Das Setting, das Jochen Schimmang in “Neue Mitte” entwirft, ist eigentlich durchaus lesenswert: Deutschland 2029/2030. Das Land hat eine neunjährige Terror-Herrschaft und ein paar Jahre Übergangsregierung unter britischer Leitung hinter sich.
Ulrich Anders, gelernter Kaufmann, zieht ins frühere Berliner Regierungsviertel, eine Art Niemandsland, das von soetwas wie einer Bohème okkupiert und besiedelt wurde. Dort soll er helfen, eine Bibliothek aufzubauen. Unter ausführlicher Vorstellung der dort lebenden Personen, beschreibt der Ich-Erzähler in einer Metaebene das Junta-Regime, das 2016 durch einen Putsch an die Macht kam und ein (modernes) faschistisches System in 2.0-Manier aufgezogen hat. Als Symbol verwendet die Partei Nationale Moderne (PNM) – in Österreich gibt es mit Nationaler Aufbau (NA) ein austrofaschistisches Pendant – einen Doppelblitz, es gibt eine HJ- und eine BDM-Organisation mit den Namen Game Boys und Twilight Girls und die umgesetzten Architekturpläne erinnern stark an Albert Speers Germania-Vision. Soweit so gut und auch spannend. Allerdings gibt es in “Neue Mitte” gleich mehrere gravierende Probleme: Der größte Makel ist, dass die von Schimmang entworfene Utopie auch nicht annähernd weit genug geht. Seinen Beschreibungen nach, befinden wir uns 2029 technisch ungefähr am selben Stand wie heute, sieht man von einem Waffensystem namens “White Peace” mal ab. Zudem wird die Handlung durch die zahlreich und scheinbar wahllos eingeführten Personen, die noch dazu allesamt ausführlichst beschrieben werden, unheimlich verwässert. Ganz ärgerlich beim Lesen sind aber die manchmal auftretenden CSI-Momente. In Konversationen werden grundlegende Dinge erklärt, die für die am Gespräch beteiligten Personen eigentlich ganz selbstverständlich sein müssten. Eine sehr unelegante Art und Weise, zusätzliche Erklärungen in einen Text zu schmuggeln. So wird das sehr vielversprechende Setting leider wieder ruiniert.