In Kroatien sprießen Festivals zur Zeit wie Pilze aus dem Boden. Diese Entwicklung ist zwar nicht neu, dafür aber nachhaltig. Um die Ursprünge für diesen Boom zu verstehen und seine Zukunft einzuschätzen, haben wir mit einigen Veranstaltern gesprochen.
Kroatien erlebt seit einem Jahrzehnt einen wahren Festivalboom, der 2006 seinen Anfang mit dem Garden Festival in Šibenik nahm. Hauptsächlich geht es um Festivals, die jeweils einer bestimmten Subkultur – vorrangig geht es um elektronische Musik – gewidmet sind. Dieser Boom beschränkt sich natürlich nicht nur auf Kroatien, sondern betrifft prinzipiell Länder in dieser schönen und – im Verhältnis zu anderen Teilen Europas – günstigen Region, die man in England gerne unter „Eastern Europe“ zusammenfasst. Ein Artikel, in dem sich der Telegraph mit dieser Thematik befasst, trägt zum Beispiel den Namen „Not going to Glastonbury? Try Eastern Europe’s more affordable festival alternatives“. Das fasst den oben beschriebenen Charakter des momentanen Ost-Booms recht gut zusammen.
Eine Insel auf 45 Jahre leasen
Kroatien ist und bleibt Epizentrum dieser Entwicklung und schafft es trotz allem im Ländervergleich die regionale Konkurrenz auszustechen. Laut Guardian hat sich allein in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Festivals verdoppelt. Man hält bei über 20 großen – und unzähligen kleinen – Events. Der Vogel wird derzeit auf der Insel Obonjan abgeschossen. Die Insel wurde von der Veranstaltungsfirma Sound Channel für die Dauer von 45 Jahren mit dem Plan geleast, sie zu einem ganzjährigen Festival- und Erholungsmekka zu verwandeln. Wie der Veranstalter, Dan Blackledge, NME erzählte, soll es dort bald eine Kombination aus „Musik, Wellness und nachhaltigem Lifestyle“ geben. Das Programm kann zwar derzeit mit anderen Line-Ups noch nicht ganz mithalten und die Preise sind auch nicht die günstigsten, das Projekt zeigt aber dennoch auf, dass große Veranstalter aus dem Ausland noch immer gewillt sind, derartige Superlative in der Region zu finanzieren.
Hier sieht man auch eine weitere Besonderheit des Festival-Sprießens: Die meisten Veranstalter stammen gar nicht aus Kroatien. Sie kommen vor allem aus Großbritannien oder anderen europäischen Ländern. Doch wie hat es insbesondere Kroatien geschafft sich so in den Blickpunkt europäischer Veranstalter zu rücken?
Lauter Pluspunkte
Das Lighthouse Festival findet alljährlich in Porec statt. Die Veranstalter dieses Festivals kommen aus Österreich, sie heißen Hennes Weiss und Stefan Hiess, waren einst Gründer der Pratersauna. Für sie liegen die Vorteile Kroatiens klar auf der Hand: „Das Preis-Leistungsverhältnis bezüglich Unterkunft und Verpflegung ist – zum Beispiel im Negativ-Hardcore Vergleich zu Ibiza – sogar weltweit gesehen unter den top Drei.“ Weiters würden logistische Rahmenbedingungen und bestehende Infrastruktur bei der Umsetzung ein hohes Level an Qualität ermöglichen. Ähnlich sieht man das bei Festicket, dem wichtigsten englischen Anbieter für Festivalpässe und Kombi-Pakete. „Sogar 2016 kann man noch Bier für 2€ und Appartments für 29€ bekommen“, meint Steven Dussart, der Senior Marketing Campaign Manager.
Es muss aber nicht alles nur mit dem Preis zusammenhängen. Für INmusic, das größte kroatische Festival, das tatsächlich von Einheimischen selbst veranstaltet wird, drängen sich auch andere Gründe auf: „Es hat bereits in den Sechzigerjahren Touristenströme – damals vorwiegend aus Rest-Jugoslawien – nach Kroatien verschlagen.“ Mit dem Krieg habe das aber aufgehört und auch Ende der Neunziger seien die Touristen nicht über Nacht wieder zurückgekehrt. „Als jüngstes Mitglied der EU erleben wir und unsere Hauptstadt Zagreb mittlerweile aber wieder starken Zulauf von Touristen.“ Das Land habe sich vom Krieg erholt, die mitteleuropäische Mentalität und die wirtschaftliche Stabilität, würden das Ihre dazu beitragen.
Ist der Gipfel bereits erreicht?
Allein das Beispiel der oben beschriebenen Insel Obonjan zeigt, dass noch immer viel Kapital nach Kroatien fließt. Viele sind deshalb der Meinung, dass die starke Entwicklung Kroatiens zumindest noch ein paar Jahre andauern wird. Auch bei Festicket vertritt man diesen Standpunkt. „Jedes Jahr erleben wir, dass 20 bis 30 neue Festivals in Kroatien gegründet werden. Unserer Meinung nach, ist der Gipfel noch nicht erreicht.“ Es gäbe noch viele unberührte Flecken an Kroatiens Küste, folglich noch viele Orte, die die Herzen von Festivalbesuchern höher schlagen lassen könnten. Mit Prognosen geht man hier aber nicht gerade sparsam um. Auch andere Länder wie „Malta, Rumänien, Bulgarien, Georgien und Marokko“ würden ihre Türen langsam für Festivals öffnen und könnten sich möglicherweise auch bald als „trending Destinations“ etablieren.
Nicht jeder ist so zuversichtlich
Seitens des Electric Elephant, immerhin der Nachfolger des Garden Festivals, womit ja alles seinen Anfang nahm, ist man etwas skeptischer. „Es wird immer neue Festivals in Kroatien geben, weil der Markt bereits so groß geworden ist, aber wir glauben, dass der Gipfel bis zu einem gewissen Grad bereits erreicht wurde. Das Land ist nicht mehr so exotisch und unbekannt wie es einmal war und es ist in gewissen Tanzmusik-Kreisen fast schon so etabliert wie Ibiza“, heißt es da.
Für Hennes Weiss, den Veranstalter des Lighthouse Festivals, ist ebenfalls klar, dass der große Boom schon vorbei ist. Für Neueinsteiger in der Festivalbranche sei es auch gar nicht mehr so einfach ihren Platz oder ihre Nische zu finden. „Aus dem deutschsprachigen Raum gibt es mittlerweile – meines Wissens – überhaupt nur mehr zwei Festivals die sich langfristig etabliert haben. Einerseits das große Sonus Festival von den Time Warp Leuten und eben wir. Alle anderen haben spätestens nach zwei Saisonen wieder W.O. gegeben, beziehungsweise sich das Ganze auch zu einfach vorgestellt.“ Am Ende müsse eben jeder seinen Platz finden, und so viele davon gäbe es auch nicht. Außerdem würde vielen Neuen ein konzeptioneller Zugang fehlen. „Wir positionieren uns mit dem Motto ‚electronic music on vacation‘ als Boutique Festival, wo Image-Kredibilität und Qualität auf allen Ebenen an oberster Stelle stehen“. Und ohne Qualität, da gehe eben nichts.
Es bleibt spannend
Wohin die Entwicklung gehen wird? Das Lighthouse Festival selbst ist in diesem Jahr ausverkauft. Man versuche zwar weitere Kapazitäten zu schaffen, das reguläre Kontingent sei aber weg. Viele weitere, bereits etablierte Festivals sind ebenfalls ausverkauft oder erwarten sich dieses Jahr neue Besucherrekorde, wie zum Beispiel das INmusic.
Auch, wenn der absolute Höhepunkt des Kroatien-Booms also schon ein wenig zurückliegen mag – eine Krise sieht anders aus.
Das Lighthouse Festival findet von 24.-28. Mai in Poreč statt.