Anfangs bekämpft, ist er in der IT-Welt längst bewährt. Stellt sich die Frage: Lässt sich der Open Source-Gedanke auch in andere Bereiche der kreativen Wertschöpfung übertragen?
Kooperation belebt Wettbewerb
Eine Weltwirtschaft, aufbauend auf dem Open Source-Prinzip ist ein faszinierender Gedanke und weckt in mir reflexartig ein „gefällt mir“. Doch so schön eine kooperative, vielleicht sogar solidarische Wirtschaft sein könnte, für wahrscheinlicher erscheint mir die Entwicklungschance hin zu einer komplementären Form, in der das dominierende und auf Konkurrenz aufbauende System, dort wo es sinnvoll und möglich ist, durch kooperative Formen bereichert wird. Ein Feld, das sich in meinen Augen aufdrängt (da es dringend ist), ist der Bereich der pharmazeutischen Forschung. Hier wäre es höchste Zeit, dass internationale Organisationen und Staaten gemeinsam große Open Source-Projekte ausrufen und finanzieren, um Wirkstoffe und Heilmittel zu entwickeln. Damit könnte man nicht nur effektiver sein als es einzelne Konzerne je sein können. Es wäre auch möglich, jene Krankheiten anzupacken, deren Heilung dem shareholdergetriebenen System ökonomisch nicht rentabel genug erscheint. Der kürzlich verstorbene Vordenker der Energieautonomie, Hermann Scheer, hatte schon vor Jahren prognostiziert, dass alternative Energien erst dann von der Wirtschaft aufgegriffen werden, wenn es für Unternehmen und Staaten ökonomisch attraktiv wird, diese zu nutzen. Hier ist das dominierende, konkurrenzorientierte System in der Anfangsphase zwar äußerst träge, hat sich aber ein erster Markt entwickelt, ist es wiederum entfesselnd und enorm wirksam, um notwendige Innovationen durchzusetzen. Ich persönlich wünsche mir für die nächste Zeit eine hybride Form, um die Vorteile beider Systeme – das Potential der Kooperation wie auch die individuelle, schöpferische Kraft - für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft nutzen zu können. Hannes Offenbacher, 28, Studienabbrecher der Kummunikationswissenschaft und Visionär, ist von Wien aus höchst umtriebig – u.a. als geschäftsführender Gesellschafter der Mehrblick OG (www.mehrblick.at). Parallel zum Europäischen Forum Alpbach betreibt er eine „IdeenAlm“. Offenbacher bloggt unter www.bessergehtsimmer.at
Die Crowd denkt und testet
Die vielschichtige Initiative der Open Source IT-Welt lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln auf andere Bereiche kreativer Wertschöpfung übertragen. Ein Blinkwinkel könnte sein, dass viele Menschen - heute würde man von einer „Crowd“ oder einer „Community“ sprechen - an der freien Weiterentwicklung von Produkten aus eigenem Interesse arbeiten. Insbesondere bei innovativer Produktentwicklung kann eine Crowd sehr hilfreich sein: sie gibt Input zu Wunschprodukten, macht Marketing für neue Sportevents oder testet erste Prototypen. Es gibt beispielsweise viele interessante Projekte wie Internetcommunities in die Entwicklung des Kitesurfens oder Mountainbikings integriert wurden und werden. Niels Mitschke, 42, Projektmanager für Investments im Bereich IT bei CAST, dem Gründingszentrum für Unis, FHs und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen Tirols. www.cast-tyrol.com
Ein unendlich großer Thinktank
Social Media haben die Welt verändert: jede(r) ist Medium und gestaltet mit. Für immer dokumentiert, jederzeit auffindbar und sehr einfach teilbar. Das bedeutet Open Sourcing Potenzial für den Innovationsprozess in Unternehmen, für Politik, für Aus- und Weiterbildung… Neue Ideen, die früher geheim gehalten wurden, werden heute schon in der Betaphase in die Welt getragen, um Feedback, aber auch Commitment einzuholen. Um beim Innovationsprozess in Unternehmen zu bleiben: wer kennt denn die Knackpunkte von Produkten besser, als die AnwenderInnen selbst? Zum Glück gibt es da die Alphatierchen, die die Welt weiterentwickeln wollen, aber auch die Gamma Tierchen, die gerne zusammenfassen und teilen, was sie so beobachten. Für Unternehmen bedeutet Open Source in Form von Idea Crowd Sourcing die Öffnung eines unendlich großen Thinktanks als eine weitere Facette im Social Branding. Sabine Hoffmann, 36, Gründerin, Eigentümerin und Geschäftsführerin der ambuzzador Marketing GmbH, Österreichs führende Buzz Marketing Agentur mit Fokus auf Social Branding
Ein gewinnbringendes Prinzip
Auf den ersten Blick war und ist der Open Source-Gedanke etwas Anachronistisches in einem auf Gewinn und Eigentum, beziehungsweise Eigentumsrechten basierenden Wirtschaftssystem. Das Investieren von Geld und Zeit in etwas, mit dem vordergründig kein geldwerter Vorteil zu erzielen ist, war als Engagement, Hobby, gesellschaftliche Partizipation, Altruismus zu definieren – nicht als unternehmerisches Geschäftsmodell. Open Source fand zu einem Zeitpunkt aus dieser ‚Freak-Ecke‘ heraus, als erkannt wurde, dass sich mit OS-Angeboten Geld verdienen lässt – durch die Verknüpfung mit Dienstleistungen, Wartung, individuellem Customizing, etc. In dieser Entwicklung liegt das Spannende von OS: Ein Underdog hat einen Weg gefunden, im Wirtschaftsystem nicht nur zu überleben, sondern darüber hinaus ein unübersehbares Erkennungszeichen im selbigen zu werden. Trotzdem wurde nicht die grundsätzliche Philosophie verloren, oder zumindest nicht zur Gänze. In diesem Sinn ist OS daher nicht nur eine unternehmerische Innovation, sondern vor allem auch eine gesellschaftliche. Auch OS-Produktionen im Medienbereich können nicht mehr übersehen werden. Die Einbindung der Communities in Entwicklungsprozesse ist zielführend. Die beachtliche Anzahl vorhandener OS-Games beispielsweise beweist es. Auch OS-Animationsfilme werden ausschließlich über das Internet koordiniert und produziert. Es ist anzunehmen, dass große Unternehmen auf die Herausforderungen des Internets weiterhin mit traditionell-restriktiven Schutzmaßnahmen reagieren und Kontrollverlust über Inhalte und Copyrightverstöße ahnden. Es bleibt die Hoffnung, dass der Community-Gedanke stark genug ist, neben dem Spielraum für proprietäre Leistungen zu existieren. Nichtmonetäre Incentives für Produzentinnen und Produzenten bestehen, um nicht nur für Märkte, sondern für die Gesellschaft, oder um ihrer selbst willen zu produzieren. Es gibt keinen Grund, anderen Sektoren als dem IT-Bereich ein solches Potenzial generell abzusprechen. Jutta Scheibelberger leitet seit 2009 den Content Award Vienna, ein Projekt der ZIT – Die Technologieagentur der Stadt Wien GmbH. Zuvor war sie u.a. als freie Dramaturgin bzw. als freie Beraterin für das Zurich Film Festival tätig. Sie studierte Kommunikationswissenschaften in Wien und Salzburg und schrieb ihre Dissertation über die Funktionen von „Mexiko“ im US-amerikanischen Spielfilm.
Seit dem Aufkommen des Open Source-Gedankens in der Softwareentwicklung entstand so etwas wie eine auf die gesamte Gesellschaft übergreifende Bewegung. Open Source meint generell öffentlich zugängliche Lizenzen zur Weiterverarbeitung von Produkten und hält als Geschäftsmodell der Zukunft längst Einzug in Teile der kapitalistisch organisierten Wirtschaftswelt. Ausgehend von der IT-Branche verbreitete sich der Gedanke und wurde gleichsam zum Synonym für innovative Arbeits- und Produktionsformen. Es vereinfacht den öffentlichen Zugang zu Wissen und Kultur – und verwischt die Grenzen zwischen Kunde, Produkt und Produktion. Etwa in der Linux-Community: Dort arbeiten auf Projektbasis Programmierer an Weiterentwicklungen des Betriebssystems und vertreiben diese auf kommerzieller und nichtkommerzieller Basis. Dieser Code wird immer weiter und weiter entwickelt und vermarktet.
Im Moment behindern oftmals Patente und Lizenzen den öffentlichen Austausch von Ideen und Erfindungen. Um etwas auf legalem Weg weiterzuentwickeln, braucht es demnach auch über das entsprechende Kleingeld. Fällt diese Schranke, ist ein größeres Potential gegeben, um innerhalb einer „Community“ die Produktweiterentwicklung, also: -verbesserung voranzutreiben – zum Vorteil der Allgemeinheit. Darin könnte – zum Beispiel – in der Pharmabranche großes Potential liegen /(siehe Beitrag von Hannes Offenbacher)/.
Auf lange Sicht gesehen sollte sich mit Open Source-Modellen durchaus auch über die IT-Branche hinaus wirtschaften lassen. Denn Open Source kann gewährleisten, dass auch diejenigen honoriert werden, die ein Produkt herstellen, und der finanzielle Profit nicht ausschließlich den Unternehmen oder Anteilseignern selbst zukommt. Der Zusammenschluss einer großen „Community“, die gemeinsam an Innovationen auf den verschiedensten Gebieten arbeitet, mag utopisch klingen, aber es wäre über kurz oder lang für alle Beteiligten und darüber hinaus eine Bereicherung – sowohl im Kreativbereich als auch in der Forschung.
Wie die Umlegung des Open Source-Modells auf weiter reichende Teile der Wirtschaftswelt ausschauen könnte, bleibt zwar vorerst ungewiss. Doch der Gedanke ist bereits in den Köpfen vieler Geschäftsleute verankert, die Möglichkeiten werden gerade erst gedacht und vielerorts herrscht das Prinzip Versuch-Irrtum.