Das Alphabet des Alltags untersucht das Möbiliar des Lebens, Design abseits von Luxus und Chefausstattung. In dieser Folge: der Einkaufswagen.
Zeige mir deinen Einkaufswagen und ich sage dir, wer du bist: Wie oft wundert man sich darüber, welche Unmengen von Waren die gleichgesinnten Konsumidioten im Supermarkt vor sich hin rollen. Nicht verwunderlich ist allerdings, dass der Einkaufswagen in den USA erfunden wurde, wo die Konsumkultur stets zwei Schritte voraus war. Und während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die ersten Industriedesigner in Amerika die Umsätze ordentlich zu steigern wussten, war es ausgerechnet kein Designer, der das vielleicht wichtigste Symbol unserer Wohlstandsgesellschaft erfand.
Ein gewiefter Geschäftsbesitzer aus Oklahoma City, Sylvan N. Goldman, hatte erkannt, dass die Leute noch mehr kaufen würden, wenn sie mehr Arme zum Tragen hätten. Also stellte er ihnen 1937 in seinem Humpty-Dumpty-Supermarkt Einkaufskörbe Rollgestellen zur Verfügung. Zunächst angeblich ohne Erfolg. Die Frauen wollten keinen zweiten Kinderwagen und die Männer fanden es lächerlich. Erst mit der Zeit setzte sich Goldmans patentierte Erfindung durch, in den 50er Jahren ging es erst richtig los: Die Etablierung von Selbstbedienungsläden und Supermärkten ist ohne den Einkaufswagen unvorstellbar.
Interessanterweise hat sich das Vehikel in seiner Grundform bis heute kaum verändert. Der Wagen ist – passend zum Warenangebot – bloß voluminöser geworden, manchmal wird er aus Kunststoff gefertigt, was zwar bunter ist, sich aber auch leichter abnützt als verchromter Stahldraht. Trotz des in Europa üblichen Pfandsystems ist die Zahl der Diebstähle von Einkaufswägen noch immer enorm, wohl nicht aus ästhetischen Gründen, sondern weil sie einfach praktisch sind.
Dass das Vehikel zum Kaufrausch manchen Obdachlosen als Transportbehälter für ihre kargen Habseligkeiten dient, ist eine Ironie des Kapitalismus. Neuerdings wird der Einkaufswagen auch in Berliner Alternativkreisen zum „Mobile Gardening“ eingesetzt: Man führt seine Pflänzchen aus. Zur Inspirationsquelle wurde der tägliche Begleiter außerdem für einen berühmten Stuhlentwurf, der in jedem Designlexikon zu finden ist: „Consumer`s Rest“ von Stiletto aus dem Jahr 1983. Der Einkaufswagen ist zäh und nicht umzubringen. Neuerdings tut er immer mehr auf virtuell: Ein Klick, schon ist die Ware im Einkaufswagen – und ab zur Kassa!