Im MAK läuft gerade eine große Schau zu einem Thema, das altmodisch wirkt, an Aktualität aber kaum zu überbieten ist: Handwerk. Warum? Wir haben beim Ansehen der Ausstellung fünf Qualitäten von Handwerk entdeckt, die gerade heute unser Leben positiv beeinflussen können.
Nachhaltigkeit
Handwerk eröffnet verschiedene für nachhaltiges Konsumieren und Wirtschaften relevante Ebenen. Zum einen sind qualitativ hergestellte Produkte, deren Formgebung keinen kurzfristigen Trends unterworfen ist, ein guter Schritt in Richtung Ressourceneffizienz. Zudem bedeutet die direkte Verbindung von HandwerkerIn und KonsumentIn, dass Gegenstände bewusster verwendet werden und gegebenenfalls einfacher repariert werden können. All das erschließt sich aus der Wertschätzung des handwerklich gefertigten Objekts.
Damit verbunden und noch viel weitreichender ist die sich abzeichnende Neuformierung der Produktionsgegebenheiten: HandwerkerInnen könnten bei der Dezentralisierung und Demokratisierung der Produktionsmittel zu Role Models werden. Wenn die Verbreitung von Wissen über Technologie im Internet, beispielsweise durch Tutorials, weiter voranschreitet und die Unterscheidung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen weiter schwindet, wird das Handwerk auf dem Weg zu einer innovativen, personalisierten und nachhaltigen Produktion immer neue Relevanz gewinnen.
Identität
Leidenschaft in der Produktion erzeugt auf vielen Ebenen neue Bezüge zu den durch sie entstandenen Gegenständen. Durch das persönliche Engagement der HandwerkerInnen gelangt auch viel Verständnis über den handwerklichen Prozess zu den BenutzerInnen der Erzeugnisse. Zu Produkten, zu deren Entstehung man einen direkten Bezug hat, entsteht ganz selbstverständlich eine engere Bindung. Das baut nicht zuletzt darauf auf, dass handwerkliche Produktion die KonsumentInnen oft in den Konzeptions- und Herstellungsprozess einbindet. Spätere KundInnen können auf diese Weise individuell angepasste Lösungen angeboten bekommen und entwickeln auch ein Verständnis für ihren Aufbau und ihre Nutzung.
Das MAK zeigt diesen Aspekt mit einer hochpersönlichen Auswahl an Gegenständen: LeihgeberInnen sind Angestellte des Museums, die in ihren Familien weitervererbte handwerkliche Erzeugnisse zur Verfügung gestellt haben. Das streicht den identitätsstiftenden Wert heraus, den selbst ein abgetragenes Paar Stiefel haben kann, wenn es gut gepflegt und seine handwerkliche Qualität wertgeschätzt wird.
Kontinuität
Die im Handwerk zum Ausdruck kommende Verbindung von menschlichem Gestaltungswillen und der persönlichen Anwendung von Technologien ist so alt wie die Menschheit selbst: Die ältesten Stücke in der MAK-Ausstellung sind Faustkeile aus der Steinzeit. Anhand eines altchinesischen Keramikgefäßes, eines Glases aus dem antiken Rom und eines französischen Geräts zur Schraubenherstellung aus dem 18. Jahrhundert wird die Geschichte des Handwerks weitergesponnen – bis zu heutigen Produkten und einer Live-Werkstatt im Museum.
Die Geschichte technologischer Innovationen wäre ohne Handwerk nicht denkbar, das gilt ebenso für die Entwicklung unserer Gebrauchsgegenstände. So konnten sich auch über die industrielle Revolution hinweg die Werte, die dem Handwerk Bedeutung verleihen, erhalten: Handwerklich gefertigte Produkte stellen eine lebendige Verbindung zu einem oft übersehenen Teil unserer Geschichte her. Das funktioniert auch über die nach wie vor sehr persönliche Ausbildung von HandwerkerInnen.
Luxus
Gerade anhand der im MAK gezeigten Objekte lässt sich der Nutzen von handwerklichem Können in zwei Kategorien einteilen: Es ist bei der Erzeugung geradliniger Gebrauchsgegenstände hilfreich, jedoch auch als Fertigungsform für besonders fein und aufwendig verarbeitete Gegenstände. Luxus ist dabei sicherlich ein Reizwort – einerseits wird dem Handwerk vorgeworfen, kaum leistbare Güter für die Oberschicht herzustellen, andererseits zeigen genau diese Stücke auf, wie viel Kunst und Inspiration in Handwerk stecken kann. Zudem leistet sich Handwerk den Luxus der Bewahrung historischer Techniken.
Das MAK zeigt zwei Exponate, die in diesem Zusammenhang besonders herausragen: Eine mit täuschend echt wirkenden Seidenblumen und Federn bestickte Wolljacke aus der Métiers d’Art-Kollektion von Chanel zeigt bei aller Märchenhaftigkeit, wie sich internationale Luxusmarken auf tradierte Handwerkskunst verlassen. Der scheinbare Gegenentwurf dazu ist ein Set an Gartenwerkzeugen, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für Franz II./I. von Österreich gemacht wurde. Die Werkzeuge sind von einer reinen Schlichtheit, die die Liebe des kaiserlichen Gärtners für sein Handwerk unterstreicht. Oft ist Einfachheit – gepaart mit handwerklicher Qualität – der größte Luxus, den man sich leisten kann.
Hightech
Die Innovationskraft betreffend, schien lange Zeit die Industrie das Handwerk abgelöst zu haben. Heute zeigt sich jedoch – wie auch die Ausstellung im MAK beweist – dass das Handwerk sich das Potenzial, am Cutting Edge der Technologie zu sein, bewahrt hat. Wir haben den Reiz von technischen Lösungen wiederentdeckt, die aus den persönlichen Erfahrungen und Experimenten von Meisterinnen und Meistern entstehen und nicht aus Laboren stammen. Hightech-Materialien und -Verarbeitungstechniken werden mit traditionellen Methoden abgeglichen und mithilfe neuer Vernetzungsmöglichkeiten ins 21. Jahrhundert getragen.
Gleichzeitig greifen neue Sparten den Handwerksbegriff für sich auf. Wie der Soziologe und Kulturphilosoph Richard Sennett in seinem sehenswerten Interview für die Ausstellung im MAK erwähnt, nehmen ProgrammiererInnen und Hardware-EntwicklerInnen das Selbstverständnis als HandwerkerInnen für sich in Anspruch und weisen damit die industrielle Einheitsproduktion zugunsten von Lösungen mit individueller Qualität zurück. So bilden sich zeitgemäße Strukturen, die dem Bedarf nach individueller und dezentralisierter Produktion gerecht werden und die Innovationskraft tradierter Methoden unter Beweis stellen.
Die Ausstellung „Handwerk: Tradiertes Können in der digitalen Welt“ läuft noch bis 9.4.2017 im MAK. Zusätzlich zu den gezeigten Exponaten führen HandwerkerInnen dort täglich ihre Arbeit vor. Zudem findet von 4. bis 5. März das zweite Aktionswochenende statt, bei dem es unter anderem eine Dialogführung zum Schwerpunkt Porzellan oder aber die Möglichkeit zum Hockerbauen mit bockwerk gibt. Das gesamte Programm findet man hier.