An der Spitze von Plattenfirmen, Konzertveranstaltungs- und Management-Agenturen stehen noch immer hauptsächlich Männer. Das Gender-Gleichgewicht ist auch in der Musikindustrie ein vernachlässigtes Thema.
Es braucht ein wenig Geduld, um in der Liste der Global 500 des Wirtschaftsmagazins Fortune weibliche CEOs zu finden. Erst auf Platz 20 ist es soweit – mit Mary Barra von General Motors. Und auf Platz 84 folgt schließlich die zweite Frau an der Spitze eines der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt: Virginia Rometty von IBM.
Dass lediglich 4 % der CEOs in der gesamten Liste weiblich sind, mag frustrieren, bei derart klassischen, traditionellen Konzernen würden zeitgemäßere Beschäftigungsverhältnisse aber wohl noch mehr überraschen als diese über Jahrzehnte gepflegte männliche Dominanz.
Bei Unternehmen der Musikbranche sollte das dann aber doch anders sein. Möchte man meinen. Zwar werden Pop-Sternchen noch immer als Sexobjekte verkauft oder über Country-Singsang konservative Werte vermittelt, aber viele Artists setzen auch gesellschaftliche oder gar feministische Trends. Beyoncé mag für manch Widersprüchlichkeit in ihrem Auftreten und ihren Texten (man höre etwa »Bills Bills Bills«) kritisiert werden, wie Rihanna, Adele, Taylor Swift und viele andere ist sie aber ein selbstbestimmter Popstar, der Mädchen und jungen Frauen insbesondere eines zeigt: Sie können das auch schaffen.
Major Fail
Was Führungspositionen in der Musikbranche betrifft, ist das nicht so selbstverständlich. Die drei Major-Labels Universal, Sony und Warner haben in ihren internationalen Zentralen ausschließlich männliche CEOs. Aber nicht nur dort herrscht das Ungleichgewicht: Auch die Leitung von Universal Music Deutschland besteht zum Beispiel zur Gänze aus Männern.
Désirée J. Vach, Gründerin von Snowhite Records und Vorstandsmitglied des Verbands unabhängiger Musikunternehmen in Deutschland, sieht aber auch im Indie-Bereich ein Ungleichgewicht: »Unsere Mitgliedsunternehmen haben gerade einmal etwas mehr als 7 % Frauen in Führungspositionen, obwohl deren Frauenanteil insgesamt bei über 40 % liegt.« Vergleichbare Zahlen verzeichnet auch die Association Of Independent Music in Großbritannien – mit einem Frauenanteil von etwas mehr als 30 %, aber nur 15 % von Frauen geführten Unternehmen.
Bei den Majors und ihren Sub-Labels bekommt man zu diesem Thema keine Stellungnahmen. Entweder wurden Anfragen von höherer Stelle abgelehnt oder die angefragten Personen hatten trotz anfänglicher Bereitschaft Bedenken hinsichtlich möglicher negativer Auswirkungen auf ihre Karriere.
Es geht ums Ego
»Wenn ich auf einer Festival-Konferenz bin, dann stehen dort 80 % Männer«, erzählt Romy Weinstock. Sie arbeitet für das israelische Indie-Label und Management Anova Music. Wegen der isolierten Lage Israels gibt es bei der internationalen Vernetzung ihres Unternehmens besonders viel zu tun. »Ich arbeite fast ausschließlich mit Männern zusammen. Selbst administrative Jobs sind oft mit Männern besetzt.«
Weiter zu: Ego-Kämpfe, Übergriffe, Indie-Bereich, Shitstorms
Eine Horde von Männern auf einem Fleck – das kann schnell zu Machtkämpfen führen. »Bei Männern geht es oft ums Ego. Frauen sind nicht so egozentrisch. Das ist wahrscheinlich ein Nachteil«, so Weinstock. Barbara Steiner, Mitarbeiterin von Mica – Music Austria sieht das Problem fehlender Frauen in Führungspositionen unter anderem auch darin begründet, dass Männer grundsätzlich risikofreudiger und von sich selbst überzeugter agieren: »Ich erlebe immer wieder, dass sich viele Frauen beruflichen Herausforderungen selbstkritisch gegenüberstellen. ›Bin ich dafür geeignet? Kann ich das?‹ Damit verkaufen sie sich oft unter Wert. Auf der anderen Seite muss auch das berufliche Umfeld Raum und Rahmenbedingungen bieten, die es Frauen ermöglichen, ihre Zielstrebigkeit auszuleben.« Wertevorstellungen von Kolleginnen und Kollegen, Führungskräften oder auch Geschäftspartnerinnen und -partnern seien letztendlich mitverantwortlich dafür, ob Gleichstellung stattfindet oder nicht.
Almudena Heredero, Direktorin des Primavera Sound Festivals, beobachtet aber immerhin eine positive Entwicklung: »Auch, wenn es nach wie vor gängige Vorurteile gegenüber Frauen gibt, habe ich immer mehr mit Frauen in hohen Positionen innerhalb des Musikbusiness zu tun. Das wird von Jahr zu Jahr besser. Besonders auffallend ist das für mich bei Firmenneugründungen von Produktions-, Promotion- oder Management-Unternehmen.«
Aufschrei im Netz
Dass sich etwas bewegt und Sexismus nicht mehr einfach hingenommen wird, zeigt die Solidarisierungswelle rund um Kesha, die 2014 ihren ehemaligen Produzenten Dr. Luke u. a. wegen sexueller Übergriffe verklagt hat. Die Klage wurde später abgewiesen, doch viele Stars stellten sich hinter die Musikerin. Die Reaktionen ihrer Plattenfirma Sony Music waren hingegen eher dürftig. Auch dass Mann sich nicht mehr jede dumme Aussage erlauben kann, ist erfreulich: So ging etwa ein Aufschrei durchs Netz, als Jimmy Iovine, Musikproduzent und Mitbegründer von Interscope Records sowie Beats Electronics, in einem Interview Frauen zu musikalisch Unmündigen erklärte, als er meinte, ihnen mit seinen Produkten bei der Suche nach neuer Musik helfen zu müssen.
Dem Indie-Bereich attestiert Barbara Steiner ein frauenfreundlicheres Klima und sieht positive Entwicklungen sowohl in der Musikindustrie als auch in der Gesellschaft: »Ich glaube, dass du dir mittlerweile mit so einer Meinung einen Shitstorm einfängst, was vor 30 Jahren unter den Tisch gefallen wäre. Bei unserer Generation, der aus den 70ern und 80ern, hat sich extrem viel getan. Der Weg zur Gleichstellung und zu mehr weiblichen Führungskräften ist meiner Meinung nach dezidiert kein Kampf der Geschlechter, sondern viel mehr ein wichtiger gesellschaftlicher Wandel, der von Frauen und Männern gleichermaßen unterstützt werden soll.«
Wie bei den Fortune-Global-500-Unternehmen sind Frauen in Führungspositionen also auch in der Musikindustrie noch stark unterrepräsentiert. Bewusstsein und Diskurs rund ums Thema entwickeln sich schön langsam. Vor allem bei Indies und auf Branchenkonferenzen. Majors haben, was ihr öffentliches Auftreten und ihre Strukturen betrifft, noch viel Luft nach oben. Dass sie die Sache bald in Angriff nehmen, wäre im Sinne ihrer Kunden – beiderlei Geschlechts.
Im Rahmen des Festivals Waves Vienna hostet der Austrian Music Export am 30. September eine Networking Session mit dem Thema »Women In The Music Business«. The Gap veranstaltet am 21. Oktober beim Sorority Business Riot ein Panel zur Frage, warum sich so wenige Frauen auf Festival-Line-ups und hinter den Plattentellern finden.