Mit seiner Autobiografie "Panikherz" rollt der deutsche Popliterat und Journalist Benjamin von Stuckrad-Barre sein Leben auf. Beinahe zerbrochen an Kokain- und Ruhmessucht hat der 41-Jährige auf seinem Weg zurück ins Rampenlicht einiges zu erzählen.
Memoiren sind oft mit Vorsicht zu genießen. Fadgas ist nämlich schnell produziert. Nähern sich beim Blick zurück dann die trüben Gestalten auch noch mit altersmilder Rührseligkeit, ist üblicherweise alles verloren. Bei Benjamin von Stuckrad-Barre verhält sich das anders. Erstens ist der in den 90er Jahren zu literarischem Ruhm gekommene Deutsche eben erst 41 geworden. Bestes Schriftstelleralter also für eine Zwischenbilanz. Zweitens kann Stuckrad-Barre schreiben. Auch wenn er als Gallionsfigur der deutschen Popliteratur stets polarisierte. Und – ebenfalls nicht ganz unwichtig – er hat genug erlebt.
Ohne Selbstmitleid und vor allem ohne Verstecken hinter verinnerlichten Ironie-Mechanismen, erzählt Stuckrad Barre, mittlerweile zehn Jahre clean, in "Panikherz" seine Geschichte. Vom Aufwachsen als jüngstes, sehr lebhaftes Kind in einem Pastorenhaushalt. Von ersten journalistischen Gehversuchen, seinem "Durchschlawinern" in der deutschen Popkulturbranche oder der Zeit als Gag-Schreiber für Harald Schmidt. Letztlich schildert er natürlich auch seinen rasanten Aufstieg als Popliterat und hassgeliebte Feuilletonfeder. Der Weg ins Licht wird beim begnadeten Spötter und Zeitgeistzerleger Stuckrad-Barre hinter den Ego-Kulissen aber stets von knallharten Kämpfen gegen sich selbst begleitet und führt um ein Haar in die Selbstauslöschung. Gefangen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung entwickeln sich sukzessive Bulimie und Kokainsucht, die ihn mehrmals im Schleudergang in Crashy-Hospitale führen. Stuckrad-Barre bringt sein ganzes Vermögen durch und verliert beinahe sein Leben. Ein nicht selten gehörtes dramatisches Fallschema bei Überbegabten.
L. A. Confidential
Statt Kapitulation gibt’s aber Rekapitulation. Und wenn die auch manchmal ein wenig geschwätzig ausfällt, es ist hier alles höchst lebendig und mitunter subtil gewürzt mit Erkenntnisreichtum. Und zwar trotz aller Egozentrik des Autors durchaus gewollt nicht nur das eigene Ich betreffend. Zu sehr ist Stuckrad-Barre nämlich auch Chronist und auf popkulturelle Reize konditioniert. Das zieht er in seinem Erinnerungsstück auch durch und erzählt en passant auch dabei eine Geschichte der Populärkultur der letzten 20 Jahre. Gleichberechtigt stehen etwa Blur und Oasis neben Thomas Gottschalk, Helumt Dietl, Marius Müller Westernhagen oder Bret Easton Ellis.
In einer Rahmenhandlung, angesiedelt in der Gegenwart, bewohnt der Autor einen Bungalow im sagenumwobenen Luxus-Hotel Chateau Marmont am Sunset Boulevard. Hier sprang James Dean aus dem Fenster, Helmut Newton starb in der Hoteleinfahrt bei einem Autounfall und Courtney Love hat an der Rezeption noch immer eine Rechnung von mehreren zehntausend Dollar offen. Ins Chateau Marmont wird Stuckrad-Barre, mehr oder weniger, von seinem Held Udo Lindenberg einquartiert. Das Duo hat sich, wenn auch auf Umwegen, gesucht und gefunden. Seinem Helden Lindenberg setzt Stuckrad-Barre auch noch ein literarisches Denkmal. Sind es doch vor allem dessen Songtexte, die der abenteuerlustige und lebensdurstige Autor seit Kindheitstagen an wie Gebete runterrattern kann. Einzelne Verse des Sängers webt der Pastorensohn immer wieder in seine Kapitel ein. Die Zitate fungieren wie Psalme, die ihm in dunklen, aber auch in klaren Stunden wenn schon nicht Orientierung, zumindest ein wenig Trost spenden, wenn sich der Autor, hackedicht und bis unter die Haarwurzeln kotzend, vor der Klomuschel krümmt.
Unter kalifornischer Sonne findet Stuckrad-Barre nun Mut und Kraft, seine Geschichte zu erzählen. Entkitscht, mit der Erhabenheit eines Geläuterten, dessen größter Feind aber noch immer er selbst ist, wandelt er mit festem Schritt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen literarischer Autobiografie und journalistischer Reportage.
"Panikherz" von Benjamin von Stuckrad-Barre ist im März bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.