Poesie und die tanzbare Essenz – Oehl und ihr Album »Über Nacht«

Ein später Nachmittag mit der Band Oehl. Der leichte Duft eines abendlichen Waldspaziergangs hängt in der Luft – das Ergebnis des Experiments, rhythmische Musik in einem Odeur festzuhalten. Sänger Ariel Oehl und Bassist Hjörtur Hjörleifsson sprechen mit uns über ihr erstes Album und erzählen, warum popkulturelle Referenzen in Songtexten für sie überholt sind und warum sie stattdessen auf Themen wie Tod, Leben und Glaube setzen.

© Alexander Gotter

Die Songs von Oehl sind deutschsprachig und haben Anknüpfungspunkte an die Poesie. Wie steht ihr zu Texten in anderen Sprachen?

Ariel: Ich tue mir wahnsinnig schwer, englisch zu singen und mich wieder zu erkennen. Viele Leute, die neue Musik machen, versuchen gut zu sein. Aber ich glaube, dieses »gut« kommt mit der Zeit. Es ist viel wichtiger, dort anzufangen, wo man niemandem nachläuft. Deutsch ist einfach unsere Art, uns selbst nicht zu langweilen. Englische Musik wird sehr schnell austauschbar. Wenn man als österreichischer Musiker in einem Bereich, wo schon so viel gesungen und gesagt wurde, noch etwas Neues beitragen will, dann ist das echt hart. Ich habe Respekt vor den Leuten, die da an den Start gehen, zwei Jahre an etwas arbeiten und nicht nach jemand anderem klingen. Man möchte nicht so viel Zeit investieren, um dann nur ein »just another …« zu werden. Deswegen gibt es auch keine popkulturellen Referenzen.

Hjörtur: Für mich hat die eigene Sprache auch eine gewisse Nähe. Es war auch ein witziger Versuch, die ersten zwei Singles ins Isländische zu übersetzen. Es hat sich überraschend gut angefühlt, war aber auch irrsinnig schwierig.

Wie hat sich die Entscheidung, Dichtung als sprachliches Kunstwerk in Songtexte zu verpacken, auf das Album ausgewirkt?

Ariel: Das Album ist definitiv eine sehr stimmige Reise. Es bringt dich an verschiedene Orte, so als ob du in einem Zug sitzen würdest. Man kann sich diese Orte anschauen und sich in diese Landschaften hinein träumen, aber eigentlich ist es ein Gefühl, das von vorne bis hinten bleibt. Bei unserer Musik denke ich auch an diesen Goldton der letzten Sonnenstrahlen des Tages, wenn man mit zugekniffenen Augen in der Kälte sitzt. Unsere Musik hört man dann bestenfalls so lange, bis sie untergegangen ist. Musik ist für mich unendlich warm, so muss es sich auch beim Machen anfühlen. Und offensichtlich sind unsere Texte von Lyrik inspiriert, es sind auch viele Zitate zu finden. Wenn man Lyrik liest, kann man gar nicht anders, als inspiriert zu sein. Das betrifft aber sicher nicht nur Musikschaffende, man entwickelt eine Sensibilität für alles. Aber ich weiß nicht, ob das Medium »Album« überhaupt noch Relevanz hat. Soundtechnisch gesehen ist es ein Konzeptalbum.

Die ersten drei veröffentlichten Singles behandeln die Themen Tod, Leben und Glaube. Hängt das alles zusammen?

Ariel: Ja, vor allem Religion spielt eine Rolle. Sinn, Glaube und Gottsuche sind ein großes Thema im Leben eines Menschen. Ich glaube, wir alle versuchen, uns ein Gedankenkonstrukt zu erschaffen, an das wir glauben können. Das kann im Leben sehr konsumorientiert sein oder aus Wertehaltungen bestehen. Ich glaube, der Mensch hält es kaum aus, sich einfach treiben zu lassen. Er braucht Systeme, in die er alles einordnen kann, und die Religion ist eine sehr konkrete Manifestation von Glauben, die bestimmte Türen aufmacht. Der Glaube ist viel unbewusster, im Glauben finden die Leute auch Antworten, wenn sie nicht unbedingt nach Religion suchen. Religio ist eine gute Anlaufstelle, um diese Sehnsucht abfangen zu können.

Ariel, bist du gläubig?

Ariel: Die Person meiner Texte bin nicht ich. Aber die Person, für die meine Texte real sind, versucht sich schon immer Fragen zu stellen. Da ist die Frage, wie man Glaube im 21. Jahrhundert definiert. Konsum ist ja auch ein Glaube. Es ist so eine Art Ersatzbefriedigung für die Suche nach dem Sinn des Lebens.

Vergangenen Herbst sind Oehl mit Herbert Grönemeyer auf Stadiontour gegangen – beim Konzert in der Wiener Stadthalle sind die abgebildeten Livefotos entstanden. © Alexander Gotter

Wenn es nicht der Konsum ist, dann muss es etwas anderes geben. Und Glaube ist eben die Suche nach dem Sinn. Bei der Person meiner Musik geht es sogar konkreter noch um eine Art von Gottglaube. Es geht um das Erkennen oder Nicht-Erkennen dieser Nebelgestalt »Glaube«.

Kannst du uns etwas über einige Songs auf dem Album erzählen? Starten wir mit dem Song »Wolken«.

Ariel: »Wolken« ist die Ode an die Griesgrämigkeit. Es geht um das Alleinesein, das Zurückgezogensein, das Sich-im-Selbstmitleid-Suhlen.

Erzähl uns etwas über »Trabant«.

Ariel: »Trabant« ist eine Idee, die einen nicht loslässt und die man sein Leben lang mit sich herumträgt.

Wie sieht es mit »Anlegen« aus?

Ariel: Egal, was man in seinem Leben tut, man könnte sich überlegen, ob man es tun würde, wenn die eigene Familie zusehen würde.

»Bisher« – was ist die Story dahinter?

Ariel: Es ist ein gesungener Notruf. Es gibt Situationen im Leben, da merkt man, es läuft nicht ganz rund. Das ist die Rekapitulation, dass es nicht mehr so sein wird, wie es bisher war.

Und bei »Fluchtpunkte«?

Ariel: Ich finde die Idee interessant, dass zwei parallele Seiten eines Hauses immer durch den Fluchtpunkt miteinander verbunden sind, egal wie weit man diese beiden Wände verlängert. Es ist der Gedanke, dass Parallele sich im Raum schneiden, auch wenn sie sich in diesen Welten nicht berühren.

Oehl live in der Wiener Stadthalle © Alexander Gotter

Um was geht es im Song »Instrument«?

Ariel: Das ist eine sehr zärtliche Person, die es schafft, mit ihrem Körper zu singen. Die ihren Körper als Instrument verwendet. Das ist etwas, das ich TänzerInnen sehr hoch anrechne, dass sie sich ständig stimmen. Du erkennst TänzerInnen schon von Weitem. Es ist die Art, wie sie sich bewegen. Man hat das Gefühl, sie kennen jede Sehne ihres Körpers und haben sie zu hundert Prozent unter Kontrolle, auch wie sie sitzen, sie lümmeln nicht. Dieses Faszinosum – der Körper als Instrument, der geölt, geputzt, gestimmt wird.

Letzter Titel: »Himmel« – kannst du uns dazu etwas erzählen?

Ariel: »Himmel« ist vor allem musikalisch gestimmt. Es ist der einzige Track, wo unser Produzent die Akkorde geschrieben hat, und wir haben darauf frei improvisiert. Da merkt man einfach die große Stärke von Hjörtur, den Bass sehr präsent und doch zart zu spielen. Der Bass ist wie eine Spur, die ein Flugzeug zieht, sie ist hier, man sieht sie, aber kann sie nicht greifen.

Gibt es musikalische Vorbilder, an denen ihr euch orientiert?

Ariel: Es gibt zwei Spotify-Playlists, da geht es quer durch den Gemüsegarten …

Hjörtur: Wir reden sehr viel über die derzeitige österreichische Musiklandschaft und was da alles so passiert. So kommen wir auch wieder zu den Leuten, die wir einladen, bei uns mitzumachen.

Wie fühlt es sich an, als heißer Newcomer zu gelten?

Hjörtur: Es ist schmeichelnd und schön, solche Bestätigungen zu bekommen, aber besonders in den letzten Monaten waren wir vor allem mit der Musik selbst beschäftigt und da hat Social Media auf jeden Fall darunter gelitten. Musik selbst hat für uns eindeutig die Priorität.

Ariel: Reaktionen und Follower als Währung ist etwas, das wir erst noch begreifen müssen. Diese Kommunikation über die Medien – im Endeffekt ist es ein externalisiertes Zuwinken. Es würde mich aber mehr freuen, wenn diese Person mir eine Nachricht schreibt, damit ich mich mit ihr direkt austauschen kann.

Oehls Debütalbum »Über Nacht« erscheint am 24. Jänner 2020 bei Grönland Records in Kooperation mit Ink Music. Die kommenden Livetermine der Band findet ihr hier.

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