Die Entdeckung vieler Fragen – »Ancestors’ Gift« im Dschungel Wien

Im Rahmen des Puls Festivals zeigt der Dschungel Wien, das Theaterhaus für junges Publikum, fünf internationale Theaterproduktionen. Eine davon: »Ancestors’ Gift« von Atash. Es geht um Traumata und Ängste, um die Erinnerung an die eigenen Ahn*innen und die Suche nach diesen.

© Peter Rauchecker

Bewegungen mit viel Tempo, Spiel mit Licht und Sprechgesang aus dem Off: Die »contemporary dance company« عطش Atash عطش setzt bei ihrem ersten Versuch, für jüngeres Publikum zu inszenieren, mit der Produktion »Ancestors’ Gift« auf eine außergewöhnliche Performance. »Wir wollen Themen aufgreifen, die unangenehm sind, weil es wichtig ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.« Das betont das Kollektiv Atash beim Publikumsgespräch und meint damit die eigene Auseinandersetzung mit den Ahn*innen und der Vergangenheit.

Choreografin Ulduz Ahmadzadeh setzt gleich zu Beginn eine komplexe Choreografie als starken Auftakt für die 50-minütige Tanzperformance. Ständig mit dabei: Scheinwerfer, die die Bühne pro Szene in ein andersfarbiges Licht tauchen. Gesprochen wird nicht, zumindest nicht seitens der drei Tanzenden Naline Ferraz, Xianghui Zeng und Desi Bonato – das überlassen sie einer, meist weiblichen, Stimme aus dem Off. Mal synchron, dann wieder asynchron bieten die drei zu Beginn eine fast akrobatische Perfomance, der man gerne zuschaut. Die Tänzer*innen lächeln dabei stumm im gelben Licht. Als das Lächeln stirbt, wird das Licht lila.

Leben voller Antworten, Albtraum voller Fragen

Eine junge Frau (gespielt von Naline Ferraz) wird vom Voiceover als Miriam vorgestellt. Sie liegt im Gras, tanzt mit einer Sonnenbrille auf der Nase und fährt mit einem Pennyboard – eine ganz gewöhnliche Teenagerin eben. Dann tönt die Stimme: »Tagsüber lebe ich im Paradies, doch den Nächten habe ich schon damals nicht getraut.« Das schier idyllische Bild schlägt um in ein von Ängsten durchzogenes. Denn in der Nacht plagt Miriam wiederholt ein Albtraum (rotes Licht), der beim Publikumsgespräch als generationsübergreifendes Trauma aufgelöst wird. »In der Nacht bin ich schlaff, weil die Träume mich schlaffen«, erklärt die Stimme aus dem Off, und: »Der Albtraum beginnt, der wortlos zu mir spricht.«

Dieser Albtraum ist zwar wortkarg, hat aber vor allem einen langen Atem. Die abrupten Bewegungen von Zeng und Bonato hinterlassen mehr Fragen als Antworten, während sich Ferraz unruhig im Schlaf wälzt. Die willkürliche Tanzperformance, gepaart mit einem bedrohlichen, immer gleich schlagenden Takt und einer Nebelmaschine, die im Hintergrund Rauch spuckt, zieht sich etwas.

Die drei Tänzer*innen Naline Ferraz, Desi Bonato und Xianghui Zeng auf der Bühne (Foto: Peter Rauchecker)

Mantel als Erinnerungshülle

Cut zu orangem Licht und einer der berührendsten Szenen der Aufführung: Miriams Begegnung mit dem verstorbenen Opa. Dieser wird dargestellt als alter Mantel, der von oben heruntergelassen wird und in dessen Innerem Ketten und Patronenhülsen baumeln. »Stille, ist das, was bleibt«, kommentiert die Stimme. Dabei steht Miriam vor dem Mantel, in den sie schlussendlich schlüpft. Ein schönes Bild des Versuchs, sich einem Verstorbenen anzunähern, den man zu kennen dachte und der sich im Nachhinein als anderer entpuppt. Die emotionale Begegnung wird durch einen weiteren Lichtwechsel (Grün) beendet.

Ohne Erklärung kommen dann Zeng und Bonato zu Ferraz in papierähnlichen, löchrigen Mänteln auf die Bühne: Die nächste Tanzperformance zu dritt beginnt. Der im Hintergrund laufende, etwas unverständliche männliche Sprechgesang entpuppt sich nach und nach als Rap. Diesen erklärt die Choreografin Ulduz Ahmadzadeh beim Publikumsgespräch mit dem Wunsch, junges Publikum ansprechen zu wollen. »Sterblich von innen«, skandiert die Männerstimme im schnellen Beat und schlägt sich dabei etwas mit der hektischen Tanzperformance. Der Kontext (Ausbruch? Erkenntnis?) ist hier nicht ersichtlich.

Den Schluss leitet dieselbe Choreografie ein, die bereits zu Beginn zu sehen war. Diesmal hat sie jedoch an Kraft eingebüßt. Der kurz gezeigte, sogenannte »floss dance« – bekannt als Tanztrend aus den USA – tut dem schwachen Ende dabei keinen Gefallen.

»Ancestors’ Gift« ist eine Perfomance, die kraftvoll beginnt und mit einzelnen starken Bildern spielt. Durch ein paar Längen und jene Elemente, die primär darauf abzielen ein junges Publikum anzusprechen, verliert sich diese Kraft im Laufe der Inszenierung jedoch. Mit etwas mehr Fokussierung hätte das Stück durchaus noch mehr Potenzial gehabt.

»Ancestors’ Gift« von عطش Atash عطش kam im Rahmen des EU-Projekts Connect Up gemeinsam mit vier anderen internationalen Inszenierungen nach Wien und feierte am 13. Oktober 2023 beim Puls Festival Premiere. Das Stück ist noch am 16. und 17. Oktober 2023, am 29. Jänner 2024 sowie am 1. und 2. März 2024 im Dschungel Wien zu sehen.

Dieser Text ist im Rahmen eines Schreibstipendiums in Kooperation mit dem Dschungel Wien entstanden.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...