Helene Hegemann hat in ihrem Bestseller „Axolotl Roadkill“ andere Autoren und Songwriter zitiert, ohne die Zitate als solche anzuführen. Nach Bekanntwerden berief sich die junge Autorin auf die Remixtechnik einer neuen Literaten-Generation. Alles Rechtens? Oder doch bloß faule Ausreden einer Plagiatorin? Und: Was sagt uns die Debatte über den Zustand der Kulturkritik?
Andreas Spechtl (© Flo Auer)
Absolute Ignoranz gegenüber Entwendungstechniken
Gefragt nach einer Meinung zu der elendiglich komischen Debatte um Frau Hegemann kann ich, nach dem Lesen von unzähligen Artikeln und Kommentaren im Netz, dazu nur sagen: Es interessiert mich einfach nicht, wie abgelutschte, alte
Feuilletonisten ihre tödliche Maschinerie auffahren; auch nicht die hohlen Phrasen der Hegemann und ihre absoluten Ignoranz gegenüber Remix und Entwendungs-
Techniken.
Hier wird auf einer Ebene diskutiert, die in ihrer ganzen Lächerlichkeit und Unwissenheit nur dazu da ist, durch rein gar nichts über möglichst viele Kanäle Geld auf verschiedenste Konten zu saugen. Wenn jemand wie die Gruppe Ja, Panik von Entwendung spricht, geht es auch immer um Verfremdung. Um Negation, klar ersichtliche Respektlosigkeit gegenüber dem Original und in gewisser Weise um eine Überführung fremden, als solches gekennzeichneten Materials in abstruse neue Zusammenhänge. Wenn man so will um Entwicklung, Weiterführung, Ausmerzung, Verdrehung. Vielleicht auch um eine vage Idee von Mehrwert. Es kann nicht sein, dass man eine Geschichte einfach ein zweites Mal erzählt und dann von einem Kunstgriff spricht. Das ist reinster Opportunismus. Die ganze Chose post festum mit der Idee des Nichtauthentischen, der Negation des Genie- Gedanken aufzumascherln verursacht bei mir, der ich die Sache eigentlich nicht verfolgt habe und mich jetzt von hinten nach vorne durch das ganze Geschreibe drüberkämpfe, bestenfalls hämische Lachanfälle. Denn wo wäre ohne Aufdeckung die Dekonstruktion geblieben? Was soll das im Nachhinein brutale wie naive Überstülpen der Remix-Technik sein, wenn nicht eine panische Selbstrettungsaktion? Wenn man zeitgemäße, also billige und verlogene Literatur macht, was ich nur begrüße, dann muss man sie auch als solche benennen und sich vehement für die Nichtigkeit seiner Ergüsse stark machen. Nur so wird das Genie zu Grabe getragen werden. Die Lüge ist als Lüge zu feiern und nicht als Meisterwerk.
Andreas Spechtl, 26, ist bekennender Hochstapler sowie Sänger und Gitarrist der Gruppe Ja, Panik.
Barbara Marković (© Suhrkamp)
Beeinflussen, nicht beraubt werden
In dem Kampf Danger Mouse vs. Beatles + Jay-Z stand ich eindeutig bei Danger Mouse. Wenn aber z. B. Eric Clapton einen armen unbekannten Straßensänger benutzt hätte, fände ich das weitaus weniger schön. Ich will frei sein, um bestehendes Material zu benutzen, aber ich will nicht beraubt werden, trotzdem möchte ich beeinflussen. Genau zwischen der Exklusivität und Freigabe der Rechte befinden sich z. B. Creative Commons. Wutausbrüche über Epigonentum oder ein 17-jähriges Mädchen in die Sterne zu heben, sind jedenfalls fehl am Platz. Das Ziel ist nicht eine neue Generation purer Genies, sondern ein funktionierendes literarisches System.
Barbara Marković, geboren 1980 in Belgrad (Serbien), studierte dort Germanistik und lebt seit 2005 in Wien. iIn ihrem 2006 in Serbien, 2009 bei Suhrkamp erschienenem Debüt »Izlaženje«(»Ausgehen«) bemächtigt sie sich Thomas Bernhards »Gehen« und überführt die misanthropische Altherrensuada in eine Hasstirade auf die Clubkultur in Belgrad.
Judith Pfeifer (© privat)
Nix neu – kommunistisch & kapitalistisch geht zusammen
in china und überall nehmen ohne fragen und den erfolg für sich verbuchen - anerkennung anderer k/ein thema. chinas eliten retten den kapitalismus (s. aihwa ong), und auch in deutschland leben junge autorInnen in »kapitalismuskompatiblen
kommunen« (helene hegemann). was neu = der »new flexible capitalism« scheint in deutschsprachigen literaturbetrieben angekommen. in aller kürze (1) auf das »social wrong« fokussiert: »plagiarism«. (2) das hauptthema identifiziert: arbeitsbedingungen und methoden in der literatur(kunst)produktion - was geht, was geht nicht? was ist erlaubt, was nicht? wer darf was? und was heisst das speziell für autorInnen? (3) nachgefragt: braucht das soziale gefüge dieses »social wrong«? (4) auf die perspektivierungsstrategien fokussieren: positive »self« vs. negative »other«, klauen vs. intertextuell arbeiten, progressiv vs. spießig, neue autorInnengeneration vs. konstruktion derselben, so toll war’s auch nicht vs. die literarische neuentdeckung u.v.m. (5) standpunkt formulieren: »everybody gets fucked over! ... it’s what you make of it that matters. ... who wants to hear some sour old story about how you were beaten by life?« (anton newcombe, the skinny 53, feb 2010: 39). ja, und gerade deshalb respektvoll bleiben: lesen, inspiriert sein und bewundern ja, copy pasten ja, montieren und remixen ja (!), urheberInnen zumindest nennen jaaa (!) + leserInnen, hörerInnen wie auch immer beglücken.
Judith Pfeifer, 35, Autorin und Kommunikationswissenschaftlerin, studiert derzeit bei
Ruth Wodak in Lancaster Diskursanalyse. Lebt in Edinburgh. Singt auch.
Martina Schmidt (© Deuticke)
Erfolg ist wie ein scheues Reh
»You write like a roadkill«, sagt Edmond zu Mifti. »Like a what?« »Ein angefahrenes Tier.« Dem ist wenig hinzuzufügen. Der Babylurch, der hier »back to
the roots with the Enthäutung« macht, kann schreiben, auch wenn das möglicherweise »mittelalterliche Standards« sind. Die Kritiker, denen in »Axolotl Roadkill« eigene Liebeserklärungen gewidmet sind (»Das Problem ist ja nicht einmal diese Arroganz, das Schlimmste ist eher diese Dummheit«) tappen brav in Fallen, die für sie aufgestellt wurden, und auch für alle, die den phänomenalen Erfolg des Buches nicht so richtig verstehen, gibt es Trost im Text: »Erfolg ist wie ein scheues Reh, es muss einfach alles stimmen: Die Sterne … Ach, ich weiss es nicht.« (Franz Beckenbauer)
Martina Schmidt, geboren 1959, ist Programmleiterin des Deuticke Verlags.
Thomas Meinecke (© Suhrkamp)
Toll könnte sein, dass es nicht echt ist
Da ich das Buch nicht gelesen habe, ist für mich die Debatte das Interessante. Wenn Helene Hegemann nur zehn Jahre älter wäre, könnte man nicht in dieser Art auf sie einschlagen. Die ganzen rhetorischen Figuren sind kontaminiert in einer gewissen Gender-Problematik inkl. auch derer, die sich dann hinter sie stellen. Jene die es gut finden, sagen immer nur, das ist alles echt. Da bin ich dann der Meinung: Toll könnte daran doch gerade sein, dass es nicht echt ist.
Wenn es darum geht, ob Helene Hegemann über etwas geschrieben hat, was sie nicht selber kennen kann, würde ich das eher als Chance für ein Kunstwerk betrachten, als den alten Mythos von »Schreib nur darüber, was du an deinem eigenen Körper erfahren hast«. Das erlebe ich ja dauernd, wenn gesagt wird: Ach, der ist ja gar keine Frau, der ist ja gar nicht schwul, der ist ja gar nicht schwarz. Und immer wieder wird das bei mir als Art erklärungsbedürftiges Manko beschrieben: Wieso schreibt er dann Bücher für bzw. von Frauen? Und was interessiert denn den am schwulen Underground? Anstatt zu sagen: Natürlich muss das alles uns alle interessieren, weil das alles auch hochpolitisch ist und in der Aneignung des anderen, und dessen, was andere vielleicht sogar anders empfunden haben, liegt sogar die einzige Chance, zum politischen Kern zu kommen.
Ich erinnere mich bei dieser ganzen Geschichte immer wieder an diesen Fall J.T. LeRoy. Eine wunderbare Sache: Nachdem klar war, dass das alles erfunden war, ist die Hälfte derer, die es vorher bejubelt hatten, abgesprungen und inzwischen war das Ding auch noch verfilmt worden. Ich war damals gerade in San Francisco im The Castro und in dem schwulen Kino lief gerade die Verfilmung des Buchs. Das Plakat zum Film hatte noch ganz groß stehen: »Based on a true story«. Und die Leute vom Kino hatten einfach das Wort »true« ausge-x-t mit einem dicken Edding, dann war es eben »Based on a story« und ich fand das klasse. So what? Wenn es gut war, dann ist es jetzt immer noch gut.
Thomas Meinecke, 55, ist Autor, Musiker und DJ. Er wurde in Hamburg geboren und lebt im bayerischen Voralpenland. Seine Romane erscheinen im Suhrkamp Verlag, die Tonträger seiner Band F.S.K. bei Buback, seine Arbeiten mit Move D. bei Intermedium und Workshop.
Das alles bestimmende Feuilleton-Thema des Februars denkt nicht daran abzudanken: Während man nach Auftauchen der Plagiatsvorwürfe gegen »Axolotl Roadkill«, dem bis zu diesem Zeitpunkt als Jahrhundertwerk gepriesenen Coming-of-Age-Roman der erst 17-jährigen Helene Hegemann, anfänglich dachte, der Literatur-Betrieb rudere nun unauffällig zurück, ist die Debatte mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Kein Tag vergeht, an dem Helene Hegemann nicht entweder verdammt oder verteidigt werden muss, die seltsamsten Allianzen geschmiedet werden und sich manch Literaturkritiker auf seine älteren Tage zum Creative-Writing-Workshop-Leiter berufen fühlt. Ist ja auch kein Wunder, wird am Fall Hegemann doch der Finger in all jene Wunden gelegt, die im Zeitalter der Digital Natives schon viel zu lange vor sich hin klaffen: Was ist der Unterschied zwischen einem Zitat und einem Sample? Und wann wird Copy/Paste zum Plagiat? Warum wird die Verwendung eines David-Foster-Wallace-Satzes abgeklärt, während man die Texte des unbekannten Bloggers Airen 1:1 übernimmt, ohne das auch nur irgendwo zu vermerken? Der Hype um Helene Hegemann hat sich ursprünglich darauf kapriziert, die Stimme einer Generation entdeckt zu haben, die das Erlebte, Erdachte, das Kopromisslose wie die Abgeklärtheit der Generation »Berlin-Techno und Easyjetset« (© Tobias Rapp) noch einmal zwischen zwei Buchdeckeln destillieren konnte. Es sollte ein Triumph des Mediums Literatur über Blogs, Twittermeldungen und SMS sein, inklusive der dem Literaturkanon eingeschriebenen Parametern Geniekult und authentische Kaputtheit, im schrill drogenumnebelten neuen Gewand. Und vielleicht ist das ja das wirklich Ensetzliche an der Debatte, wie Klaus Nüchtern im Falter bemerkt: »Wird das angeblich ketzerische Mädchen vom Literatur-Establishment der alten Männer gehasst?
Die lieben sie doch, weil Hegemann brav nach Vorschrift böse ist – ganz so, wie es jene alten Säcke von ihr erwarten, die sich nun als Apologeten des jüngsten Radical Girlie Chic gerieren. Wenn die Jugend sich ihre Albträume von den Erwachsenen diktieren lässt, ist sie echt zu bedauern.«