Wie illustriert man eine Kampagne für einen Ort, den man noch nie besucht hat? Der US-amerikanische Künstler und Illustrator Andy Rementer hat uns bei seinem ersten Wien Besuch erzählt, welchen Eindruck er jetzt, nach erscheinen der Sommerkampagne vom Museumsquartier, von Wien hat und wo er sich sonst gerne Inspiration holt.
Erzähl uns etwas über deine Karriere. Wie hast angefangen und was ist dein Zugang zu Design?
Andy Rementer: Ich habe zwei gestalterische Parallelen, die ich miteinander verbinde: Zum einen die klassische Kunst durch Malerei und zum anderen kommerzielle Illustrationen. Beide Arbeiten bewegen sich auf ähnlichen Wegen und geben sich die Hand.
Mein Zugang zu Design ist auf meine Ausbildung als Grafikdesigner zurückzuführen. Ich habe in Italien mehrere Jahre als Grafikdesigner gearbeitet und dort auch meine Frau Margherita kennengelernt. Dieser Hintergrund ist definitiv meine Basis in Sachen Ordnung und Sinn für Struktur. Zur Illustration und Malerei kam ich durch verschiedene Nebenprojekte, die jetzt allerdings meinen Beruflichen Alltag dominieren.
Wie sah deine Ausbildung aus?
Andy Rementer: Ich habe an der Universität der Künste in Philadelphia studiert. Dort gibt es ein wirklich gutes Grafikdesign Programm, welches auf den Wurzeln des Grafikdesigns aus der Schweiz begründet ist. Viele der Professoren brachten diesen Ansatz in die Vereinigten Staaten in den 70er und 80er Jahren. Damals war das ein komplett neuer Ansatz und revolutionär.
Ich habe dort genau im richtigen Moment studiert, da die Professoren damals viel Wert auf einen praktischen Ansatz im Grafikdesign gelegt haben. So habe ich zum Beispiel gelernt, wie man Typografie praktisch verstehen kann: Durch das aufkleben von Buchstaben mit der Hand, um so das richtige Gefühl von Abständen zu bekommen. Oder wie man mit verschiedenen Pinseln schreibt und diese bewegt, um verschiedene Formen und Linien zu gestalten. Wie damals im alten Rom. All das machte einen großen Eindruck auf mich und hat mich auf eine Art und Weise sehr geprägt.
Könnt ihr uns euer gemeinsames Atelier beschreiben?
Andy Rementer: Wir haben unser Studio recht strikt aufgeteilt. Wir beide haben jeweils zwei Schreibtische an denen wir arbeiten.
Margherita Urbani: Ich arbeite unter anderem als Art Director für Urban Outfitters, deren Hauptquartier in Philadelphia ist. Ich zeichne meine eigenen Illustrationen und arbeite gleichzeitig als Art Director für alle kommerziellen Projekte von Andy.
Wie können wir uns einen Arbeitstag vorstellen?
Margherita Urbani: Wenn wir räumlich am gleichen Ort sind, arbeiten wir sehr kollaborativ zusammen. Andy zeigt mir, woran er arbeitet, ich zeige ihm, woran ich arbeite und wir tauschen uns die ganze Zeit aus. Manchmal arbeiten wir gemeinsam an einem Projekt, wie beispielsweise für das „Apartamento Magazine’“. Dafür haben wir gemeinsam Comics gezeichnet.
Andy Rementer: Ja, das war eine sehr direkte und großartige Zusammenarbeit. Ich habe hauptsächlich illustriert, allerdings war die Arbeitsaufteilung 50/50. Unsere Zusammenarbeit hat mich sehr beeinflusst, meine Frau hat meine typische Farbpalette erweitert, da Margherita ein viel besseres Farbgefühl hat als ich. Wir haben die Geschichten gemeinsam geschrieben und sehr viel persönliche Anekdoten darin versteckt. Für mich ist die kollaborative Zusammenarbeit bei Projekten sehr wichtig, und mir ist der Erfolg solcher neuen Konstellationen sehr bewusst.
Habt ihr eine bestimmte Struktur, an die ihr euch während des Arbeitstages orientiert?
Andy Rementer: Ich bin tatsächlich sehr strukturiert in meiner Arbeitsweise. Wenn ich an redaktionellen Illustrationsprojekten arbeite, bei denen die Frist sehr eng gesetzt ist, spreche ich mich oft mit dem Creative Director ab, um schnellstmöglich in die passende Richtung zu arbeiten. Natürlich variiert meine Arbeit von Tag zu Tag und von Projekt zu Projekt. Ich mag es, wenn es nicht monoton wird.
Ich versuche außerdem jeden Tag, etwas Zeit für meine eigenen Projekte, Zeichnungen und Malereien aufzubringen. Natürlich habe ich dazu mal mehr, mal weniger Zeit.
Du bist zum ersten Mal in Wien. Wie war der Ansatz für deine Arbeit und Illustrationen für dieses Projekt, wenn du die Stadt, die Menschen und das Land nicht kennst?
Andy Rementer: Ich bin ein internationaler Künstler und arbeitete oft mit Situationen und Orten, die mir unbekannt sind oder an denen ich noch nie zuvor war. Für meine Projektpartner ist es wichtig, dass ich meine Persönlichkeit beziehungsweise meine Sicht der Dinge in die Arbeit miteinfließen lasse. Deshalb ist es mir nicht zu so wichtig, die Realität eins zu eins abzubilden, sondern eine neue Ebene zu schaffen, in der man sich wiederfinden kann. Dadurch entstehen spannende Crossover.
Das Projekt für das Museumquartier ist sehr standortspezifisch. Zum Glück habe ich ein ziemlich spezifisches Briefing bekommen, was dieser Ort ist und was er widerspiegelt. Dadurch hatte ich ein ziemlich gutes Gefühl für die Stimmung, bevor ich angefangen habe. Aber natürlich ist es immer anders, direkt hier im Museumsquartier zu sein. Wenn ich das Projekt noch einmal von vorne starten müsste, nachdem ich die Stadt für einen Tag gesehen habe, hätte ich vielleicht einen anderen Ansatz und viel mehr Material, dass ich einbauen könnte.
Du hast ein Live-Piece außerhalb des Museumsquartiers gezeichnet. Würdest du sagen, dass dieses Stück andere Einflüsse als die anderen Zeichnungen hat und weiterentwickelt ist?
Andy Rementer: Vielleicht ist es ein bisschen persönlicher. Und das ist immer etwas, das mir wirklich wichtig ist. Die kleine Zeichnung, die ich auf die Wand gezeichnet habe war in zwei Stunden fertig. Dazwischen gab es immer wieder Leute, die mich angesprochen haben, Fotos knipsten oder mich einfach nur beobachtet haben. Das allein unterscheidet sich schon sehr von meinem normalen Arbeitsprozess.
Ich habe definitiv einige Elemente in das Live-Piece in adaptierter Form eingebaut, die ich hier in Wien beobachtet habe. Zum Beispiel das Kind auf dem Scooter in meinem Skizzenbuch. In Wien gibt es so viele Leute auf Scootern!
In gewisser Weise mag ich die Tatsache, dass ich noch nie hier gewesen bin, weil es eine Trennung und Distanz für die Aufgabe selbst gibt. Ich habe diese Fantasy-Welt von Wien geschaffen, die irgendwie anders und komisch ist im Vergleich zur Wirklichkeit. Ich denke, es ist eine coole und frische Art ein Projekt so von außen zu betrachten.
Was bedeutet „Movement“, der Titel der diesjährigen Museumsquartier-Kampagne, für dich persönlich?
Andy Rementer: Ich nehme den Titel wirklich wörtlich und sehe, wie viele verschiedene Ebenen dieser Begriff haben kann: Persönliches Wachstum zum einen, aber auch aktiv sein oder auch blieben, damit etwas vorangeht und sich Dinge verändern können. Für mich ist ‚Movement’ ein wichtiges Element meiner künstlerischen Arbeit. Nicht stehen blieben, aktiv sein, nie aufhören und sich ständig weiterentwickeln. Verbunden mit der Kampagne für das Museumsquartier war es mir wichtig, den politischen Aspekt ebenfalls einzubauen. Es ist spannend zu beobachten, wie auf der ganzen Welt derzeit Bewegung herrscht und wie Menschen darauf reagieren und welche Affekte es auf die Gesellschaft hat. Dieser Punkt hat ebenfalls einen großen Einfluss auf meine Arbeit.
Kannst du uns etwas über die Charaktere der MQ-Illustrationen erzählen? Stecken Namen oder Geschichten hinter diesen Figuren?
Andy Rementer: Ich habe dieses Mal keinem Charakter einen Namen gegeben. Der Entenmann ist allerdings eine Illustration, die öfters in meinen Arbeiten vorkommt. Ich arbeite sehr reduziert und konzentriere mich auf eine vereinfachte grafisch-visuelle Sprache, die universell zu verstehen ist.
Margherita Urbani: Ja, für diese Arbeit wurden explizit Charaktere verwendet, die genderneutral zu verstehen sind, damit sich jeder und jede in der Stadt damit identifizieren kann und auf verschiedenen Ebenen verstanden werden kann.
Was inspiriert dich?
Andy Rementer: Das ist jetzt ein ziemliches Klischee: Ich fühle mich von so ziemlich allem und jedem auf künstlerischen Ebene inspiriert. Reisen sind mir persönlich extrem wichtig, da ich denke, dass sie einen frischen Blick und eine neue Perspektive mit sich bringt. Neue Orte empfinde ich immer sehr intensiv, was sehr inspirierend für mich persönlich ist. Mode und Kunst ist außerdem sehr wichtig für mich. Ich liebe es, mir gut gekleidete Menschen anzusehen und diese zu beobachten. Außerdem gehe ich sehr gerne in Museen. Ich kann es kaum erwarten, mich von den Museen in Wien inspirieren zu lassen!
Gibt es Pläne für die Zukunft?
Andy Rementer: Ich habe vor kurzem ein Buch mit meinen Reise-Skizzen veröffentlicht, mit dem ich in letzter Zeit ziemlich beschäftigt war. Im September wird eine retroperspektive Kunstausstellung in der Italienischen Stadt, in der ich meine Frau Margherita kennengelernt habe, stattfinden. Ich bin dort der Künstler in Residence und freue mich schon sehr darauf. Außerdem arbeite ich derzeit an einer limitierten 3D-Skulpturenserie aus Keramik, die nach der Ausstellung gezeigt werden soll. Gerne würde ich in Zukunft mehr Projekte wie für das Museumsquartier Wien machen – am liebsten gemeinsam mit meiner Frau.