Unterkünfte für Flüchtlinge zu schaffen, ist eine der größten Herausforderungen – nicht nur in den Ländern der Krisenregionen, sondern auch bei uns. An ambitionierten gestalterischen Lösungen mangelt es nicht.
Social Design wurde in den vergangenen zehn Jahren zum großen Schlagwort. Gestaltung also, der es nicht nur um Absatzsteigerung und Modetrends geht, sondern um nachhaltige Produktion und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Umso logischer ist es, dass das Flüchtlingsthema auch in der Design- und Architekturszene heftig diskutiert wird. Worin könnte und sollte deren Beitrag bestehen?
Es sei die "Stunde der Architekten", schrieb der Architekturkritiker Niklas Maak vor einigen Wochen in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, um gleich darauf ein harsches Urteil zu fällen: "In der Hektik wird auf Architekten verzichtet. Jetzt, im Zustand akuter Baupanik, heißt die einzige Frage: Wer kann Modulsysteme liefern?" Die Architekten selbst würden außerdem derzeit bestenfalls etwas im Bereich ästhetischer Verbesserungen beitragen, so Maak, als Beispiel führt er das vieldiskutierte neue Abschiebezentrum im steirischen Vordernberg an. "Wo aber sind im Jahr der Flüchtlingsfrage die großen Entwürfe, die mehr können als Abschiebungen ästhetisch zu veredeln? Das Schweigen der Architekten ist umso erstaunlicher, als schon vor der Ankunft der Flüchtlinge über die Frage eines neuen massenhaften Wohnungsbaus nachgedacht wurde."
Dies ist freilich nur eine – besonders kritische – Stimme im Chor jener, die sich an der Debatte über die Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten beteiligen. Gestalterische Verbesserungsvorschläge gibt es durchaus – und sie beginnen klarerweise schon bei der Versorgung in den Krisenregionen. Mit gutem Grund: Durchschnittlich besteht ein Flüchtlingslager rund 20 Jahre lang, die Bewohner bleiben bis zu zwölf Jahre. Um dort einigermaßen würdevoll leben zu können, braucht es mehr als standardisierte Zeltbehausungen. Diese Erkenntnis trieb den deutschen Künstler Daniel Kerber vor ein paar Jahren dazu an, das Social Design-Unternehmen More Than Shelters zu gründen, dessen erstes Projekt die Entwicklung einer modularen Zeltunterkunft namens "Domo" war, die mittlerweile in Nepal, Jordanien und Griechenland im Einsatz ist. Je nach Familiengröße oder Nutzung lassen sich einzelne Raumeinheiten miteinander kombinieren. "Das Produkt hält im Gegensatz zu gängigen Zelten in der humanitären Nothilfe nicht sechs bis zehn Monate, sondern bis zu zehn Jahre. Seine Einzelelemente lassen sich einfach austauschen und entlasten so Budgets", so das Unternehmen auf seiner Website. Um Flüchtlingsunterkünfte zu finanzieren, benötigt man nicht nur Spenden. Verkauft werden die Zelte auch an kommerzielle Nutzer, Festivalbetreiber etwa. Ob sich das sozial orientierte Unternehmen im Bereich der Flüchtlingsversorgung durchsetzen wird? Die kommerzielle Konkurrenz wird jedenfalls nicht freiwillig das Feld räumen, schließlich ist die Versorgung von Flüchtlingen auch ein einträgliches Geschäft.
Das IKEA-Prinzip für Flüchtlinge
Platzsparend zu transportieren und schnell aufzubauen: So sollen temporäre Flüchtlingsunterkünfte nach Möglichkeit sein. Klingt nach IKEA-Prinzip. Die IKEA Foundation unterstützt daher nicht zufällig seit Jahren das Projekt "Better Shelter": In vier Stunden kann eine hausähnliche, größtenteils aus Kunststoff bestehende Wohneinheit aufgebaut werden. Das UNHCR hat Tausende dieser Unterkünfte geordert. Ob die flexiblen Hütten tatsächlich eine gute und vor allem kostengünstige Lösung sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ein Notfallzelt wird mit rund 300 Dollar Kosten veranschlagt, "Better Shelter" kostet etwa das Dreifache, hält aber natürlich länger als ein herkömmliches Zelt. Eine immense Herausforderung für alle Arten von Notquartieren sind klimatische Extrembedingungen. Können Kunststoffhütten in der Wüste funktionieren? Wie lange können Flüchtlinge im Winter in Zelten hausen?
An den Kosten entzündet sich auch die Auseinandersetzung über die Unterbringung von Flüchtlingen und Zuwanderern in Europa. Rein rechnerisch gelten Stahlcontainer gewöhnlich als erste Wahl – doch die kommen bei der Bevölkerung und den Politikern eben gar nicht gut an. Modulartige Bauteile müssen allerdings nicht zwangsläufig aus Stahl sein. Das Unternehmen Kaufmann Bausysteme fertigt im Bregenzerwald schon seit Jahren Holzmodule und konnte sich im vergangenen Jahr bei einer europaweiten Ausschreibung für Flüchtlingsunterkünfte in Hannover durchsetzen. Auch in Ulm wird derzeit eine Flüchtlingsunterkunft von dem österreichischem Unternehmen errichtet. Neben den bauphysikalischen Vorteilen von Holz gebe es einen weiteren großen Vorteil, so Geschäftsführer Christian Kaufmann: Die Module könnten jederzeit auch in neuer Zusammensetzung für andere Zwecke verwendet werden, etwa als Studentenunterkunft oder sogar als Einfamilienhaus.
Geeignet für den Sozialbau
Holzbau gibt es allerdings nicht nur Vorarlberg, sondern auch in Salzburg. Die ersten Holzbau-Flüchtlingsunterkünfte in Österreich entstanden ebendort, genauer gesagt in Seekirchen und Tamsweg. Initiiert wurden sie vom Salzburger Roten Kreuz, entworfen von der Architektin Melanie Karbasch (siehe Interview), gebaut von Meiberger Holzbau. Das Projekt hat bereits Vorbildwirkung: Die derzeit laufende Kampagne "Ein Dach mehr. Fünf Flüchtlinge weniger", eine Kooperation zwischen Rotem Kreuz und dem Verein Österreich hilfsbereit will das Geld für ähnliche Holzhäuser in anderen Teilen des Landes aufbringen. Dazu kommt, dass die derzeitige Situation eine generelle Diskussion über die Ausrichtung und die Zukunftsfähigkeit von sozialem Wohnbau ausgelöst hat. Könnten aktuelle Lösungen nicht auch für die einheimische Bevölkerung geeignet sein? Dass man aus Krisen etwas lernen kann, könnte jedenfalls einmal mehr bewiesen werden.