Wenn alles auseinander fällt

Der Nahostkonflikt verschärft sich. In der letzten Woche flogen zum ersten Mal seit 1991 Raketen in Richtung Tel Aviv. Wie fühlt man sich in einer Stadt, die unter Beschuss steht?

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Für die Bewohner Tel Avivs ist der Zustand kriegsähnlich. Wie lebt man in so einer Stadt? Und wie kann man dort noch Musik machen? Geht das überhaupt? The Gap führte ein Interview mit Yuval Haring, Sänger und Gitarrist von Vaadat Charigim und der TV Buddhas.

The Gap: Wie beeinflussen Raketenangriffe und Kriegszustände euren Prozess Musik zu machen? Was sind deine Prioritäten unter solchen Bedingungen?

Yuval Haring: Wir haben gerade erst einen Song aufgenommen, das ist nicht allzu lange her, da gab es eine Sirene und dann einen donnernden Krach, wir liefen in den Bunker des Hauses in dem wir uns gerade befanden. Als wir wieder zurück im Studio waren, war ich deprimiert. Ich hatte ein fürchterlich schweres Gefühl in meinem Magen und meiner Brust. Ich wollte nicht raus gehen, ich wollte nur den Himmel beobachten und warten was passiert. Es ist verdammt hart Abstraktes zu kreieren, wenn um dich herum alles auseinander fällt.

Was macht Tel Aviv speziell um hier Musik zu machen?

Wie in anderen großen Städten ist es ein Platz, wo Menschen stetig Liebe oder Schmerz suchen. Tel Aviv hat von beiden genug zu bieten. Die Leute suchen das Zwischenmenschliche. Ich fühle das, wenn ich durch die Straßen gehe, im Gegensatz zu Berlin oder London. Hier gibt es eine Nähe und Wärme, die ich nicht wirklich beschreiben kann. Aber natürlich gibt es auch eine Menge an Schmerz.

Tel Aviv ist teuer, frustrierend, es gibt nicht viel Platz für Neues. Es wird versucht die Stadt aufzuwerten, an allen Ecken und Enden. Aber es ist kein willkommener Fleck für junge Künstler. Trotzdem, es ist der Angelpunkt für junge rebellische Menschen. Viele Leute kommen einfach nicht über die Runden und die, die es schaffen, finden sich in einem erbarmungslosen Konkurrenzkampf wieder. Es gab große Proteste vor einem Jahr, Menschen aus der Stadt wehrten sich gegen die einigen wenigen Emporkömmlinge.

Wie organisiert man unter kriegsähnlichen Zuständen Konzerte? Ist das schwierig?

Nicht wirklich. Es gibt viele Clubs, so wie in Wien, in allen Ausformungen und Größen. Aber die meisten funktionieren wirtschaftlich orientiert und haben daher Geschäftsbeziehungen zu den Bands. Von einer Community kann man hie und da in den kleinen Clubs, wie dem Zimmer oder dem Reality Rehab Center finden. Das sind zwei ganz spezielle Orte.

Wer kommt zu euren Konzerten?

Es gibt ein Nischenpublikum für jede Ausformung von Musik. Wir scherzen immer, dass wenn ein großes Konzert stattfindet, kann man immer mit den selben 200 Gesichtern rechnen. Dieses Konzept einer "kleinen Szene" wurde unterbunden, es gibt jetzt großangelegte Indie-Festivals, wie das In-D-Negev und internationale Bands, die große Stadien füllen (zum Beispiel vor nicht allzu Langem Jesus and Mary Chain). In Israel ist die "Szene" nicht organisch gewachsen wie in den USA, hier begann alles mit dem Internet.

Wie lässt sich derzeit die Motivation fürs Musik-Machen halten?

Kunst zu machen kommt davon Erfahrungen zu machen, es fußt auf kritischen Gedanken. Das Leben hier ist Gedanken hearausfordernd, vereinend, irritierend und schön zugleich. Du musst dir nur das herausfiltern, was du willst. Es geht eher darum, etwas tun zu müssen und nichts anderes.

Was wären die größten Hoffnungen für dich, für die Stadt?

Die Politiker sollten endlich klüger werden. Sie sollten zukunftsorientiert denken. Und ich würde gern einmal im Weltraum leben. Das wurde uns doch in Filmen versprochen, aber ich sehe da keinen Fortschritt und das macht mich traurig.

Viele israelische Bands singen Englisch. Du singst auch auf Hebräisch. Was sind deine Gründe?

Für viele ist das Singen auf Englisch "natürlich", so wie ein Cowboy einen texanischen Akzent hat, sollte auch ein Rockstar Englisch singen. Ich singe auf Hebräisch, weil ich tiefgehender denken kann.

Fungiert eure Musik als Sprachrohr? Wollt ihr etwas verändern?

Ja. Ich glaube es kann dir einen gewissen Eskapismus vermitteln, es hilft dir auch dabei härter an deinem Leben zu basteln, es kann dich zum Weinen bringen und dabei helfen den Seelenmüll abzugeben.

Wollt ihr den Rest der Welt aufmerksam machen auf eure verkarpte Situation in Israel? Ist es möglich mit Online-Präsenz, z.B. Bandcamp und Soundcloud, ein paar Anliegen raus zu tragen?

Erstens möchte ich einmal sagen, dass es nicht eine Situation in Israel gibt, es ist eine ganze Region, die Israel, Gaza und alle umliegenden Länder betrifft. Es ist ein riesiger Haufen an Konflikten. In Sachen Bandcamp und Soundcloud: Das sind nur Werkzeuge, du musst noch immer geradeheraus und pur sein.

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Bild(er) © Vaadat Charigim
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