Berlin erschienen.