The Gap hat Filme gewählt: Ein Jahr nach dem großen Hitlisten-Rummel für die Naughts haben unsere Film- und DVD-Redaktion überlegt, welche österreichischen Filme aus den letzten elf Jahren sie gepackt haben und bleiben werden. Ergebnis ist eine Top-Twenty-Liste mit Überraschungen.
20. Instructions (© Peter Tscherkassky)
20. Instructions for a Light and Sound Machine (Peter Tscherkassky, 2005) Oscar-Nominierungen schaffen Öffentlichkeit, aber konstante Weltklasse ist das Filmland Österreich vor allem im Avantgarde-Bereich. Ein prominentes Beispiel von Dutzenden ist diese Augen-und-Ohren-Dröhnung des Found Footage-Monteurs Peter Tscherkassky. Aus Bruchstücken von Sergio Leones „The Good, the Bad and the Ugly“ bastelt Tscherkassky eine Art kinomaterialistisches Remake des Daffy Duck-Meilensteins „Duck Amuck“. Read my lips: Großes Kino! Joachim Schätz
19. Der Überfall (© Allegro Film)
19. Der Überfall (Florian Flicker, 2000) Feines kleines Kabinettstück über die „patscherte“ Zufälligkeit des Lebens und ein großartiges Zusammentreffen von Düringer, Bissmeier und Hader. Bis heute überrascht der Ideenreichtum dieses Films. Und der Schluss – Hader mit der Pumuckl-Perücke im tödlichen Visier der Polizei – gehört zu den absurdesten und schönsten Enden des zeitgenössischen Films. Hans-Christian Heintschel
18. Der Räuber (© Austrianfilm)
18. Der Räuber (Benjamin Heisenberg, 2010) Personell und produktionsökonomisch steht der österreichische Spielfilm längst in Austausch mit dem deutschen Kunstkino der „Berliner Schule“. Bisheriger Höhepunkt dieser Allianz ist dieser spartanische Actionfilm, der sich an der wahren Geschichte des österreichischen Marathonläufers und Bankräubers Johann Kastenberger orientiert. Famos unbehaust: die Wiener Drehorte und Hauptdarsteller Andreas Lust. Joachim Schätz
17. Hat Wolff von Amerongen (© Stadtkino)
17. Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? (Gerhard Benedikt Friedl, 2004) Kein Film zur Krise, ein Film zum Wirtschaftssystem: Die Tonspur rekapituliert in grenzparodistischem „Aktenzeichen XY“-Tonfall biographische Details über deutsche Industrie- und Handelsbosse; das Bild zeigt nüchterne Schwenks und Fahrten durch europäische (Stadt-)Landschaften. Zusammenhänge werden greifbar und verflüchtigen sich wieder. Gerhard Friedls (1967-2009) einziger, umwerfender Langfilm. Joachim Schätz
16. Universalove (© Stadtkino)
16. Universalove (Thomas Woschitz, Naked Lunch, 2008) Mit dem großartigen Sound der Band Naked Lunch inszeniert der Nachwuchsregisseur Thomas Woschitz einen einfühlsamen und intensiven Episodenfilm rund um den Erdball. Ausgezeichnet mit dem renommierten Max-Ophüls Preis fasst Woschitz schwierige (Liebes-)Beziehungen in den Städten Tokyo, Marseille, Rio, Belgrad, Luxemburg, und Brooklyn in eindrückliche Bilder. Lena Nitsch
15. Import Export (© Ulrich Seidl Filmproduktion)
15. Import Export (Ulrich Seidl, 2007) Optimismus schaut anders aus, aber in seinem berührenden zweiten Spielfilm gesteht Ulrich Seidl seinen zwei Hauptfiguren erstaunliche Handlungsmacht zu. Anstatt wie seine früheren Beobachtungsobjekte im eigenen Saft zu schmoren, ziehen die ukrainische Krankenschwester Olga und der arbeitslose Wiener Pauli auf gekreuzten Routen in die Welt hinaus. Beide finden Europa und gehen trotzdem nicht kaputt. Joachim Schätz
14. Richtung Zukunft durch die Nacht (© Polyfilm)
14. Richtung Zukunft durch die Nacht (Jörg Kalt, 2002) Der beste, irrste Film des 2007 verstorbenen Jörg Kalt und die einzige im Österreich dieser Dekade gelungene romantische Komödie: Boy meets girl, man verliebt sich und trennt sich wieder. Und dann – der Nachspann hat schon begonnen – dreht Nick (Simon Schwarz) im Liebeskummer die Zeit um, und seine Romanze mit Anna (Kathrin Resetarits) läuft im Rückwärtsgang noch einmal an ihm vorüber. Witziges wie anrührendes Ideenkino. Joachim Schätz
13. Das Vaterspiel (© Lotus Film)
13. Das Vaterspiel (Michael Glawogger, 2009) In der Verfilmung von Josef Haslingers „Das Vaterspiel“ geht es um Ratz, der von einer ehemaligen Studienkollegin nach NY eingeladen wird. Dort soll er einen Umbau in dem Haus vornehmen, in dem sich ihr Großvater, ein NS-Verbrecher, seit 32 Jahren versteckt. Ratz selbst hat Probleme mit seinem Politikervater und versucht ein Computerspiel zu verkaufen, in dem es darum geht, den eigenen Vater zu töten. Mit „Das Vaterspiel“ gelang die seltene Mischung eines Films dessen Fortgang interessiert, ohne Thrill erzeugen zu müssen, und der formal interessant gelöst ist, ohne, dass man das Gefühl hat, es mit oberflächlichen Spielereien zu tun zu haben. Martin Mühl
12. Jesus du weisst (© Ulrich Seidl)
12. Jesus, Du weisst (Ulrich Seidl, 2003) In dieser Studie über die Kulturtechnik Beten hat Seidl seinen konfrontativen Dokumentarismus aufs Wesentlichste reduziert: Gläubige Christen sprechen ihre Botschaften an Gott in die Kamera und erzeugen beim Zuschauen massives Unbehagen, das sich weder Weglachen noch -analysieren lässt. Joachim Schätz
11. Immer nie am Meer (© coop99 Filmproduktion)
11. Immer nie am Meer (Antonin Svoboda, 2007) Die Ausnahme-Kabarettisten Stermann und Grissemann brillieren in „Immer nie am Meer“ erstmals aus Protagonisten in einem Spielfilm. Die kuriose Geschichte dreier Männer gefangen mitten im Wald im Dienstwagen des ehemaligen Bundespräsidenten Waldheim begeistert durch Komik und Tragik gleichermaßen. Lena Nitsch
10. Mein halbes Leben (© Polyfilm)
10. Mein halbes Leben (Marko Doringer, 2008) Der dreißigste Geburtstag ließ Marko Doringer alles andere als kalt. Als a-typisch umhertreibender Teil einer Generation der Ungewissen schnallt er sich eine Kamera auf den Kopf und lässt im Dialog mit Therapeut, Freunden und Familie den Status Quo seines Lebens Revue passieren. Der Weg zur Bilanz seiner Ich-Perspektive ist eine spannende, pointiert arrangierte und diskussionswürdige Selbstanalyse geworden, deren persönlicher Charme ihre gesellschaftspolitische Relevanz gekonnt verstärkt. Klaus Buchholz
9. Workingman's Death (© G.M.B. Akash)
9. Workingman’s Death (Michael Glawogger, 2005) 2005 ruft Multi-Regisseur Michael Glawogger jene Geister eines gegenwärtig globalisierten Kapitalismus zu sich, die wir im Verwertungsalltag weitgehend losgeworden sind. „Workingman's Death“ ersetzt die blinden Flecken einer privilegierten Perspektive mit malerischen Bildern körperlicher Schwerstarbeit, ausgeführt von den zahlreichen Unsichtbaren dieser Welt. Mit respektvollem Blick beobachtet seine Kamera Minenarbeiter in der Ukraine, Schlachter in Nigeria, Stahlhandwerker in Indonesien oder neu genutzte Industrieruinen in der BRD. Der gezeigte, knochenharte Arbeitsalltag geht in imposanten Bildkompositionen auf, die durchwegs erschüttern und faszinieren. Anstatt die komplexen Gefüge grob zu kommentieren, überlässt Glawogger sein Publikum einem intimen Beisein einer Bildgewalt, die nachhaltig Eindruck macht. Klaus Buchholz
7. In drei Tagen bist du tot (© Allegrofilm, Petro Domenigg, filmstills.at)
7. (ex aequo) In drei Tagen bist du tot (Andreas Prochaska, 2006) Andreas Prochaskas Horrorthriller fuhr vor vier Jahren in viele Knochen ein. Mehr als 80.000 Mal, was für einen Slasher made in Austria eine Sensation war und noch immer ist. Kein Wien-Film, kein Kunst-Film, keine bekannten Schauspieler, dafür viel kalte Salzkammergut-Landschaft, jede Menge durchfrorener Charaktere und ein weiblicher Rachengel, dessen Unerbittlichkeit einigen Jugendlichen ein gewaltsames Ende bringt: Prochaskas mit Laiendarstellern gedrehter Film steht, zusammen mit seinem ebenfalls gelungenen zweiten Teil, noch immer solitär in der heimischen Filmlandschaft herum. Warum das Genre hierzulande so wenig Phantasie entfacht, bleibt weiterhin ein Rätsel. Hans-Christian Heintschel
7. Die Klavierspielerin (© Wega Film)
7. (ex aequo) Die Klavierspielerin (Michael Haneke, 2001) Diese von Michael Haneke durchexerzierte Elfriede Jelinek-Verfilmung passt wie die drängende Faust in die Magengrube einer Hochkultur-Bourgeoisie, die hier langsam implodiert. Isabelle Huppert darf sich als manische Klavierautorität stückweise selbst zerstören und reißt all blank inszenierten Schablonen, die Haneke um sie herum errichtet, eindrucksvoll mit sich: hinein in diese sich offenbarenden Abgründe, wie sie nur Michael Haneke aufzureißen weiß. Klaus Buchholz
6. Der Knochenmann (© Dor Filmprod., Petro Domenigg, filmstills.at)
6. Der Knochenmann (Wolfgang Murnberger, 2009) Das gesamte Ensemble läuft bei dieser dritten Verfilmung eines Wolf Haas-Krimis zu Hochform auf. Dabei rückt die verschachtelte Story um einen steirischen Wirtshausbesitzer, die Belegschaft seines Lokals und ein Puff in Bratislava weit in den Hintergrund – ohne dabei prinzipiell an Spannung zu verlieren. Viel mehr interessiert sich der Film wieder einmal für die Figuren und so sehr wie noch nie für die einzelnen Situationen und Szenen. Ich kann mich an keinen heimischen Film erinnern, der jemals so dicht an Sagern und Pointen war, in dem jeder Satz und jede Geste sitzt. Diese Schärfe dürfte nicht zuletzt an Haders Mitarbeit am Drehbuch liegen und seiner Art den Brenner zu spielen, der diesmal gerade dann immer wieder im Gedächtnis bleibt, wenn er nicht das letzte Wort hat, wenn andere wieder einmal schlagfertiger waren. Streckenweise unpackbar lustig. Martin Mühl
5. Hotel (© coop99 Filmproduktion)
5. Hotel (Jessica Hausner, 2004) Fünf Jahre, nachdem „The Blair Witch Project“ eine ganze Generation von wanderfreudigen Cineasten das große Fürchten im dunklen Wald gelehrt hat, entwarf Jessica Hausner mit „Hotel“ ein atemberaubendes Stillleben, dessen kühle Ästhetik nicht minder gruselt. Der Ausbildung wegen kommt Irene in ein österreichisches Waldhotel. Ihre Vorgängerin verschwand, der Sage nach gab es einst eine Hexe im Wald, Arbeit und Menschen sind unerbittlich. Doch anders als der US-Kassenschlager, der in Spurenelementen durchaus als Referenz assoziiert werden kann, geht es bei Hausner nicht um Horrormystik, sondern um das gar nicht erst fassbare Unheimliche aus der Mitte der Gesellschaft. Dabei dringt sie geschmeidig durch die Gänsehaut einer apathischen und autoritären Tourismusnation, um am Ende ein Unbehagen zu verbreiten, das weit tiefer geht als die nicht enden wollenden Hotelkorridore und Waldwege. Klaus Buchholz
4. Contact High (© Lotus Film, Boje Buck, Michael Glawogger)
4. Contact High (Michael Glawogger, 2009) Kino als Wundertüte: Michael Ostrowski (Drehbuch und Hauptrolle) und unser Listenkaiser Michael Glawogger (Regie und Drehbuch) arbeiten sich nach dem Sexschwank „Nacktschnecken“ am kinematographischen Potential des Drogenrauschs ab. Eigentlich hätten Max (Ostrowski) und Johann (Raimund Wallisch) in Polen nur eine Tasche abholen sollen, aber nach einem Discobesuch taumeln sie durch ein Wunderland aus schrumpfenden Hotelzimmern und rückwärtslaufender Zeit, verfolgt vom entfesselten Paar Georg Friedrich/Detlev Buck. Die Handlungsführung behauptet die Wiedergeburt der Louis de Funès-Klamotte als LSD-Trip, die Form pendelt sich ein zwischen High Concept-Ausstattungsklamauk und Bastelkino à la Michel Gondry. Befund nach dreimaliger Sichtung: bestechend blöd. Joachim Schätz
3. Silentium (© Petro Domenigg filmstills.at)
3. Silentium (Wolfgang Murnberger, 2004) Österreichischen Film mag ich genauso wenig wie österreichische Literatur. Wenn ichs mir recht überlege, sogar noch weniger. Als Folge davon kann man die paar Produktionen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, an einer Sägewerkarbeiter-Hand abzählen. Ein Film hebt sich aber von den vielen selbstmitleidigen, langatmigen oder einfach nur unlustigen Filmen hierzulande ab: „Silentium“. Die beste der bisher erschienen Wolf Haas-Verfilmungen, die allesamt die anstrengenden Romanvorlagen weit in den Schatten stellen. Genau wie „Komm, Süßer Tod“ und „Der Knochenmann“ lebt auch „Silentium“ zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von einem Kabarettisten, der sich über die Jahre hinweg zu Österreichs bestem Schauspieler entwickelt hat. Josef Hader verkörpert die Rolle des missmutigen Detektivs Brenner, der, bevor er den Tag beginnt, immer eigentlich schon resigniert hat, perfekt und ist damit auch so etwas wie ein Spiegelbild der österreichischen Seele. Um nicht vollends in die Tristesse abzurutschen, bekommt Hader mit Bertie (Simon Schwarz) einen oftmals naiven, nie aber plump-dämlichen Watson zur Seite gestellt. Dieses Duo bildet die Grundlage für alle drei Wolf Haas-Adaptionen. Außergewöhnlich sehenswert werden sie allerdings durch den Mut des Regisseurs, echte Thriller zu drehen. So wird aus einem Roman, der hauptsächlich durch seine ungewöhnliche Sprache (negativ) auffällt, ein spannender Film Noir mit Schießereien, Morddrohungen und sogar einer Autoverfolgungsjagd im Parkhaus. Warum „Silentium“ und nicht „Komm, süßer Tod“ oder „Der Knochenmann“? Für mich reine Geschmackssache. „Silentium“ spielt in der Festspiel-Stadt Salzburg und greift typisch österreichische Heiligtümer wie den Hochkultur-Adel und die katholische Kirche direkt an. Dazu kommen das Hitchcock-Zitat am Sportplatz und die vielen Bibelanspielungen, die ein paar unnötige Übertreibungen leicht vergessen lassen. David Bogner
2. Böse Zellen (© Polyfilm)
2. Böse Zellen (Barbara Albert, 2003) Große Einsamkeit sowie die Abhängigkeit von einem anderen Menschen vereint die Protagonisten in Barbara Alberts zweitem Langspielfilm nach „Nordrand“. Neben den großartigen Schauspielern Kathrin Resetarits und Georg Friedrich verleiht insbesondere die damals noch relativ unbekannte Ursula Strauss dem Film ein hohes Maß an Intensität. Die von Albert gewählte Erzählform spinnt ein Netz aus ineinander verwobenen Geschichten, lässt aber gleichzeitig jeder Figur Platz für sich allein. Der tödliche Autounfall der jungen Mutter und Ehefrau Manu setzt eine Kette von Ereignissen in Gang, die Menschen in Manus nährem wie weiterem Umfeld nachhaltig beeinflusst. In einem an Chaostheorie und Familienaufstellung orientierten Erzählnetz lässt die Regisseurin ihre Figuren eigensinnige, oftmals undurchsichtige Wege gehen. Die einzelnen Ereignisse werden episodenartig wiedergegeben, folgen aber keiner linearen Erzählrichtung. In einfachen, bewegenden Bildern hat Barbara Albert mit „Böse Zellen“ eines der atmosphärisch dichtesten und bewegendsten österreichischen Sozialdramen der letzten zehn Jahre geschaffen. Lena Nitsch
1. Revanche (© Lukas Beck)
1. Revanche (Götz Spielmann, 2008) Johannes Krisch ist Alex und der hält seinen Kopf hin, für das kleine Glück und für einen großen österreichischen Film. Sinnbildlich dominiert das Filmposter von „Revanche“ die gewaltige Stirn von Hauptdarsteller Krisch – verletzlich und grob, ungeschönt und unmittelbar. In einer Sequenz hackt er unermüdlich und stoisch unzählige Holzstücke, arbeitet sich ab an seiner scheiternden, nach Vergeltung sehnenden Figur. Die überzeugende Leistung von Götz Spielmanns preisgekröntem Drama liegt, abgesehen von seinem außergewöhnlichen Drehbuch, in seiner Schauspielführung bzw. in den Körpern seiner Darstellerinnen und Darsteller. Eine fantastische Ursula Strauss als unfreiwillige Femme fatale, ein selbstzersetzender Andreas Lust. Gekonnt sinniert Spielmann mit seinen an den Rand gedrängten Charakteren über Vergeltung, Flucht und Sehnsucht nach, ohne dabei den notwendigen Suspense aus dem Fokus zu verlieren. Fragil, gewaltsam, bestechend schlüssig und so nahe an glaubhafter Epik wie kaum ein österreichisches Genrestück. Klaus Buchholz
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