Auf seinem neuen Werk liefert der Boss sowohl hochqualitativen Stumpfsinn als auch passablen Tiefsinn. Die Fassade zeigt Risse.
Seitdem 2005 das erste Zuhältertape im Netz auftaucht ist, war Kollegah verdammt schaffensfreudig. Er versorgte dabei die Welt mit Straßenrap voller komplexen Reimketten, Doubletime-Parts und Wortspielen ohne Ende. In den Tracks gings meistens um Koks, Nutten, und zig Fallbeispiele für die Überlegenheit des Rappers. Ernster gings auch zu, wie bei „Rauch“ oder „Sommer“, bzw. den beiden Free Tracks vorm Albumrelease, das war jedoch stets die Ausnahme. Seichter Inhalt wurde durch technische Finesse ausgeglichen. Und bis jetzt war damit auch jeder zufrieden.
Manchem Fan waren die Autotunehooks auf "Bossaura", dem letzten Soloalbum, allerdings ein Dorn im Ohr. Und das Volk ward erhört. "King" ist musikalisch eine Rückkehr zur Zuhältertape-Trilogie, verzichtet auf Gesangseinlagen oder Ohrwurmfaktor. Und auch textlich wird der alteingesessene Anhänger glücklich werden – Narzissmus und Gewaltandrohungen, verpackt in kreativer Lyrik und strotzend vor Punchlines. Das trifft auf etwa 80% der Zeilen zu. Im Rest finden sich überraschend ehrliche Botschaften.
Dope und Studium – geht sich aus
Der erste Track dient dabei als Miniaturversion des gesamten Albumkonzepts. „Alpha“ erinnert den Hörer erstmal an die Bedeutung des Bosses für den gesamten Deutschrap und an seinen harten Weg an die Spitze. Hoes, Dope und Gewalt. Und im letzten Part dann plötzlich Realtalk, Studium statt Street Credibility, kurzzeitig weg vom „Bossgelaber“. Harte Worte gegens eigene Image. Jetzt einsetzende Furcht um die gewohnte Bosshaftigkeit hält aber nicht lange an. Gleich im Anschluss zeigt „King“, Titeltrack und Flaggschiff des Albums, was Kolle eben doch noch am besten kann. Der Mann feiert sich mal wieder selbst, dass es eine Freude ist. Kongeniale Selbstverherrlichung auf kräftigem Beat, so muss das sein.
Das sind auch die beiden Hauptzutaten für die Folgestücke. „Cohibas, blauer Dunst“ verbreitet dank Farid Bang-Feature dabei gutes altes JBG-Flair – aggressiv, arrogant und wortgewaltig. Und dann, „Morgengrauen“. Plötzlich Bescheidenheit, Abwendung vom Materialismus, und Respekt vor Frauen. „Du bist Boss“ führt den Reigen gleich fort, betont Ideale wie Ehrlichkeit und Dankbarkeit. Die Abwechslung tut gut, obgleich diese Exemplare technisch weniger ausgeklügelt als Kollegahs Königsdiziplin Imagerap.
Und wer meint, davon nicht genug zu bekommen, wird spätestens mit „Königsaura“ gesättigt sein. Im sieben Minuten langen Nachfolger zu „Bossaura“ zieht der selbsterkorene Weltmonarch noch einmal sämtliche Register. Multiple Doppelreime, treffsichere Vergleiche, bumm bumm tschack. Die Features mit Game und Casper bieten Standardkost mit prominenten Stimmen, während zusammen mit den Labelkollegen Genetikk der Bedeutung von Rap auf den Grund gegangen wird.
Horizont erweitert, Wurzeln gefestigt
Ganz allgemein macht King allerdings den Eindruck, als hätte Kollegah langsam weniger Freude am Bossimage. In den letzten Promo-Interviews hieß es ja auch, dass Mensch und Masche inzwischen kaum mehr Gemeinsamkeiten haben. King ist immer noch großteils Punchline-Rap, und zwar auf überragend hohem Niveau. Doch die einzelnen reiferen Textpassagen fallen schwer ins Gewicht. Darüber mag nicht jeder Fan der ersten Stunde glücklich sein. Allerdings ist das Album ansonsten mit genug klassischer Bosshaftigkeit vollgepumpt, um auch die zufrieden zu stellen. Horizont erweitert, Wurzeln gefestigt. Klare Empfehlung für Freunde von lyrischer brillantem Gangsta-Gehabe mit einem Funken Menschlichkeit.
"King" von Kollegah ist soeben via Universal erschienen.