Teil 1: Österreichs Qualitäts-Filmmagazin Ray feiert seinen 5. Geburtstag und kann stolz auf 50 Hochglanz-Ausgaben zurückblicken. Grund genug, um Herausgeber Andreas Ungerböck und Chefredakteur Roman Scheiber zu besuchen und über Film und die Welt zu plaudern. Ein Interview über produktives Verstören, Magazin-Fetischisten und das Durchschnitts-Dreckskino … und George Clooney.
Was unterscheidet Ray von anderen Filmzeitschriften in Österreich?
Ungerböck: Wir bewahren uns hohe Qualität durch gleich bleibende Standards. Wir schreiben nicht über alles, wollen aber auch nichts kategorisch ausschließen. Wenn „Avatar“ das Thema ist, dann haben wir auch etwas darüber zu schreiben! Unsere Bandbreite reicht eben von Blockbuster bishin zu Avantgarde.
Versucht ihr, das Magazin an international renommierte Filmzeitschriften anzugleichen, oder wollt ihr anders sein?
U: International gibt es gar nicht so viele qualitative Filmzeitschriften wie man glaubt. In Deutschland ist nichts, was ich als Vorbild betrachten würde. Die deutschen Magazine schauen im Vergleich zu Ray eher ärmlich aus. Die Franzosen sind auch keine Vorbilder, das ist mir alles zu anstrengend. Aber prinzipiell kann man Filmzeitschriften nicht ständig neu erfinden.
Scheiber: In Amerika sind ja auch 90 Prozent der Magazine Gossip-Blätter, was uns gar nicht interessiert. Neben den Rezensionen überlegen wir uns auch öfter Querschnittsgeschichten, zum Beispiel einmal ein Special über Schauspieler, deren Gesicht jeder kennt, aber nicht deren Namen. Aber sonst sind wir bei der Themensetzung wie alle anderen davon abhängig, welche Filme in den Kinos starten.
Ihr habt ja sehr viele Kooperationen mit Festivals und Filminstitutionen. Wie wichtig sind die für euch?
U: Bei Festivals wie Crossing Europe und der Diagonale wären wir auch so dabei, weil das sehr interessante Festivals sind. Das schöne dabei ist, dass wir für diese Kooperationen auch bezahlt werden. Ideen wie das Special zu dok.at et cetera stammen von uns. Damit gehen wir auf die Leute zu und das klappt auch gut.
Zurzeit versuchen wir auch im außerfilmischen Bereich präsent zu sein. Wir haben gute Verbindungen zum Konzerthaus, auch zum Ö1 Club und zum Volkstheater. Das erscheint auf den ersten Blick nicht ganz logisch, aber das ist immerhin auch ein kulturinteressiertes Publikum. Wir wollen den Kreis erweitern. Außerdem greift im Theater sowieso gerade der Trend um sich, Filme auf die Bühne zu bringen.
Wie sieht es mit dem Problem der Objektivität bei Kooperationen aus?
S: Das muss man trennen können. Bezahlte Programmzeitungen gestalten wir selbstverständlich, ohne eine Wertung einfließen zu lassen. Anders würde das nicht funktionieren. Im Heft schreiben wir aber auch dann ehrlich unsere Meinung, wenn wir in einer Kooperation stecken. Einmal haben wir den Eröffnungsfilm der Diagonale verrissen. Dann muss man sich zwar gegenüber den Veranstaltern rechtfertigen, aber der Auftrag wird einem nicht gleich entzogen, nur weil man die Wahrheit sagt.
Wer sind eigentlich die Autoren von Ray?
S: Wir haben etwa ein Dutzend Stammautorinnen und -autoren, das sind alles freie Mitarbeiter. Ein Großteil von ihnen sind Deutsche.
U: Wir bemühen uns extrem um gute Beziehungen. Wir suchen auch immer Leute bei der Berlinale. Andere wiederum kenne ich schon sehr lange. Ich finde, dass die Autorenpflege eine der schönsten Dinge an unserer Arbeit ist.
S: Teilweise finden uns die Autoren, weil sie das Produkt interessant finden. Wir bekommen viele Geschichten angeboten. Bei uns hat auch Platz, was in anderen Printmedien keinen findet. Manchmal knallen wir riesige Interviews mit Leuten ins Heft, die der breiten Masse wenig bis gar nicht bekannt sind, in Fachkreisen jedoch als Stars gelten. Damit erzeugen wir, hoffe ich, eine Art produktive Verstörung. Wir wollen unseren Leserinnen und Lesern immer etwas Neues vorstellen und nicht, wie andere Medien, nur über Dinge schreiben, die sie bereits kennen.
Warum habt ihr so viele deutsche Autoren? Gibt es zu wenige Talente bzw. Experten in Österreich?
U: Die meisten heimischen etablierten Autoren sind bei anderen Medien untergebracht. Es gibt auch in Österreich viele gute Autoren. Allerdings gibt es einen Mangel an Medien. Wir engagieren ungern Autoren, die vorher nur im Internet ein paar mal Etwas geschrieben haben. Das soll nicht arrogant klingen, aber wir müssen uns ein gewisses Maß an Qualität bewahren.
S: Die, die ihr Haupteinkommen hierzulande als Filmautoren bestreiten können, kann man an zwei Händen abzählen. Der Rest schreibt da und dort und hat zusätzliche Nebenjobs. Man könnte heute niemandem guten Gewissens raten, Filmkritiker zu werden. Aber es gibt viele gute Leute. Den Schätz (Anm.: Leitender Filmredakteur bei The Gap) zum Beispiel schätzen wir.
U: Im Verhältnis gibt es sicher nicht weniger Gute als in Deutschland. Ein Problem sehe ich schon. Die meisten Leute, besonders die, die aus dem wissenschaftlichen Bereich kommen, können vor allem lang schreiben. Schwierig wird es, wenn man einen ganzen Film mit nur 2.500 Zeichen beschreiben soll.
Wie sieht die Zukunft für die Filmindustrie aus? Nimmt sie einen ähnlichen Weg wie die Musikindustrie, nämlich die Abwanderung ins Internet?
S: Eine Aufspaltung passiert gerade. Zum einen wird es Event-Blockbuster-Kino solange geben, solange es Leute wie James Cameron gibt, die das Publikum massenhaft ins Kino locken. Auf der anderen Seite nutzen Nischenprodukte den neuen Markt. Indie-Filme vermarkten sich zunehmend online. Diese Entwicklung ist uns bewusst. Das Mittelding dazwischen wird immer mehr aufgerieben. Ein Woody Allen-Film zum Beispiel ist weder Blockbuster noch Nischenprodukt. Der Mittelbau des Kinos wird von beiden Seiten in die Mangel genommen. Es ist offen, wo das hinführt.
Online tut sich bei Ray nicht viel. Wäre ein Ausbau im Online-Bereich für ein Magazin heutzutage nicht empfehlenswert bis überlebensnotwendig?
S: Das ist ein Dauerthema bei uns. Es ist schwierig, etwas online zu machen, ohne dadurch dem Heft das Wasser abzugraben. Wir wollen die Leser nicht ins Internet umlenken, wo wir mit Werbung nicht genug verdienen können.
U: Wir werden das Internet gleich überspringen! (lacht) Ich denke, wir sind einfach vom alten Schlag. Und ich glaube nicht, dass das Kino ganz aussterben wird. Trotz Internet kommen immer noch über 300 Filme jährlich ins Kino. Das könnten ruhig weniger sein. Das Problem sind nicht die Blockbuster, die eh jeder gern hat, sondern der Junk, das Durchschnitts-Dreckskino, das keiner anschaut! Ein Kahlschlag wäre da gar nicht so schlecht.
Was läuft eigentlich falsch im Filmland Österreich?
U: Zunächst läuft viel richtig. In den letzten Jahren hat ein Zuwachs der Professionalisierung stattgefunden. Falsch läuft viel in der Politik, die die wirtschaftliche Kompetenz immer noch nicht erkennt und zu wenig Anreize für Produktionsfirmen schafft. Bei einem Erfolg, wie zum Beispiel dem Gewinn eines Oscars, lachen die Politiker kurz auf und das war es dann. Falsch läuft auch einiges in der Geschichtenerzählerei. Es fehlt an Leuten, die wirklich eine Hand fürs Kino haben. Historische Filmstoffe werden viel zu selten angegriffen. Kriminalgeschichten und Skandale hätten großes Potenzial.
Das reduziert sich dann eher auf das Thema Nazionalsozialismus…
U:…entweder das, oder der Stoff wird in einem Dokumentarfilm verarbeitet, was jedoch auch schön ist. Im Dokumentarfilm sehe ich starke Fortschritte.
S: Österreich ist quantitativ wie qualitativ auf dem Vormarsch. Begünstigt wird das auch durch billigere technische Equipments und dem Umstand, dass man jetzt viel leichter in der Welt herum kommt. Viele Österreicher begeben sich in die Fremde, um Filme zu machen.
Wie steht es um den Vorwurf des Einheitsbreis in der österreichischen Filmlandschaft?
S: Ich würde nicht von einem Einheitsbrei sprechen, sondern von einer Vielfalt. Der klassische österreichische Depressionsfilm ist ein Klischee! Natürlich gibt es das als pessimistisch wahrgenommene Kino von Seidl, Haneke, Albert et cetera, aber es gibt auch einen großen Anteil an anderen Zugängen. Für ein so kleines Land und die technisch beschränkten Mittel ist es eigentlich ein Wahnsinn, was hier alles produziert wird. Es gibt nicht mehr nur ein paar Platzhirsche wie früher, sondern viele interessante junge Produktionsfirmen.
U: Stark verbessert hat sich auch die Gesprächskultur und wie die Leute untereinander vernetzt sind.
…
In Teil 2 des Interviews erfährt ihr, warum sich Geaorge Clooney ohne Waffe besser verkauft und wie das Ray-Team zum aktuellen 3D-Hype steht.