Auf das zahme »Camouflage« folgt das wütende Album »Irreversibel«. Was hat Österreichs größten Straßenrapper Nazar so sauer gemacht?
Ardalan Afshar hat genug von Gewalt. Während dem zweiten Golfkrieg floh seine Familie nach Wien, er geriet in Konflikt mit der Polizei und landete im Gefängnis. Danach distanzierte er sich von Aggression und verarbeitete das Erlebte mit Hilfe von Rap. Unter seinem Künstlernamen Nazar erklomm und erweiterte er die Höhen der österreichischen HipHop-Szene. Das brachte ihm 2014 einen Deal mit Universal ein, aus dem das friedfertige Album »Camouflage« hervorging. Heute, zwei Jahre später, ist Ardalan wieder wütend. Im Interview erklärt der Favoritner Rapper, wieso das Album eine Kampfansage wurde, und an wen überhaupt.
Du als bekennender Cineast hast mit dem Albumtitel "Irreversibel" auf den französischen Filmklassiker angespielt, oder?
Ich bin einfach nicht kreativ bei Albumtiteln. Könnte ich die Zeit zurückschrauben, hätt ich sie „Eins, zwei, drei, vier, fünf…“ genannt. Jeder Künstler, der seine Albumtitel als tiefe Message erklären möchte, lügt.
Diese Hommagen an "Irreversibel" und "La Haine" waren also nicht bewusst? Immerhin geht es in beiden Filmen, wie auch auf dem neuen Album, um Gewalt.
Bewusst nicht, ich mag aber französische Filme viel mehr als deutsche. Die sind uns einfach weit voraus, was die Relevanz von Künstlern und der eigenen Sprache betrifft. Auch beim Rap, wobei ich sagen muss, dass es für mich fast unhörbar wurde, nachdem sich französischer Rap so stark in die Trap-Richtung entwickelt hat. Irgendwann reicht’s auch mit dem Trap-Ding. Der deutsche Markt ist übersättigt mit Drecks-Künstlern, die Scheiße erzählen. Da bin ich manchmal froh, wenn ich nichts versteh und ich die Musik einfach im Auto genießen kann. Man merkt das ja auch in der Hipster-Szene, bei den Wiener Redakteuren. Das sind alles Ü30-Leute, die mir dann nur erzählen, was grad auf rapupdate abgeht. Alle voll Gossip-geil, auch Leute, von denen ich mir das nie gedacht hätte. Und grad die haben vor fünf Jahren gesagt: „Ich supporte nur Backpack-Rap, weil das is der real Shit, da geht’s nicht um Krieg und Ghetto-Kanacken.“ Und jetzt fragen sie mich, ob ich schon die neueste Meldung von Fler gehört hab.
Mit Rap-Gossip kannst du also nichts anfangen?
Nein, Dicker. Ich bin ja ausgebildeter Straßen-Provokations-Techniker. Mein ganzes Leben war Gossip mit der Polizei. Ich bin im Gefängnis gesessen. Und ich hab nicht zu Rappen begonnen, um einen Clown aus mir zu machen, damit 35-jährigen Hipster-Redakteure in der Kaffeepause über mich lästern. Ich hab schwer gehabt, weil ich erstens in Österreich geblieben bin und zweitens nie in diesem Gossip-Scheiß mitgeschwommen bin.
Du alter Trap-Veteran sagst: „Irgendwann reicht‘s auch mit dem Trap“? Wochen vorm Release deines nächsten Trap-Albums?
Trap-Beats sind nicht das Problem. Mir geht’s um diesen brutal abgehackten Flow, Rap auf 120bpm. Da kriegt man das Kotzen. Meine Single „Generation Darth Vader“ ist draussen, und du kannst mich gern eines Besseren belehren, aber: Ich glaub nicht, dass es aus Deutschland einen Trap-Song gab, der technisch und textlich so stark war.
Deutsche Produzenten sind brutal gut, besonders Trap aua Frankfurt. Aber das meiste davon ist Haus-Maus-Rap.
Apropos Produzenten: Diesmal sind es stolze 16 Produzenten auf einem Album. Sogar einer mehr als bei „Camouflage“. Wie bekommt man da einen konsequenten Sound hin?
Man muss ein guter Musiker sein. Allein das Intro: So eins gab‘s noch nie. Das ist ein Orchester. Ich hätte auch lieber in Wien zwei, drei Produzenten, die alles rasieren. Das schlimmste bei der Alben-Produktion sind verpeilte Produzenten. Manche verlieren die Übersicht am eigenen Rechner, finden Ordner nicht mehr. Ich hab auch keinen Bock, Samples klären zu lassen, daher muss alles eingespielt werden. Wenn du dann 16 Produzenten drei Wochen lang nachtelefonieren musst… Horror.
In Wien gibt’s gute Produzenten. Ich war auch bei Brenk, ein überkrasses Talent. Der hatte einfach nichts Passendes für dieses Album. Hier ein Aufruf: Ich baue mir hier eine Basis auf. Meine DJs und ich bauen gerade ein Studio, eines der besten, die Österreich je haben wird. Ist im Juni fertig. Bald gründe ich auch mein eigenes Label, in Kooperation mit Universal. Deswegen – meldet euch, wenn ihr wisst, dass ihr gut sein.
»Irreversibel« ist wütend. Was hat dich so sauer gemacht?
Vieles. Abseits von Beef in Deutschland ging hier in Österreich einiges ab. Gewaltverherrlichende Rapper, die gleichzeitig die Religion raushängen lassen. Die ganze Scheiße mit der FPÖ. Als Strache mich geklagt hat, bekam ich Botschaften von FPÖ-Anhängern. Ich werde permanent als »Islamisten-Rapper« beleidigt, und ich darf nichts mehr dazu sagen. Der Staat verbietet dir den Mund. Und dann gehst du wütend heim und sollst ein Album schreiben. Universal hatten eh Zweifel, ob auf das radiotauglichere »Camouflage« so ein wütendes Album folgen sollte. Aber ich kann nur verarbeiten, was ich fühle. In Songs wie »Generation Darth Vader« oder »La Haine Kidz« geht es um eine Hass-Generation. Ich möchte das nicht rechtfertigen, ich glorifiziere nichts.
Kannst du umreißen, was die »Generation Darth Vader« ausmacht? Und wer ist diese »Gesellschaft der Schattenwelt« aus Strophe eins?
Das ist der Bundesverfassungsschutz, der Einblick in unsere Privatsphäre haben will. Das ist ein 10. Bezirk, in dessen Gemeinderat kein einziger Migrant sitzt. Das sind Leute im 7. Bezirk, die auf Partys von ihrem schlimmen Leben erzählen, aber keinen Bezug zu den Problemen anderer haben. Das ist die große Parallelgesellschaft. Ich kenne gute Jungs, die jetzt nach Syrien wollen. Diese Generation ist jahrzehntelang erschaffen worden, geblendet durch Nachrichten, die Kriege rechtfertigen und den Islam oder Flüchtlinge zum Problem machen.
Du wirst dein eigenes Label gründen. Wie ist denn die Beziehung zum Major momentan?
(Schielt zum Universal-Promotor) Sehr gut, sonst hätt ich nicht verlängert. Der Major ist nicht das Problem, sondern die Industrie. Mit der Zeile »Ich mach zwar Kohle und unterschreibe einen Major Deal / Doch gehe Essen mit dem Teufel auf ein Happy Meal« handelt von meiner Kooperation mit McDonald’s und den Vorwürfen, die ich dafür einstecken musste. Weißt du, ich hasse diese Drecks-Facebook Generation. Den ganzen Tag Ausheulen in Kommentaren. Die Leute haben verlernt, Dinge einfach zu akzeptieren, solange es nichts Schlechtes ist. Die wollen dich in den Dreck ziehen.
Und warum ist es gerade in Österreich so schwer für dich als HipHopper? Wieso hast du dich entschieden, hier zu bleiben?
Pioniergeist. Bevor ich angefangen hab, war alles aus Österreich extrem scheiße. Das war damals eine Kopie von Max Herre, von Freundeskreis, von Fanta 4. Und es ist immer noch so! Mittlerweile haben wir Nazar-Kopien und Haftbefehl-Kopien. Es ist nicht schwer in Österreich, aber wenn du dauernd kopierst – wer soll dich ernst nehmen? Vor Kurzem kamen zwei originelle heimische Rapper auf, und das fand sofort Anklang. Crack Ignaz und Yung Hurn. Ist nicht meins, muss es auch nicht, aber die machen ihr Ding und werden in Deutschland gebucht.
Auf "Irreversibel" rappen mehrere Nazars. Der gewaltbereite Kanacke, der Berichterstatter, der Verliebte. Sind das Rollen, die du bewusst wechselst?
Bei Songs wie „Abra Kadabra“ schlüpfe ich in eine Kostüm und stelle eine fiktive Figur da, um Punchlines zu bringen. Andere Songs, wie „C’est la Vie“ oder „Signal“ oder „Asylant für immer“, sind persönlich. Die sind 100% real. Momentan sagen Rapper, es sei scheißegal, ob man Texte selber schreibt. Aber Rapper haben nur ihre Texte. Schau, bei Gesang ist es anders, Sänger sagen nichts. Nimm den großartigen Sänger Julien Le Play. Ich bin Fan, aber ein einziger meiner Songs hat mehr Inhalt als sein ganzes Album. Als Sänger hast du kaum Zeilen, die Stimme selbst erzeugt Emotion. Als Rapper lebst du von Lyrics.
Und wie sieht’s mit dem geplanten Spielfilm aus?
Ich hab zwei Drehbücher geschrieben, brauche noch die Förderung. Und ich hoffe, dass jemand von der Förderungsstelle dieses Interview liest: Es reicht mit euren Kanackenfilmen und Nazifilmen. Wer will das noch sehen? Reicht doch.
»Irreversibel« erscheint am 13. Mai via Chapter One (Universal Music). Nazar tritt am 23. 7 am HipHop Open Austria in Wiesen auf.